Briefwechsel

135.

Paris, den 5. August.

Unter den anliegenden Zeitungen fehlen nun noch drei Stück der Quotidienne und zwei der Gazette de France, die ich, wenn irgend möglich, nachtragen werde. An dieser ganzen Verwirrung ist niemand Schuld als Vincent, oder vielmehr sein melancholischer, odieuser Adjudant <204:> Scarampi, der die Zeitungen lesen will, und sich des Ihnen zu übersendenden Exemplars bemächtigt hatte, unter dem Vorwande, es sey dieses das Gesandtschaftsexemplar. Jetzt muß ich ihm nun die Zeitungen einzeln abwürgen.

Das Gerücht von der weißen und grünen (katholischen) Kokarde im Südwesten von Frankreich erhält sich fortdauernd. Angouleme soll mehrere vom König eingesetzte Präfekten abgesetzt haben.

Es muß nothwendig schlimmer werden, wenn man über die bloßen Gleichgewichtsreden hinauskommen soll. Darüber läßt sich freilich nur mündlich aus vollem Herzen sprechen. In welchem Maße ich mich von hier fortsehne, kann ich Ihnen nicht ausdrücken. Mißverstehen Sie mich aber nicht so, als ob ich irgend für Oesterreich besorgt wäre: es bleibt der Felsen im Meere. Der Fürst ist in der Kunst des Temporisirens der größte Meister, sein Takt in der ruhigen, unvorgreifenden Begegnung der Ereignisse bewunderungswürdig, so gelassen als kalt und unerschrocken, kurz der wahre Minister der auswärtigen Angelegenheiten für Oesterreich. Desto größeres Verdienst für ihn, wenn er eine lebhaftere, phantasiereichere Natur in sich unterdrückt, und nur das seyn will, was sich für Oesterreich gehört. Ich glaube immer, es sey besser, sich in dem, was Oesterreich ist, zu fügen, als ihm eine immer bedenkliche, kecke und unternehmende Rolle aufdringen wollen. Die Zeit wird kommen, wo das bloße Princip der Stetigkeit (nennen Sie es immerhin Zähigkeit) Oesterreich gerettet haben, und ihm dann frei gestatten wird, zu sagen, wie die Welt seyn soll.

Die Integrität Frankreichs scheint mir für Oesterreich nicht ganz so wichtig, als Ihnen. Kann seyn, daß ich hierin meinen Widerwillen gegen die Gleichgewichtsansichten zu weit treibe. Eine consequente Macht aber braucht unter der Geistesverwirrung der übrigen keine äußere Stütze; und welcher Gewinn für die Welt, wenn sie zuletzt durch ein positives Wort der Entscheidung, nicht aber durch Allianzen siegte!

Der Irrtum ist immer, daß man die Kriegslosigkeit nicht vom Frieden (die Negation nicht vom Negativen) zu unterscheiden weiß. Kriegslosigkeit (die Ruhe des todten Steines) kann das Gleichgewicht hervorbringen. Der Friede dagegen ist ein wirkliches, handgreifliches Glück; besteht nicht in der Nichtpräpotenz einer Macht, sondern in der schweren Präpotenz eines höchsten, allen gemeinschaftlichen Gutes oder Gottes. Diese <205:> Präpotenz würde viel leichter durch das Instrument einer einzelnen, als vieler Mächte hervorgebracht werden.

Vergeben Sie mir, daß ich philosophire, statt Nachrichten zu schicken. Wovon könnte ich Ihnen aber sonst schreiben, als allenfalls, Sich möchten sich überdenken, was es heiße, wenn zehn Regenten und Gouverneure en chef in einem und demselben Lande durcheinander regieren, verwalten, requiriren, proklamiren. Adieu!

Ihr

Adam Müller.

Ich bin in Paris in solcher dumpfen Agitation, für die es keinen Ausdruck gibt. Vorgestern wurde ich dem ganzen gelehrten Paris, Millin, Denon, Langlès, Visconti, Vanderbourg, St. Morys, Reinhard &c. in einer und derselben Gesellschaft vorgeführt. Heute speise ich bei Reinhard mit denselben.