Briefwechsel

26.

Aus Südpreußen, 2. Juli 1805.

Ich erhalte einen höflichen Brief von dem Manne aus Berlin, dem ich in Ihrem Cabinet einmal nach dem Diner so viel über den Adel vorpredigte, zu Ihrem Aerger und Spott. Derselbe schreibt mir den 28. Juni, daß mein ihm für Sie überschickter Brief vom 19. Juni nebst Beilage an Sie nächstens abgehen werde, also noch nicht abgegangen sey, <39:> welches mir sehr unangenehm ist, weil die Krankheit gerade nur das einemal zuließ, daß ich Ihnen schrieb. Wahrscheinlich erhalten Sie nun den gegenwärtigen Brief früher als den vom 19. Junius. Ich habe die göttliche, in der Beilage von jenem oftmals erwähnte Adresse, die Sie erst spät erhalten möchten, für Sie abschreiben lassen, und lege sie bei. Den Verfasser, der mir das vierte Buch, dem die Adresse vorgedruckt ist, zuschickte, habe ich merken lassen, die Geschichte und er selbst, wie es in diesem Buche ganz klar wird, seyen mir nicht katholisch genug, seine Schweizer seyen griechische Römer oder römische Griechen. Wagt er nicht in deutlichen Worten zu erklären: „das Reich Gottes sey nicht aus den Welthändeln zu entnehmen!“- aber aus der Natur, an einer andern Stelle. Wie kann man diese Begriffe so auseinander zerren! Um Gotteswillen! wie kann die Natur etwas lehren, was die Weltgeschichte so ganz bestimmt nicht lehrt? Und Christus ist wieder nicht viel mehr als ein guter, moralischer Herr, - aber die von Thermopylä und Theben, das sind die wahren. Ja, lieber Gentz, so bald das Buch zu Ihnen kommen wird, lesen Sie das vierte Kapitel: Sitten und Denkungsart der Schweizer - und Sie werden tief in Johannes Müllers Karte sehen. Naturwissenschaft versteht er nicht, und vor dem untergehenden Rom übersieht er allenthalben die aufgehende Welt. Also für die Weltgeschichte zu beschränkt, zu antik, zu verzweifelt, wie man denn seinen Augen kaum traut bei der Stelle seines Briefes an mich von den Culturressourcen in Südrußland, Asien und Nordamerika; aber innerhalb seiner Schranken doch so unendlich groß und brav, und national, und besonders so lokal (in der Freude an der reinen Lokalität treffen Sie und er herrlich zusammen); dann so innerlich vertrauend auf Geistesherrschaft, im Fluchen und im Segnen so gleich gewaltig und gerecht, und bis auf den Glauben an Christus, an das Mittelalter und an die Weiblichkeit, so gold-, so engelrein! Geben Sie ihm in Styl und Leben Ihre flüssige Weichheit und Ihren unendlichen Sinn, der sich oft in alle Abgründe des Lebens, der Liebe und der Natur zugleich stürzen möchte, - dann ist er vollständig ergänzt. - Ich denke viel an die lange Verfinsterung des Dichters Gentz, an das Aufleben des antiken Sinnes in Ihnen, der noch zu einer unermeßlichen Höhe hinaufsteigen wird, was bei jenem allzuantiken mit dem echt modernen Sinne leider der Fall nicht seyn kann. Große, wunderbare Epochen stehen Ihrem Geiste noch bevor; <40:> und in wie tausendfältigen Verklärungen werde ich, der treue Zuschauer, Ihr frommes, kindliches Herz noch sehen! Das ist das eigene mit Ihnen; wie einer, der die Umwälzung der Erde, erst die Nachtseite und dann allmählig, aber rasch bis zum höchsten Gipfel der Klarheit, die Tagseite von außen betrachtet, steht man vor Ihnen; von dunkler, träumerischer Angst vor dem Wetter oder dem Weltuntergang, durch faule Morgengedanken über diesen und jenen Sinnesgenuß, oder von anderer häuslicher Kleinigkeit, kann man Sie in einem einzigen Gespräch zusammenhängend steigen sehen bis zum hellsten Mittagsglanz der heiligsten und religiösesten Gefühle, und bei der Uebersicht des Gesprächs, wie es mir oft ergangen, scheint einem der Anfang und jedes Mittelglied so wichtig als der Schluß. - Herrliche Diskussionen! Schöne Tage von Gutenstein!

Schicken Sie mir doch irgend eine Arbeit, so klein sie auch sey, als Beitrag für die meinige, nun im vollen Gange begriffene. Und dann Nachrichten oder Bücher, ich bitte Sie um Gotteswillen! aus England; etwas aus England, viele Bücher, hören Sie, mein Liebster! die Broughams, die Lauderdale, die Malthuse und was es gibt, ich lasse Sie nicht!

Endlich dieß für den trefflichen Rudolph, woran mir viel liegt: er möge die einzige Gefälligkeit für mich haben und endlich meine Kiste, meinen einzigen Reichthum, an mich absenden; ich brauchte diese und noch viel mehr Bücher, es habe außerordentliche Eile; die Kiste sey zwar noch nicht voll, Sie aber, mein liebster Gentz, würden den leeren Raum füllen, da Sie viel an mich abzusenden hätten. Ich bitte Sie, dieser Auftrag ist sehr wichtig, mein Mangel sehr groß und die Begierde übersteigt alle Grenzen, die ich besonders nach englischen Büchern empfinde. - Grüßen Sie Paget-Alcibiades. Ihnen, mein liebster Gentz, gebührt ein anderer Name aus jener Zeit, für die erhabene Stelle, die Sie, nicht in dieser schlechten Zeit, aber in der Schätzung des Freundes einnehmen, der Sie bewundert, liebt und kennt wie ich.

A. H. Müller. <41:>