Briefwechsel

125.

Adam Müller an Pilat.

Mannheim, den 26. Juni.

Heute wird die Ausbeute mager werden, wenn der Tag nicht noch etwas bringen sollte. Vorgestern haben wir von Heidelberg in das große Mannheimer Schloß übersiedelt. Gestern Morgen waren wir eingerichtet, als der Kaiser von Rußland anzeigte, daß er auch im Schlosse wohnen, und zwar den ganzen linken Flügel desselben brauchen würde. Nun mußte <184:> alles delogirt werden, und über den Arrangements ist der Abend mit Illuminationen und Festlichkeiten herangekommen, und für die Hauptsache nichts geschehen. Alles, was wir wissen, ist, daß Wellingtons Hauptquartier am 19. Abends zu Nivelles und am 21. zu Mons war. Ungeachtet des Vorrückens auf französischen Boden ist noch alles sehr still, da man sehr langsam vorgehen will, um mit der Frimont’schen Armee auf einer Höhe zu bleiben. Morgen, oder spätestens übermorgen, denken wir alle Mannheim zu verlassen, wohin, ist noch ein Geheimniß. Indeß erfolgt die unangenehmste Dismembration unserer Marschcolonne; man reducirt uns auf weniger Wägen, so daß ein Theil meiner Effekten wieder in Mannheim zurückbleiben muß, nachdem ich dergleichen schon in Heidelberg zurückgelassen habe. Daß Wessenberg für seine außerordentlichen Dienste das Großkreuz vom Stephansorden erhalten hat, werden Sie schon wissen. Uebrigens höre ich, daß er den Befehl hat, sich nach München zu begeben, wodurch die Ernennung Hügels – wozu ich Herrn v. Schlegel gratuliren würde – um so wahrscheinlicher wird.

10 Uhr Vormittags.

Eben erhält Stuart Depeschen bis zum 23. Ich schreibe den Inhalt so nieder, wie ihn Graf Mercy mir so eben erzählt, und behalte mir vor, nachzutragen, was vor Abgang des Couriers noch Näheres zu erfragen seyn möchte. Blücher war an diesem Tage schon über Maubeuge hinaus: ein Beweis der vollständigsten Niederlage, daß Napoleon sich im verschanzten Lager bei Maubeuge nicht wieder aufzustellen versuchte. Die Deroute war unbegrenzt. Die Beute an weggeworfenen Gewehren, die an der Straße aufgelesen wurden, ist sehr groß. Blücher hat alle, aber alle Effekten Napoleons genommen; unter andern seine sämmtlichen Diamanten, die er der Prinzessin Charlotte, als Beitrag zum Brautschmuck für ihre Vermählung mit einem preußischen Prinzen, zu Füßen gelegt hat. Das Hauptquartier Wellingtons am 23. werde ich hoffentlich vor Abgang des Couriers nachtragen können: er war über Mons hinaus, indeß rückt der Herzog langsamer vor.

Eben kommt Stuart selbst: er weiß nichts weiter. Ueberhaupt grenzt die Unbestimmheit englischer Depeschen, deren ich in diesen Tagen nur zu viel kritisch zu sichten im Fall war, ans Unglaubliche. Meine Ihnen, liebster Pilat, übersendeten Darstellungen der Vorgänge bis zum 19. sind noch <185:> bis heute die besten und vollständigsten, welche Sie aus dem Hoflager erhalten können.

10½ Uhr. Rohan kommt von Knesebeck (j’aime à citer mes auteurs), der so eben einen Militärcourier erhalten hatte. Alle Aussagen stimmen von den verschiedensten Seiten dahin zusammen, daß die große französische Armee wirklich und definitiv aufgelöst ist.

Am 18. um 5 Uhr war das Feldgeschrei der Franzosen noch vive l’Empereur; um 8 Uhr allgemein: sauve qui peut. Die einzelnen Corps wurden in der Nacht vom 18. zum 19. nicht etwa auf der Straße fortgetrieben, sondern links und rechts in Sümpfe und Wälder zersät, so daß eine Gefangennehmung nicht erst statt zu finden brauchte. Aller Berechnung nach muß Blücher heut bei Laon angekommen seyn.

Sie erinnern sich, daß Napoleon am 18. Nachmittags ein Corps gegen Vavres detachirt hatte, welches Blücher dem Thielmann überlassen mußte. Thielmann hatte es auf seine eigene Hand geschlagen, aufgelöst und in die Ardennen zersprengt. Vandamme, der es commandirte, war, schwer verwundet, in der Gegend von Namur über die Maas geflüchtet.

Die Nachricht von der Gefangennehmung des Generals Travot in der Vendée, wegen der die Denunciation mehrerer Pariser Journale bei der assemblée (nicht constituante, sondern) violemment murmurante erfolgte, soll durch direkte Nachrichten aus Gent bestätigt worden seyn. Indeß kann man sich den Allarm in Paris denken, da diese Nachricht und die von der Niederlage Napoleons ungefähr zu gleicher Zeit in Paris eintrafen.

Bei allen diesen Umständen kann ich nicht umhin, die ungemeine Unfähigkeit der meisten Menschen für die Betrachtung und Beschreibung großer Ereignisse zu beklagen. Was ich von den englischen Depeschen sagte, gilt in einem gewissen Maße von allen Berichten und Aussagen. Gneisenau ist der einzige, der wenigstens klar, dafür aber auch mit allen möglichen poetischen Licenzen schreibt. Bestätigen Sie Herrn v. Gentz, daß die ihm gegebene Darstellung der Schlacht das unparteiischste und wahrste bleibe, was sich bis jetzt über jenes Ereigniß irgend auffinden lasse. Wir leben in einer grundliederlichen und schlauderischen Zeit.

Ich schicke Ihnen mit Lebensgefahr gestohlene Zeitungen. Sie sollen wenigstens nicht sagen, daß ich die, mit denen ich es redlich meine, wie mit Ihnen, je vernachlässige.

Adam Müller. <186:>

P.S. 12 Uhr Mittag.

Eben läuft das Schreiben des Generals Rapp aus dem Hauptquartier Weißenburg, 24. Juni, an den Kronprinzen von Württemberg mit der Anzeige ein, daß nach einer telegraphischen Depesche Napoleon die Krone zu Gunsten seines Sohnes abdicirt habe, und daß Fouché, Carnot, Quinette, Caulaincourt und General Grenier von den beiden Kammern als Regierungscommission niedergesetzt worden sind. Besondere Commissarien dieser Commission würden bei den verschiedenen Souveräns eintreffen, und diese Umstände würden wahrscheinlich changer les dispositions hostiles de LL. MM. Ein ähnliches Schreiben von Mariage, Adjutanten von Belliard, an Lambert, der Wredens Vorposten commandirt. Lambert bewilligte, auf französischen Antrag, einen sechsstündigen Waffenstillstand, den indeß Wrede nicht ratificirte.