Briefwechsel

129.

Vicq (bei Nancy), den 4. Juli 1815.

Sie erhalten dieses Schreiben, mein verehrter Freund, von einer ganz andern Stelle her, als wo Sie mich bei Abgang Ihres Briefes vom 27. (mit dem Anschluß nach Freiburg) wähnten. Ich gestehe, daß ich diesen Irrthum selbst veranlaßte, jedoch mit voller Befugniß, wie denn der Brief von gestern an Pilat hiervon die volle Explikation enthält. Gott sey gedankt, daß die Unfälle Blüchers am 16. Juni das dumme Projekt des Marsches auf Basel vereitelten. Die Straße von Straßburg auf hier ist, mit Ausnahme der unsichern Vogesen und des mit einigen Briganten besetzten Waldes zwischen Saarburg und hier, so viel annehmlicher und gastfreundlicher, als die über Vesoul und Langres, daß wir uns zu dieser Veränderung nicht genug Glück wünschen können.

Ihr Brief vom 27. belebt das herzliche Vertrauen, welches ich an der besten Stelle meines Herzens zu Ihnen zu nähren nicht aufgehört habe, so sehr, daß ich die stille Pfarrei von Vicq und meine einsame Wohnung darin nicht besser zu erfüllen weiß, als mit dem Gedanken an Sie, und dem geschäftigen Bestreben, Ihnen etwas zu berichten, was Ihrer Aufmerksamkeit werth sey.

Selten haben wir das Geheimniß unserer Schwäche so verrathen, als in diesem für die Alliirten so glänzenden Augenblick. Ein Krieg ohne Manifest ließ sich hören, und war nicht ohne précédent; aber ein Krieg ohne die Möglichkeit eines ordentlichen Friedensschlusses, da das Subjekt, der Gegentheil fehlt, mit welchem man abschließen könnte, ist gewiß unerhört. Die Pariser sind früher überzeugt, als wir, daß es auf eine <193:> Restauration der Bourbons ankomme, und wir müssen eigentlich aus den Pariser Zeitungen erfahren, daß wir einen bloßen europäischen Gleichgewichts- und Traktaten-Exekutionskrieg geführt haben, und daß uns die läppische Declaration der englischen Regierung, welche mit den Rechten einer großen Nation hurte, eigentlich erst recht aufs Eis geführt hat.

Ueber die Frage (die viel besprochene), was mit Napoleon zu thun sey, gäbe es eigentlich nur die schlichte Auskunft: daß er den königlichen Tribunalen zu überliefern sey. Statt dessen fordern ihn die Alliirten, ohne zu wissen, was mit ihm anzufangen sey. Nun werden Sie <sic!> ihn zwar nicht zu bewachen haben, er wird leben, in einer gewissen Unabhängigkeit leben, weil er leben muß; jedoch hat ein so halbes, unzusammenhängendes Betragen der Kabinette in einem so großen und glücklichen Augenblick etwas Niederschlagendes. Waren wir consequent und schrieben, ohne nach solchen Albernheiten als die Stimme einer großen Nation zu fragen, das Jahr 1815, so zusammenhängend als Ludwig XVIII., das einundzwanzigste seiner Regierung, so war das göttliche Recht aller Throne auf ein halbes Jahrhundert durchgesetzt, während jetzt ihm gegenüber das lächerliche Recht der Völker, eine Art von Willen zu haben, von ganz Europa wenigstens auf eben so lange anerkannt ist.

Wir sind bis jetzt einen großen Theil des Elsasses und Lothringens durchstreift, und eine ganz ordinäre Spitzbubenbande ausgenommen, hat die große Nation uns nichts von ihrem Willen spüren lassen.

So hat es kommen müssen: das Erstgeburtsrecht der Throne hat sich behauptet, aber eine Art von Gespenst – Talenten- und Ideenrespekt, Volkssouveränitätstraum – hat von allen europäischen Mächten zehn Jahre nachher in feierlichen Traktaten anerkannt werden müssen, nachdem es nur noch in dem Munde einiger Pariser Redakteurs, einiger Freiheitsphilister existirte; zehn Jahre nachdem der letzte wahre Hauch jener Begeisterung für eine Regeneration der Welt durch die Jugendkraft neuer und leichter Begriffe verathmet war; und genau in dem Augenblick, wo auch die Religion der Adler, der bloßen physischen Kraft, des abgeschmackten Ruhmes zu Schanden werden sollte.

Liebster Freund! wer möchte die ewige Hand verkennen, welche uns, an der Spitze von 700,000 Mann, einem gewissen Geheimniß des Glaubens huldigen ließ, einer Kraft der Ideen, die allerdings in den europäischen Völkern schlummert, und die, unter dem barbarischen Namen der <194:> Volkssouveränität, unverständig, aber um so siegreicher gerade dann anerkannt wurde, als es ausgemacht war, daß sich für die Volkssouveränität eigentlich kein Finger in ganz Europa mehr rührte.

Es ist ein empörender Unverstand, von dem Willen und der Thatkraft der Völker zu reden, ohne das Maß der Ideen zu haben, welches sie vereinigt und bewegt; und dann, an die Haltbarkeit einer Idee (also einer Volksstimmung) zu glauben, die nicht durch höhere Offenbarung unwiderstehlich da ist.

Dieß sind die natürlichen Empfindungen auf einer Reise durch Frankreich im Jahre 1815 an der Spitze von mehr als einer halben Million schwer bewaffneter Menschen und mehr als 400 Batterien des schwersten, auserlesensten Geschützes, die einen Feind suchen und ihn nicht finden. Ihr gutes Geschick hat Sie von diesem fast wesenlosen Schauspiele zurückgehalten. Außer einer gewissen feierlichen Muße, die man nur in ganz großen Städten und in der Umgebung so kolossaler Armeen empfindet, und die leicht und geschwind die in der Menge so recht einsam werdende Seele zu dem Höchsten verleitet, dessen sie fähig ist – hätte Ihr Geist hier wenig zu genießen. Für mich ist es eine unschätzbare Quelle der Bestärkung in dem, was ich für das Höchste achte. Wenn ich nach dem Schwindel der Metternich’schen Kanzlei, wo alle Gesandten und Generale der Welt in dem engsten gedenkbaren Raum gepreßt den unsinnigsten Lärmen verführen, wieder in den Winkel meines Wagens zurückkehre – dann ingredior ad altare Dei, ad Deum, qui laetificat juventutem meam.

Liebster Gentz! vergeben Sie, wenn ich unter den Weltgeschäften vielleicht durch den Reichthum der Pilat’schen Sendungen einen guten praktischen Eindruck auf Sie mache, daß ich alles wieder mit diesen Träumereien oder Bizarrerien, wie Sie es nennen, bei Ihnen verderbe. Aber warum soll ich es Ihnen nicht sagen? Es würde mich nun einmal mehr, als die außerordentlichen Höhen, von denen Sie sprechen, reizen, Sie zu bekehren und Ihnen in einem einzigen Kauf alles das unendlich Viele zurückzugeben, was ich Ihnen schuldig bin.

Was meine hiesige Wirksamkeit betrifft, so verstehen Sie selbige falsch. Ich wäre zu manchem Geschäfte fähig, ruhig, übersichtiger, besser als Mehrere andere fähig; aber der Fürst wird mir das Zeugniß geben, daß ich die Gelegenheit eher vermeide, als suche. Ich sehe ihn oft tagelang <195:> nicht, nie, ohne daß er mich rufen läßt, was auch nicht allzuoft geschieht. Indeß habe ich, wie der Augenschein gelehrt haben wird, alle Anstalten so getroffen, daß Pilat, dem ich ohne Schlauigkeitsorgan meine recht aufrichtige Freundschaft beweisen will, nichts entgehen kann. Bis heute habe ich keinen andern Zweck gehabt, als den österreichischen Beobachter. Der Fürst ist in seinem schönen Naturell kalt, liebt leidende, ganz hingebende Organe: wie möchte ich mit der sehr positiven Gluth meines Herzens für bestimmte Dinge, die, da sie nicht ausbrechen darf, sich in so vielen Bizarrerien und Unarten äußert, ihm gefallen, oder der Mann werden, der bei ihm etwas gelten kann?

Von ihm heißt es zumal–

Doch, wem wenig dran gelegen

Scheinet, ob er reizt und rührt,

Der beleidigt, der verführt.

Daher läugne ich nicht, daß ich ihn in diesem näheren Verhältniß recht ordentlich lieb gewinne. Aber es ist halt eine Liebschaft, wie der Mondes und der Sterne, die zu entfernt bleiben, als daß man sie begehren könnte. Wie wenig begehrungswürdiges außer ihm hier vorhanden ist, wissen Sie besser als ich. Indeß stehe ich mit den andern gut und freundlich.

Erfreut bin ich, daß nun – freilich um den Preis des höchst amüsanten Napoleon – die innern Angelegenheiten der Welt endlich an die Reihe kommen sollen, und daß für meine Weisheit nun endlich eine Art von Markt aufgethan wird. In diesen Stücken brächte ich es gern zu etwas; da, mein Freund, helfen Sie mir nach, wo Sie können.

Gott sey es geklagt, wie man mit dem körperlichen Menschen in einem solchen Kaisergefolge umgeht. Die Wohnungen wären nicht schlecht, da ich mir einmal meinen Rang gegeben, und hiernach im Ganzen immer wohl besorgt werde. Aber der Reisewagen! Wenn man ein nomadisches Leben zu führen bestimmt ist, und aller Comfort, den man in seiner Haut fühlt, sich in dem Ideal, nicht eines Hauses, welches zu viel wäre, aber eines Reisewagens aufgelöst hat, und dann bei einer so beschwerlichen, langsamen Fahrt erst mit einem andern wildfremden Menschen in einem höchst mittelmäßigen Wagen eingewiesen wird, dann aber mit diesem Gefährten in den Wagen und zu den Sachen eines dritten eingepackt <196:> wird – so geschieht Einem für die unbegehrte Ehre doch zu viel. Denken und ermessen Sie, daß ich seit Mannheim in Florets Wagen und seinen Millionen kleinen Bedürfnissen mit Binder eingeladen bin, und das Gros meiner und Binders Sachen in Mannheim lassen mußte, von wo sie uns nun über Zweibrücken nach Nancy nachschleichen, weil zwei Wagen zurückgelassen werden mußten, weil zu viel Pferde gebraucht wurden – und dergleichen unhaltbaren Gründe mehr. Dafür habe ich aber auch so um mich gebellt, daß Floret und Kruft mich allezeit zärtlich anlächeln, wenn sie mir nicht lieber aus dem Wege gehen.

Sehen Sie, mein Liebster, mit solchen Unbedeutenheiten kann man einen Brief füllen, wenn man die rechte Lust hat, mit jemanden zu reden. Hätten Sie doch nur die thörichte Prätension, mir viel und auch von dem Geringsten zu schreiben.

Der Politik des Fürsten bin ich de bonne foi und trotz Ihnen ergeben. Ueber dieses große Kapitel werden Sie einen eigenen Brief erhalten. Ich werde sie in dem ersten Stück der Staatsanzeigen aus innerer Ueberzeugung vertheidigen: um so lieber, da ich wenigstens das mit Sicherheit weiß, daß ihm nichts daran gelegen ist, ob sie vertheidigt oder getadelt wird, daß er also meiner Schrift nicht die Absicht einer Bestechung unterlegt. Von äußern Dingen werde ich, was mir normalmäßig gebührt, erzwingen: das Uebrige erwarte ich von niemand geringerem als Gott, der weiß, wie viel von den Reichthümern und der Ehre dieser Welt ich mit meiner Frau und meinen Kindern brauche.

Mit der Diätensache ist es so weit, daß falls die Kammer mir die Tyroler Genüsse verweigern sollte, Graf Mercy einen eigenen Vortrag, Namens der Staatskanzlei, an den Kaiser macht, mit dem Beweise der Unmöglichkeit, sie zu verweigern.

Vergeben Sie mir, liebster Gentz, die Täuschung dieses Briefes, die ungeachtet der Ueberschrift der Adresse noch immer unerlaubt bleibt. Aber heute ging gerade nichts vor, heute mußte ich Ihnen gerade schreiben, heute war mein Andenken an Sie (wie rege auch immer) doch so besonders gesprächig, daß ich, mit Ihnen zu reden, von Stiefelklappen und anderm dummen Zeuge schreiben mußte, wenn mir nichts Besseres in die Feder lief.

In dem recht anschmiegenden Vertrauen des Mittheilens liegt so viel Süßes, daß es ohne Rücksicht auf den Gegenstand genossen werden muß. Lesen Sie aus diesem unbedeutenden Briefe das Gefühl aus den Chiffern <197:> heraus. Wären Sie hier – aber so wären Sie mit andern Dingen beschäftigt. Nein, in einsamen Bergthälern, wo keine Zeitung hindringt, im verschlossenen Reisewagen auf Straßen, die kein Minister dieser Erde befährt, da möchte ich noch einmal den ganzen Genuß aller Unterhaltungen mit Ihnen, seit den achtzehn Jahren, da ich Sie kenne, zusammenfassen, noch einmal wie in Gutenstein über das gebrechliche, halbe, unentschlossene Wesen dieser Erde mit Ihnen triumphiren, mich mit Ihnen über das nothwendige „Abstehen, Verschimmeln, Versauern“ aller unächten Größe (die nicht einmal einen jähen, herzhaften Untergang verdient), und über die nothwendige Unvergänglichkeit dessen freuen, dessen gemeinschaftliche und theilnehmende Empfindung uns verband, das an der Brütewärme eines großen Jahrhunderts gereift, mit uns gereift ist, und das, ich weiß es gewiß, die letzte, mehr betrachtende Hälfte Ihres reichen Lebens ausschließend erfüllen wird.

Adam Müller.