Briefwechsel

123.

Heidelberg, 24. Juni 1815.

Sie werden es passend gefunden haben, daß ich unter dem außerordentlichen Trouble der letzten Tage die irgend erreichbaren Nachrichten in einer einzigen von mir selbst unter unzähligen anderweiten Seccaturen verfaßten Redaktion an Pilat adressirt habe.

Die Ereignisse in Brabant brauche ich nicht weiter zu erläutern. Blücher wurde am 16. aufs vollständigste geschlagen; die Ueberlegenheit der französischen Kavallerie, nicht sowohl an Masse, als an Contenance und Kühnheit über die preußische, entschied an diesem Tage. Zuvörderst focht die preußische Kavallerie in Linien, während die Bonaparte’sche in Massen; daß es die letztere durfte, ist ein Beweis der schlechten Direktion der preußischen Batterien. Dann aber kam fast keine preußische Kavallerieattake zu Stande, weil die einzelnen Regimenter nicht etwa geworfen wurden, sondern 200 Schritt vor dem Feinde kurzweg und ohne weiteres umkehrten.

Die preußische Infanterie schlug sich vortrefflich, konnte aber, unsoutenirt von der Reiterei, einer förmlichen Deroute nicht entgehen. Der Hauptfehler, wie ich von Augenzeugen weiß, war, daß Blücher, wie gewöhnlich, und selbst Gneisenau, die Sache zu leicht nahmen.

Bonaparte ist sowohl an diesem Tage, als am 18. bewunderungswürdig groß gewesen. Der einzige Fehler, den er gemacht, ist, daß er Blücher wirklich vernichtet zu haben glaubte, auch hatte er von Blüchers Stellung bei Vavres nur ganz dunkel Begriffe.

Wider Willen muß ich niederschreiben, daß Bonaparte, so vortrefflich die Dispositionen von Lord Wellington waren, doch nur durch den Charakter und den unerschütterlich kaltblütigen Willen des letztern geschlagen ist. Wellington hat hierin sowohl am 16. gegen Ney und Kellermann bei Quatrebas als am 18. bei Mont St. Jean das Unglaubliche bewiesen. Dort sah er von 7000 Engländern gegen 5000, und so neben sich den Herzog von Braunschweig fallen, hier alle seine Adjutanten einen nach dem andern verwundet oder todt vom Schlachtfelde tragen; der Tod von Delancey, die schreckliche Verwundung von Paget – beide persönlich und tief afficirend für ihn – erfolgten auf 3 bis 4 Schritte Entfernung von ihm. Seine Reihen sah er mit jeder folgenden Stunde dünner und dünner werden, <181:> so daß er zuletzt fast überall nur mit Einem Gliede focht. Als, im Pulverdampf verdeckt, um 4½ Uhr der wüthende Angriff der ganzen französischen Infanterie erfolgte, und es fast entschieden war, daß Blücher nicht kam, hielten alle die Sache für verloren: eine leichte Wendung seines Pferdes, ein halber Wink hätte hingereicht, um die Schlacht, die damals, wie Pfeil sagt, wirklich an einem Faden hing, zu verlieren. Wellington hat unverrückt und kalt bestanden. – Nun erfolgte der Succurs von Blücher; einzeln, unzusammenhängend, in unwillkürlichen Echelons rückten die verschiedenen Corps von Blücher (freilich seit dem 16. unglaublich geschwächt) ins Feuer. Die ersten wurden geworfen und hier war, nach der Erklärung Wellingtons, der größte Augenblick Napoleons, der, obwohl überrascht nach beiden Seiten hin, die Offensive behauptete, immer neue Corps aus dem Hintergrunde zur rechten Zeit vorzuschieben wußte, so daß eine gegenseitige Spannung der Sehnen und der Kraft erfolgte, die in der ganzen Kriegsgeschichte ohne Beispiel seyn mag. Als aber das letzte Corps von Blücher die Straße von Gemappe erreicht hatte, so erfolgte hier durch Zufall, was Bonaparte oft so meisterhaft und planmäßig bewirkt: daß nämlich spät gegen Abend von einer unerwarteten Seite her frische Truppen in das Gefecht geworfen werden. Bonaparte war nicht erschüttert, aber die gespannte Sehne des Bogens zerriß, die er hielt. Die Wirkung dieses Ereignisses, welches man, da es zuletzt ganz außer den Erwartungen Wellingtons lag, keine That nennen kann, war blitzartig. In wenigen Minuten stürzten alle französischen Massen und Waffengattungen durcheinander; alles drängte zurück, als wenn das Schicksal über Napoleon entschieden hätte und nun nichts weiter zu thun bliebe. Die Garden waren wie zersprengt, die Artilleriepferde und die des Trains ausgespannt, um die Flucht des Einzelnen zu beschleunigen. Kurz, es war die große That eines einzelnen Mannes, die auf eine ganz von seinen Dispositionen abweichende Weise von der Vorsehung mit einem unbegrenzten Erfolge gekrönt wurde. Nun übergab er Blüchern den Verfolg, und ging noch am Abend mit Vincent, Pozzo und den übrigen diplomatischen Generalen nach Brüssel. Der größte Beweis des completen Sieges war, daß er sich für jetzt überflüssig hielt.

Sie werden, ohne mein Zuthun, der vorläufigen Erzählung, die man zu Heidelberg drucken ließ (ich meine die in vier Folioseiten, welche in der Zeitung abgedruckt erscheint), die Flickerei ansehen. Knesebeck hat sie <182:> in 24 Stunden componirt, um den preußischen Ruhm einigermaßen über dem Wasser zu erhalten. Daß Blücher am 17. nach Vavres kommen durfte, wird die Nachwelt schwerlich mit der Größe Napoleons in diesen Tagen zu vereinigen wissen. Aber es ist gewiß, daß er die Preußen für seine furchtbarsten Gegner hielt, und daher durch den Erfolg des 16. vollständig geblendet war.

Wie habe ich es beklagt, daß mir nicht der Hauptbericht über diese Ereignisse zu Theil wurde, wie es der Fürst früher bestimmt hatte; aber man würde Knesebeck verletzt haben. Die Quellen meiner Arbeit wären gewesen: der Bericht des Generals Hügel an den Kronprinzen von Württemberg, die Berichte von Gneisenau und Pozzo, aus denen ich Pilat Auszüge geschickt habe, und die mündlichen Aussagen von Pfeil.

Unter dem Wirrwarr der Abreise nach Mannheim, die heute erfolgt, schreibe ich diese Zeilen. Erkennen sie darin meinen Willen, verehrter Freund! aber seit vier Tagen bin ich fast nicht eine Stunde zur Besinnung gekommen.

Vorgestern hatte ich die letzte Post an Pilat expedirt. Der Abend war unbeschreiblich rein und vergoldet; ich machte den ersten Spaziergang hinauf in das Schloß von Heidelberg, bekanntlich eine der schönsten Ruinen der Welt. Es war das erstemal, wo ich den Rhein, nur als einen kleinen, lichten Streifen, am Horizont erblickte. Ich gedachte alter Gespräche mit Ihnen über das nahe Ende der Dinge, und hatte dagegen ein so großes Gefühl von einer neuen kommenden Zeit, eine solche Morgenfrische des Geistes, die durch das eben geschehene Große wunderbar belebt wurde. Die Bildsäulen der alten Pfalzgrafen an den halbversunkenen Mauern des Schlosses schienen von der gewaltigen Vegetation wie verdrängt, wie eingeschnürt. Aber eine Bildsäule der Gerechtigkeit und einzelne Kreuze auf den verwitterten Zinnen des Schlosses strahlten in der untergehenden Sonne über alle Rieseneichen und Linden hinweg, die das untere Gemäuer verdeckten.

Warum fehlen Sie hier, mein liebster Freund! Vergessen Sie mich nicht.

Adam Müller. <183:>