Briefwechsel

31.

7. September 1805.

Seit dem 30. August, dem Tage nach dem fürchterlichen 29., wo ich zuerst durch den Hamburger Correspondenten von dem Erdbeben in Neapel erfuhr, lag ein Brief für Sie fertig – nichts als Vorwürfe, daß Sie mir von diesem allerhärtesten Ereigniß auch nicht eine Zeile geschrieben haben. – Anderes zu schreiben war ich nicht im Stande; denn sehen Sie, wie ich diesen ganzen Sommer in Leiden hingebracht! Erst bis zum 11. Juli seit unserer Trennung meine unerbittliche Krankheit, dann ein kurzer, heller Zwischenraum, veranlaßt durch die Nowosilzoff’sche Note; vom 23. bis 27. schrieb ich, von den neuen Hoffnungen voll, eine Broschüre: „Betrachtungen über das europäische Gleichgewicht bei Gelegenheit der Note &c.,“ ein wohlgemeintes Fragment, meistentheils aus Ihren <52:> Gedanken und eigenen frommen Empfindungen über die Lage von Europa zusammengehäuft. Lesen Sie diese Arbeit nicht kritisch, sondern mit freundlicher Rücksicht auf mich selbst. Die Anmerkungen entstanden im ersten Feuer und sind wohl das Beste dabei, vielleicht noch immer zu schonend gegen Bonaparte, aber doch, unter vielen Rücksichten auf ein schlechtes Publikum, einen sehr gründlichen Haß verbergend. Der Anfang und die Theile um die Gegend der Gelenke des Buchs sind steif, auch später in schlechten Tagen geschrieben. Nachdem nämlich das Manuscript am 31. Juli an Fröhlich auf die Post gegeben war, eigentlich schon vier Tage vorher mit dem grausamen Neumond, 26. Juli, ging die zweite große Leidensepoche an. Den ganzen Monat August hindurch, während der fürchterlichen Conjunctur von Mond, Mars und Venus, auch Jupiters, habe ich viel gelitten. Zuerst am Tage des ersten Viertels, 3. August Mittags, ein furioses Gewitter, dicht an der Erde hingehend, dann ein Wolkengethürme fast acht Tage hindurch, wie ich es nie gesehen, Dünste in Regionen hinauf, wo der Aether anfangen muß, als wenn die Erde ihr ganzes Luftkleid ausziehen wollte; dieß alles furchtbarer, quälender und verdächtiger ohne, als mit Gewitter. Ich habe sonst schon der Venus nie getraut in der Zeit, wenn sie Abendstern werden will, wenn sie dicht bei der Sonne ist, nun gar Mars und am 26. Juli auch der Mond, auch Jupiter dort! Große Explosionen waren vorauszusehen! Den 10. August am Tage, fast um die Stunde des Vollmonds, ein rasendes Gewitter. Gewitter beim Vollmond! Als der Mond aufging, drohte ein neues Gewitter; wie er sich höher hob, zerpflückte er es durchaus in kleine, lichte Flocken, eine Zauberei des Himmels, wie ich sie nie erlebt. Nun erfolgten klare Nächte, aber täglich schweflichter, blutiger Sonnenaufgang mit häufigen Nebensonnen, gegen 6 Uhr Morgens unendliches Brauen der Wolken, dann Regengüsse aus Nordnordost mit jagendem Gewölk, an der Erdtiefe Windstille, drückende Luft und peinigende Finsterniß am hohen Mittage. So lebte ich einsam mit meinen lieben Hausgenossen, abgeschnitten von der Welt, die mich nur durch die einzelnen Stöße des Hamburger Correspondenten berührte, rings umgeben von feuchter Erde und faulenden Ernten. Am 22. August erreichten die Regengüsse aus Nordnordost ihren Gipfel, in der folgenden Woche wiederholte sich die schreckliche Geschichte aus Südsüdwest, aus der Gegend von Neapel her. Eben unter finsterer Betrachtung dieser außerordentlichen Polarität, am 29. Mittags, trifft die <53:> Zeitung von dem Erdbeben ein; mit derselben Post wird mir mein Manuscript mit Protest zurückgeschicht. Von 12 bis 1 Uhr war ich in mehr als Todesangst, auf jeden Stoß des Windes, auf jeden Fußtritt achtend, in jedem Augenblick Bewegungen der Erde erwartend. Endlich gegen 2 Uhr ermannte sich das Gemüth und der Gedanke der Dauer in seiner ganzen religiösen Majestät erhob er sich aus dem Chaos, worin sich die Welt schon aufgelöst hatte. Endlich Sonntags den 1. September mit dem ersten Viertel des Mondes wurde die Luft wieder ruhiger.

Unter allen diesen Schmerzen gedeiht in mir der Glaube an Christum, und besonders an die Strafgerichte Gottes, auch meine Ideen über die Astrologie und den Umgang der Planeten mit einander. Hiervon verstehe ich mehr als einer. Ich sende Ihnen, mein liebster Freund, einen Aufsatz über die Wetterkunde, den ich im Sommer 1804 nach den starken Regengüssen in Juni schrieb, und der Ihnen nichts zeigen soll, als daß ich auch populär schreiben kann. Ueber den Gegenstand sollen noch ganz andere Dinge aufgezeichnet werden. Die specielle Beziehung dieser Schrift auf die südpreußische ökonomische Societät schloß von selbst die eigentlichen Mysterien ganz aus, deren heiligste überhaupt erst in diesen Tagen erkannt worden sind.

So viel zur Entschuldigung meines Stillschweigens gegen Sie, den treusten und edelsten Freund! Ihr gestriger Brief hat mich wunderbar gestärkt, besonders der billige und heilige Eifer gegen Winkelmann und Goethe, und die rührende Beziehung auf den glücklichsten Entschluß meines Lebens,[1] den ich vor fünf Monaten unter Ihren Augen faßte. Vor dieser göttlichen Sache sinken freilich alle Laokoons, und ich bekenne es, auch alle gotteslästerliche Goethes in Staub. Ich sage nichts weiter – ich umarme Sie, mein frommer Freund, fester und fester, und entsage hier feierlich aller Gemeinschaft mit den Heiden, auch mit dem andern geborenen Heiden, unserm Johannes. Vor sechs Wochen habe ich ihm bescheiden über sein Heidenthum manches geschrieben, was das Feuer seiner ersten Umarmung in dem quäst. Briefe niedergeschlagen zu haben scheint. Er hat bis heute nicht geantwortet. Es mochte unpolitisch seyn, indeß konnte ich nicht anders.

Lesen Sie meine Arbeit, von der nur die einzige einliegende Copie genommen ist, mit Nachsicht, und übersehen Sie es nicht, daß ich seit dem 1. Mai von allen politischen Vorgängen nichts weiß, auch nicht ein <54:> Wort mehr, als in Ihren Briefen und im Hamburger Correspondenten gestanden hat. Leben Sie wohl und vergessen Sie, wenn ich Ihnen selten geschrieben habe, nicht, daß es in unserem Umgang um die ganze Welt geht, und was Sie mir selbst über die Schwierigkeiten unserer Correspondenz geschrieben haben.

A. H. Müller.