Briefwechsel

42.

Breslau, den 25. December.

Ich habe heute (warum erst heute!) Ihren vortrefflichen Brief vom 16.-20. bekommen, die beiden früheren durch Antoine, den ich, mit unaussprechlicher Freude, am 17. hier anlangen sah. Ihr großes Herz, Ihr emporstrebender überirdischer Geist dringen aus jeder Zeile Ihres letzten Briefes hervor; aber Sie kennen die Menschen und die Dinge nicht genug, und geben sich daher noch immer eiteln Hoffnungen hin. Jetzt ist es wirklich rein aus mit Europa. In der Periode vor diesem unseligsten der Kriege sagte ich oft auch: es ist aus! aber ich wußte, daß es noch Mittel gab, und ich sagte es nur, um die, welche diese Mittel in Bewegung bringen sollten, anzuspornen. Jetzt sage ich es mit inniger Ueberzeugung, und so, daß ich mich (bei dem lebendigen Gotte!) für gewissenlos halten würde, wenn ich noch irgend Jemanden zureden wollte, etwas zu unternehmen. Es kann nichts mehr gelingen. Dieß verzweifelte Geständniß ist nicht etwa die Frucht einer inneren Muthlosigkeit; Sie würden sich wundern, wie fest, wie ruhig, wie unerschüttert ich bin; es ist das Resultat einer tiefen Kenntniß des jetzigen Zustandes von Europa, die ich nur durch ein Studium, wie vielleicht keiner es machte, durch vieles Glück, und durch viele Schmerzen erkauft habe. Die Schlacht von Austerlitz, der Waffenstillstand Oesterreichs, die preußische Negociation in Wien, und alles, was zu diesen drei Hauptschrecknissen als vorbereitender, begleitender oder abgeleiteter Umstand gehört, was <73:> sich hier nicht einmal berühren, viel weniger erschöpfen läßt, zerstört jede Illusion über die Zukunft. Die Schlacht von Austerlitz ist in meinen Augen tausendmal verderblicher als die bei Ulm gewesen; diese vernichtete eine österreichische Armee, jene tödtete die Coalition, und, wie ich glaube (denn was Sie von einer vierten Coalition träumen, verstehe ich nicht einmal), den Keim zu allen künftigen Coalitionen. Wären Oesterreich und Rußland vereint geblieben (dann konnte Preußen sich nicht mehr zurückziehen, das weiß ich, und hätte sich auch nie zurückgezogen), so lebten noch mancherlei – nicht mehr glänzende, aber doch tröstende Aussichten. In dem Augenblick hingegen, da ich vernahm, daß und wie der Kaiser von Rußland davon geschickt worden–

Tunc vero omne mihi visum est considere in ignes

Ilion, et ab imo verti Neptunia Troja!

Durchaus verzweifeln, ist unerlaubt, unnatürlich, unmöglich. Es wäre gegen alle Grundgesetze der moralischen Welt, gegen das Gesetz der Stetigkeit, gegen die Denkbarkeit einer Geschichte, daß eine große alte Welt so vor unsern Augen untergehen sollte, ohne daß irgend eine Maschine, irgend ein inneres oder äußeres Gegengewicht sie aufzuhalten, wenigstens den Fall zu verzögern vermöchte. Ich glaube, es gibt noch Mittel; aber sie sind gewiß von einer ganz neuen, bisher noch kaum geahndeten Art. Mein einziger Trost (jetzt kenne ich sie noch nicht) ist der, daß, sobald sie irgendwo aufdämmern, ich immer einer der ersten seyn werde, die sie erkennen, begrüßen, umfassen, beleben und befruchten. Für diese dunkle Zukunft – bloß mit Gefühl, Glauben und lebendiger Hoffnung berühre ich sie – schlägt nunmehr mein Herz, da die Unmöglichkeit, aus den vorhandenen Materialien irgend eine rettende Combination zu schaffen, meinem Geiste erwiesen ist.

Doch dieß alles, mein vortrefflicher Müller, werden wir nächstens – mündlich verhandeln. Ich komme nach Dresden, und zwar bald. Ich freue mich recht kindlich, Ihnen diese Nachricht geben zu können. Ich reise wahrscheinlich schon in drei Tagen von hier ab. Die Annehmlichkeiten von Breslau (wo ich mit der äußersten Distinction, und selbst mit Liebe aufgenommen worden bin) habe ich erschöpft; der Ort ist mir zu sehr sequestrirt; ich bin zu abgemattet, um ohne große Bewegung bestehen zu können, und hier ist nichts als die Ruhe glücklicher Schatten. <74:> Mein Plan ist, Montag (30.) von hier ab, und über Liegnitz, Görlitz &c. nach Dresden zu gehen. Sehr schnell reise ich nicht, und ich fürchte überdieß, wenn nicht in diesen Tagen noch Frost eintritt, sehr schlechte Wege. Ich werde also leicht vier oder fünf Tage unterwegens seyn; ich schreibe Ihnen von da aus, wo ich den Tag meiner Ankunft mit Sicherheit bestimmen kann. Ich schreibe heute auch an Buol, bitte ihn aber, so wie ich Sie bitte, gegen Niemanden zuvor davon zu sprechen. Meine englischen Bücher kommen sämmtlich wieder mit; ich begreife nicht recht, was Sie so sehr darunter gereizt hat; es ist doch eigentlich (außer Malthus, den Sie behalten konnten, weil ich ihn schon habe) nichts recht interessantes dabei. Bestellen Sie mir Wohnung bei Kind. Eine gute Stube für mich; eine andere für meine beide Kraus; ich bin glücklich genug, sie beide bei mir zu haben; eine ganz kleine für meinen Bedienten Leopold; Stallung für zwei Pferde. Bestellen Sie es vorläufig für die künftige Woche; den Tag können Sie ihm dann anzeigen, wenn ich Ihnen von unterwegens schreibe. Welche göttliche Gespräche mit Ihnen stehen mir bevor! Wie sicher sind Sie mir! Und welches Glück, wahre Freunde zu besitzen!

Gentz.

Sollte etwa, welches ich nicht wünsche, bei Kind kein Platz seyn, so sehen Sie zu, ob er mich nicht irgendwo in einem Nebenhause einlogiren kann; und in jedem Falle erwarte ich einen Brief von Ihnen in Görlitz oder Bautzen. Oder könnten Sie mir nicht nach Bautzen entgegen kommen? <75:>