Briefwechsel

37.

Brünn, den 13. November 1805.

Am 8. Abends um 8 Uhr fuhr ich von Wien ab. Der Weg zum Grabe kann nicht viel herber seyn, als dieser mir war. Auch ist kein Leichenbegängniß wohl je feierlich schwärzer gewesen, als dieser Abzug aus Wien in einer dicken, finstern Nacht, hunderte von Wagen und Kaleschen, und Transportfuhrwerken und Pferden auf allen Seiten; die panische Furcht, Franzosen (wir wußten, daß deren auf dem linken Donauufer waren) zu begegnen, nie ganz fern; die Gegenwart trüber als die Nacht, die Zukunft in einen Schleier, als läge eine Welt dazwischen, gehüllt. Ich fuhr mit dem Geheimenrath v. Fasbender in einem Wagen, unsere Bedienten in einem zweiten; wir hatten nichts als eigene, freilich starke und gute Pferde. Postpferde waren nicht mehr zu haben; es ist mir unbegreiflich, wo überhaupt zu allen den grenzenlosen Fuhren und Transporten, die seit 14 Tagen von Wien aus geschehen, noch Pferde in hinlänglicher Anzahl vorhanden waren; in den letzten Tagen setzte man sogar die in der Stadt noch vorhandenen in Requisition, und es war keine geringe Arbeit, wenn <63:> man auch schon mit allen Pässen zur Abreise versehen war, nun noch einen Pferdepaß zu bekommen. – Wir fuhren vier Posten die Nacht hindurch; am Sonnabend Morgen ließen wir die Pferde drei Studen ruhen, dann fuhren wir die zwei Posten nach Nicolsburg, die erste mährische Stadt; dort gab uns Paget ein gutes Diner, und ich schlief hierauf (mein einziges Labsal im Kummer!) von 8 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens sehr gut. Sonntag fuhren wir nach Brünn, von wo ich Ihnen schreibe. Die Idee, nach Ollmütz zu gehen, scheint aufgegeben, und Gott sey gedankt dafür! Ollmütz soll ein garstiges Nest seyn, Brünn hingegen ist eine geräumige, wohl gebaute, angenehme Stadt. Hier ist nun der Hof, die Minister, das Corps diplomatique, eine ungeheure Menge von Großen und von Fremden versammelt. Es war ein recht sonderbarer Eindruck, als ich am Sonntag hier abstieg, und bei Paget – der sein ganzes Haus mit sich hat und wie in Wien lebt – auf einmal eine Menge Menschen aus verschiedenen Theilen von Europa, die der Zufall hier alle zusammenführte, versammelt antraf: Lord Leveson-Gower (Ambassadeur von England in Petersburg), mein Freund Stuart mit ihm, General Ramsay, so eben von London gekommen, Stratton, gerade am Tage der allgemeinen Emigration aus Konstantinopel angelangt; außerdem Rasumoffski, Mallia, Graf Hardenberg &c. – Morgen wird der Kaiser von Rußland hier erwartet.

Nach aller Wahrscheinlichkeit sind die Franzosen heute in Wien eingerückt. Man hat ihnen noch vor drei Tagen einen Waffenstillstand angeboten; ihre Bedingungen waren aber so empörend, daß die Regierung sie gleich mit Unwillen verwarf. Es ist mir nicht wahrscheinlich, daß Napoleon selbst nach Wien hinein geht. Denn für seine Eitelkeit wäre es – so scheint es mir wenigstens – nicht eben sehr schmeichelnd, sich in ein leeres Nest zu setzen, wo nichts von Ansehen und Gewicht zurückblieb. Die Emigration war so allgemein, daß selbst der spanische Botschafter durch nichts zu bewegen war, in Wien zu bleiben. Gegen wen sollte er also groß thun? Zwei Minister und ein halb Dutzend große Familien, die nicht abreiseten, weil der Hof wünschte, daß einige von Bedeutung in der Stadt blieben, werden ihm keinen glänzenden Hof machen.

Doch thue er was er wolle, lange dauert diese Comödie nicht. Alle meine politischen Combinationskünste müßten mich trügen, oder es <64:> droht ihm ein neues Ungewitter, das er gewiß in der Stärke nicht erwartet, in welcher es über ihn ausbrechen wird. Ich kenne noch nicht das Resultat der Conferenzen zu Potsdam, aber ich erhielt am Tage meiner Abreise von Wien einen Brief aus Berlin, mit dem sich eine neue Welt vor mir eröffnet hat. Der König von Preußen ist nun – ich wette mein Leben darauf – mit Leib und Seele unser. „Er wird negociren“, so schreit und klagt man um mich her. Ja! er wird negociren; aber geben Sie nur Achtung, wie. Ein Friede, wie wir ihn wünschen, besser, weit besser, als wir nach unsern Unglücksfällen ihn hoffen durften, oder – Krieg mit der ganzen preußischen Macht, so wird, glauben Sie an mich, die Negociation lauten. Wir sind gerettet. Wer hätte je geglaubt, daß dieser König eine solche glorreiche Rolle spielen sollte! Er ist jetzt das Haupt der Christenheit wider den Erbfeind geworden. Gott segne seine Unterhandlungen oder seine Waffen!

Was sagen Sie zu dem Meteor in Wesel? (Berliner Zeitung vom 5. November.) Was zu dem am 11. Oktober zu Wien und auch zu Lyon gefallenen Schnee? Und das Austreten der Donau gerade in den Schreckenstagen von Ulm! – Noch am Tage vor meiner Abreise von Wien zeigte mir Frau v. Matt, die ich seit sechs Monaten nicht sah, einen Brief von Ihnen, der sehr köstliche Sachen für mich enthielt. Aber warum schreiben Sie mir nicht? – Jetzt würden Sie mich nun ganz außerordentlich erquicken. Thun Sie es doch, ich bitte Sie, ohne Aufschub, und adressiren Sie immer bis auf weiteren Bescheid: à Brünn, poste restante.

Im Beischluß erhalten Sie noch zwei besondere Aufträge. Vernachläßigen Sie sie nicht. Schreiben Sie mir auch Ihre Adresse, damit ich unmittelbar an Sie couvertiren kann.

Gentz.