Briefwechsel

28.

Ich kam von einer zehntägigen Abwesenheit – bloß um Berge, Berge, Berge zu sehen, war ich gereiset – nach Wien zurück, als ich den traurigen Brief empfing, der mir Ihre fortdauernde Krankheit ankündigte. Wie sehr er mich erschreckt und erschüttert hat, kann ich Ihnen nicht beschreiben; wie viel mehr aber mich das auf diesen Brief gefolgte Stillschweigen martert, werde ich mich hüten, Ihnen zu schildern, wenn ich es auch vermöchte. Es ist grausam, lieber Müller, Sie müßten denn etwas gar zu Schlimmes vor mir haben verbergen wollen, daß Sie nicht unmittelbar auf jenen Brief einen andern zu meiner Beruhigung abgehen ließen; drei bis vier Posttage sind vergangen, ohne daß irgend etwas weiter eingegangen wäre.

Aus einem meiner Briefe werden Sie ersehen haben, wie groß und lebendig mein Wunsch, mit Ihnen wieder vereinigt zu seyn, war; ich kann Ihnen versichern, daß er eben so beharrlich und unveränderlich als lebhaft ist. Bei der kleinen Wallfahrt, die ich neulich nach Mariä-Zell in Steiermark machte, bei einem viertägigen Aufenthalt in einem göttlichen Thal von Oesterreich, wo das Kloster Lilienfeld liegt, dachte ich unabläßig an Sie; immerfort entwarf ich Plane und combinirte Mittel, um zur Befriedigung meines Wunsches zu gelangen. Und nun, da ich zurück komme, finde ich diesen Brief! – – – Doch es wird und muß anders werden; ich weiß und fühle es bestimmt: wir kommen zusammen.

Während meines Aufenthalts in Lilienfeld habe ich etwas geschrieben, das Ihnen gewiß großes Vergnügen machen wird. Es ist nur leider von solcher Natur, daß ich es nicht füglich auf irgend einem Wege, wo es eine preußische Post berühren müßte, an Sie schicken kann. Es handelt, mit einem Worte, von dem bekannten Ordenstausch. Sobald ich ein Mittel ausfindig mache, es ganz bis zu Ihnen gelangen zu lassen, werde ich es benutzen. Meine Sachen aus England sind noch nicht angekommen, weil der Mensch, der sie bringen sollte, durch unvorhergesehene Ereignisse dort zurückgehalten worden ist; sobald er eintrifft, werde ich Ihrer gedenken.

Gestern ist, nach langem Harren und Leiden, die erste gute, und eine wirklich große Nachricht aus England eingegangen. Lord Grenville und Lord Spencer sind wieder ins Minsterium getreten, jener für die <46:> auswärtigen Angelegenheiten, dieser für die Admiralität. Außer der directen und nicht zu berechnenden Verstärkung, die dieß dem Ministerium schafft, ist durch diese Revolution nun auch das größte aller Uebel, die Coalition, gehoben. Die Zerstörung aller französischen Flotten hätte mir nicht halb so viel Freude gemacht. Es war hohe Zeit. Ich versichere Ihnen, daß seit drei Monaten England der schwärzeste Punkt in dem ganzen finstern Gemälde von Europa geworden war, und daß ich fast verzweifelt hatte.

Ich schriebe Ihnen gern mehr; aber theils fehlt es mir an Zeit; theils muß ich auch schlechterdings, um ruhig und freudig zu schreiben, erst wieder eine Nachricht von Ihnen haben. Sollte, was der Himmel verhüte, kein Brief von Ihnen unterwegens seyn, so schreiben Sie doch nur einige Worte, sogleich als Sie diesen erhalten. Mit Sehnsucht erwarte ich etwas von Ihrer Hand; meine Liebe zu Ihnen ist größer, als sie jemals war.

Wien, den 10. Juli 1805.

Gentz.