Briefwechsel

32.

26. September 1805. Donnerstag Abends um 11 Uhr.

Ich schrieb Ihnen doch neulich, daß das Wetter sich mit dem Neumonde wohl ändern würde. Wie richtig hatte ich gesehen!

Der Neumond trat, wie Sie wissen, in der Nacht vom Sonntag zum Montag ein. Schon Abends um 5 Uhr thaten sich alle Schleusen des Himmels auf, und es fiel bei ziemlich starkem Winde ein heftiger Regen. Den andern Morgen schien sich der Himmel aufzuklären, behielt aber eine verdächtige weißliche Farbe, und es wurde plötzlich, ohne Wind, in einem auffallenden Grade kalt (9° Reaumur). Dienstag früh brach aber die eigentliche Wirthschaft erst los; von da an bis auf die Stunde, wo ich Ihnen schreibe, hat der heftige Regen auch nicht eine einzige Sekunde nachgelassen. Die Wolken (ich wohne immer noch in Hitzingen) liegen armdick so nahe auf der Erde, daß ich kaum die Hälfte der vor meinen Fenstern liegenden Wiese übersehen kann. Dabei weht kein Wind, und die Wärme ist seit Montag von 9 auf 15 bis 16 gestiegen. Eine sonderbare Erscheinung ist auch diese: die Regengüsse scheinen alle gerade aus Westen zu kommen, zu gleicher Zeit aber streifen ohne Unterlaß fürchterlich schwarze, dem Anschein nach sehr leichte Wolken von Nordwest über die andern hin. – Die Gewässer schwollen dergestalt an, daß ein kleines Gerinne vor meiner Thür seit gestern über 8 Fuß breit und gewiß eben so tief geworden ist. In der Wien, durch welche man sonst an sehr vielen Orten ganz trocken fährt, sind gestern Abend schon viele Menschen und Pferde verunglückt. Jetzt eben sah ich zum Fenster hinaus; schon eine Finsterniß wie diese – eine wirklich absolute – erlebte ich nie; der Regen fällt unaufhörlich ganz senkrecht, in solcher Profusion, daß man die tiefsten Gefässe in einer Viertelstunde angefüllt sieht. Jetzt ist es gerade 72 Stunden, daß diese Wirthschaft ihren Gang geht. <55:>

Seit sechs Tagen verließ ich meine kleine Stube nicht, und sah nicht vier Menschen. Aber in welchen high spirits rücke ich auch mit meiner Arbeit fort! So etwas Gutes habe ich noch niemals geschrieben. Sie wissen, daß ich seit mehreren Jahren immer mit einem gewissen Juppe arbeite; dießmal bin ich ganz entzückt von dem, was ich hervorbringe. Gedanken, Numerus, Cadence, Rhythmus, alles fließt von selbst. Gute Nacht! Ich glaube im Ernste, daß die Welt bald untergeht.

Freitag früh um 8 Uhr.

Denken Sie sich das Schauspiel, was ich so eben erblicke. Die ganze Wiese vor meinen Fenstern, die von allen großen und kleinen Flüssen, wer weiß wie weit entfernt ist, Ein See; das kleine Gerinn, wovon ich Ihnen gestern schrieb, ein wahrer Waldstrom, mit fürchterlichen Wellen einherbrausend, alle Landstraßen durchrissen, und Wasserströme von allen Seiten einbrechend. Ich bin völlig abgeschnitten, und wohnte ich nicht eine Treppe hoch in einem steinernen Hause, mir würde Angst werden. Der Regen hat die ganze Nacht, sogar mit verstärkter Heftigkeit, gedauert; er fällt jetzt noch immer ganz senkrecht, und so voll und schwer, als wenn in einem Tropfen zwanzig gewöhnliche steckten. Die gottlosen schwarzen Wolken laufen noch immer über die graue Unterdecke hin; es ist eine Wirthschaft zum Erbarmen. Klar ist es, daß noch in 24 Stunden kein Aufhören erfolgen kann. – Möchte sich doch das Wetter bis in die Schweizer Alpen erstrecken, und den Rhein so anschwellen, daß die Franzosen, wenn sie den Uebergang versuchten, mit Mann und Maus ersöffen.

Sonnabend früh.

Der Regen dauert noch immer, aber seine eigentliche Wuth ist gelegt, auch hat die Ueberschwemmung abgenommen. Sie erinnern sich gewiß der Brücke vor Schönbrunn, und wie man gewöhnlich dort wenig oder kein Wasser gewahr wird. Denken Sie sich nun diese Wien, wie ich sie gestern sah, nicht bloß den ganzen Raum zwischen ihrem Bette und dem Schloßgarten, sondern selbst den ganzen Schloßhof bedeckend, und thurmhohe Wellen schlagend, so daß, wenn ich zum erstenmal nach Wien gekommen wäre, und mir einer gesagt hätte, dieß sey die Donau, ich davor erschrocken seyn würde. Dieß war der fürchterlichste Regen, den ich je erlebte. – Heute ist mittelmäßiger Wind, die Wolken haben ein zerrissenes Ansehen und die Regentropfen fallen einzelner. <56:>

Was sagen Sie zu diesen rein meteorologischen Briefen? – Was sagen Sie dazu, daß ich den größern Theil des gestrigen Tages im Bett mit dem Fieber zugebracht habe, dadurch aber, Gottlob, nicht verhindert worden bin meine Arbeit fortzusetzen? – Heute Abend kommt Graf Haugwitz hier an; die ganze preußische Armee wird mobil gemacht; es scheint, daß man nichts geringeres als diese Maßregel für nöthig hielt, um dießmal die Neutralität zu behaupten, und das ganze Verhältniß würde mir große Besorgnisse erregen, wenn ich nicht von der persönlichen Ankunft des Kaisers von Rußland, und seiner höchst wahrscheinlichen Entrevue mit dem Könige alles möglich Gute hoffte. Bonaparte schweigt. Kein Nötchen erscheint mehr im Moniteur. Er will vermuthlich nicht anders mehr als im Kanonendonner mit uns sprechen.

Ein vorgestern angekommener englischer Courier hat uns Nachrichten aus London bis zum 10. gebracht. Man war in einem allgemeinen Entzücken über den Aufbruch des Boulogner Lagers, und über die Perspektive eines nahen Continentalkrieges. – Im Morning-Post vom 10. ist eine Stelle aus dem französischen Memoir, welches ich im vorigen Sommer über die Anerkennung des Kaisertitels schrieb, und welches Sie wohl kennen (man sagt, es sey im Peltier ganz abgedruckt, welches denn Gottlob jetzt weiter nichts auf sich hätte), übersetzt, und mit einer kleinen Einleitung versehen, die ich mich nicht enthalten kann, für Sie abzuschreiben. – Wenn Sie nur meinen Brief an den König von Schweden bekommen haben! – In Ihrem Sinn ist dieser gewiß bei weitem das Beste, was je von mir geschrieben worden. Johannes Müller muß und soll Ihnen diese Piece communiciren; ich hoffe er that es schon; wo nicht, erinnern Sie ihn daran.

Mein Manuscript über den spanischen Krieg ist gerettet. Die Censur in Berlin hatte mir ungefähr einige 30 Stellen gestrichen!! und F. meinte, es könne ja wohl ohne diese gedruckt werden!! Johannes schreibt mir, sehr schmeichelhaft, es wäre ungefähr so, als wollte man die Philippischen Reden mit Auslassung aller Stellen gegen Antonius drucken.

Gott behüte Sie, lieber Freund, und lassen Sie bald von sich hören.

Geendigt 28. September.

G.

Was macht Sigismund? <57:>