Briefwechsel

143.

Ich wende mich an Sie, mein verehrter Freund, mit der Bitte, daß Sie durch die erste günstige Gelegenheit den Einschluß an das k.k. Generalconsulat zu Bukarest gütigst befördern wollen.

Der europäische Handel ist, nach allen den Erfahrungen, welche die gegenwärtige Messe darbietet, in einer höchst bedeutenden Krise. – Das <213:> englische Monopol geht mit raschen Schritten seiner Auflösung entgegen; unter einigen zwanzigtausend Handelsleuten, welche die gegenwärtige Messe bezogen haben, befinden sich kaum zwölf bis dreizehn englische Häuser von einiger Bedeutung. Die nichts destoweniger noch immer sehr beträchtliche Masse von englischen Waaren auf hiesigem Platze wird durch hiesige Commissionshandlungen vertrieben, d.h. verschleudert. Denn diese erhalten die Waaren von ihren englischen Committenten nicht nur auf einen sehr lang gehenden Credit, sondern mit einem bedeutenden Rabatt auf den Manufacturpreis, und sind in Ansetzung der Preise so unbestimmt, daß man wohl sieht, wie ihnen die Waare auf Diskretion überlassen worden ist. Die plötzliche Eröffnung aller europäischen Küsten für den englischen Handel mit Manufacturen und Colonialwaaren gab nächst der vorhergegangenen Continentalsperre der englischen Commerzialindustrie den zweiten, fast tödtlichen Stoß. Die Spekulationen fanden zugleich in allen europäischen und nordamerikanischen Seeplätzen Spielraum; die Vorräthe in England leerten sich auf unnatürliche Weise, und die Manufacturen arbeiteten mit verdoppelter Thätigkeit, um den betrüglichen leeren Raum auszufüllen.

In dem Innern des Continents und mit den Verhältnissen unserer Märkte waren die Engländer während der Sperre völlig unbekannt geworden; sie mußten sich also an dortige Commissionärs halten. Unzählige junge Anfänger in Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Braunschweig u.s.f. übernahmen das lockende Geschäft, und ließen sich von England aus mit ungeheuren creditirten Waarenvorräthen versorgen. Als nun die unermeßlichen Vorräthe an den Küsten landeinwärts, und die der großen Binnenmärkte expandirend zusammenströmten, entstand der unbeschreibliche Wirrwarr, der jetzt mehr und mehr zu Tage kömmt. Alle Solidität des Verkehrs war dahin. Dieselbe Waare wurde für den vollen Manufacturpreis und für ein Viertheil desselben zugleich verkauft, je nachdem der Käufer sich leichter oder schwerer bethören ließ. Die solideren Häuser in Deutschland vermieden den Verkehr mit englischen Fabrikaten und ließen sich lieber mit Sachsen, Niederländern und Rheinländern ein, wodurch unsere diesseitige Industrie wesentlich gefördert wurde. Und weil die englischen Verkäufer bald einsehen mußten, daß sie in die Hände aller Schwindler des Continents gefallen waren, so verbreitete sich nun eine große Menge von englischen Handlungsdienern, sogenannten Musterreitern, <214:>über den Continent, die, ohne sich an die Märkte zu halten, den Käufern direkt zu Leibe gehen, und zugleich auf unsere Muster Jagd machen, da die englischen Cattune in Ansehung von Form und Farbe bereits geschlagen sind, und der barbarische englische Druck so verdrängt worden ist, daß z.B. in der gegenwärtigen Messe keine bunte Waare als französische und deutsche gekauft worden, und daß ein Hauptzweig der Continentalindustrie jetzt darin besteht, die englische schöne weiße Baumwollenwaare aufzukaufen und in Frankreich, am Rhein, in Mühlhausen bedruckt wieder auf den Markt zu bringen. Selbst österreichische Muster sind bei der von mir veranstalteten Industrieausstellung von englischen Fabrikanten mit Gier aufgekauft worden.

So hat sich nun die bedeutende Branche des englischen Handels, welche den Continent umfaßt, in ein wirkliches Hausiren verwandelt, und alle Nachtheile zusammengenommen, können Sie mit Zuversicht voraussetzen, daß seit zehn Monaten England im Durchschnitt in Europa mit einem nicht geringeren Verlust als 30 Procent unter dem Manufacturpreis seine Waaren verkauft. Das bedeutendste Stück eines jeden Handelskapitals ist die Handelserfahrung: diese hat England durch die Sperre, wenigstens auf dem Continent, rein verloren. Rechnen Sie nun hinzu, wie das Verschleudern und Schwindeln und Hausiren den Credit zerstört, wie das bekannte Verunglücken aller Spekulationen auf Nordamerika die allgemeine Verwirrung vermehrt hat, und wie der Bankerott des brittischen Ackerbaus das Unglück vollendet, so hat Lord Castlereagh wohl Recht zu sagen, daß Vorsichtsmaßregeln gegen die mögliche Störung der innern Sicherheit erforderlich seyen, und daß die Minister zur Aufrechterhaltung eines großen Militäretats Gründe haben könnten, deren Gewicht erst zukünftig einleuchten würde.

Uebrigens ist die Messe, in Folge der russischen Tarifgeschichte, schlecht ausgefallen. Bei der unbestimmten Lage des Hauptkäufers, nämlich Rußlands, haben die Vermittler, nämlich die polnischen Juden, keine Geschäfte entriren könne. Besonders in den französischen Seiden ist die Stockung absolut. Erfolgt der Tarif, so erscheinen die russischen Kaufleute selbst auf der Messe: die Contrebande, also die polnischen Juden werden großentheils überflüssig. Nur im südlichen Rußland ist etwas zu machen. Der Vortheil des Tarifs ist also für unser Brody, das seine jüdischen Nebenbuhler in dem Königreiche Polen mit Manier los wird, <215:> und unter dem Schirme des Tarifs, bei der Handelsbarbarei des südlichen Rußlands, nunmehr ein viel combinirteres und gewinnreicheres Contrebandegeschäft treiben, und auch das nördliche Rußland mit französischen und deutschen Waaren überschwemmen kann. Der Transito von Brody bleibt, Dank sey es unseren Chausseen, allen preußischen Anstrengungen zum Trotz, in den Händen Oesterreichs von den böhmischen Bergen bis an die Grenze des südlichen Rußlands, also durch die ganze Länge unserer Monarchie. Erwägen Sie nun, mein verehrter Freund, daß dieser Transito nur zur letzten Michaelismesse ein Objekt von fünf Millionen Thalern Conventionsgeld betrug, daß hiervon 1½ Millionen in russischen Waaren (eigentlich nur Hasenfellen, Schweinsborsten, Wachs und Kupfer) von Brody nach Leipzig, und 3½ Millionen in französischen, englischen und deutschen Waaren von Leipzig nach Brody für Berditschew und Rußland gehen, so sehen Sie ein, daß die Fuhren für zwei Millionen Thaler leer nach Leipzig gehen, daß also Exporten unserer Manufacturen nach Leipzig schon in dem Transport große Erleichterung finden würden. Nunmehr aber ist durch das Zeugniß aller Kenner auf hiesigem Platze erwiesen, daß die Feintücher von Mähren, die ich mit den übrigen österreichischen Erzeugnissen ausgestellt, bei gleichen Preisen die englischen weit, aber selbst die niederländischen und sächsischen schlagen, wenn unser Curs sich nicht allzu jäh verbessern sollte; ferner daß unsere böhmischen Cattundruckereien eben so sicher überwinden, wenn man ihnen erlaubt, englische weiße Waaren gegen die Bedingung der bedruckten Wiederausfuhr einzuführen, oder wenn man ihnen für ihre eigenen gedruckten Güter, die sie ins Ausland führen, einen Rückzoll für das früher eingeführte Garn und Colonialfarbprodukt bewilligt; endlich, daß österreichisches Glas, Eisen und Metallwaaren durchdringen müssen, wenn man der Congreßakte gemäß die Elbe bis Hamburg für die böhmischen Schiffe von allen Stapeln befreit. Und so werden Sie sich nicht wundern, daß ich Graf Stadion posttäglich behellige und bedränge, unsern aktiven Verkehr gegen Nordwesten, d.h. gegen Leipzig, also durch Leipzig gegen die Märkte der beiden Frankfurte, von Naumburg, Braunschweig und Hamburg zu begünstigen, nachdem wir durch die jonische Republik und durch die Herrschaft der englischen Industrie im mittelländischen Meere unsere dortigen Märkte verloren, und durch die Colonialbegünstigung von Triest der einzige große Handelszweig, welcher gegen <216:> den Nordwesten der Monarchie besteht, absterben würde. Bedenken Sie, daß wir nach der Theilung von Sachsen (welche die berühmten Feinschäfereien dieses Landes nach Preußen überwiesen, also wie alles Preußische der Commerzialrepublik von Europa entzogen) die Gesetzgeber im Reiche der Feinwolle geworden sind, und daß unsere einzigen Nebenbuhler in den Feintüchern, Niederländer und Sachsen, dadurch von uns abhängig wurden, so werden Sie zugeben, daß ich mich nicht mit Chimären beschäftige. Unsere Fabrikanten haben mir auf der Messe große Ehre gemacht, und die Industrieausstellung war überhaupt einer der glücklichsten Gedanken, die mir je in den Sinn gekommen sind, zumal die Hofkammer mit so vieler Bereitwilligkeit entgegenkam. Wenn dereinst ein wahrer Wechselhandel zwischen Leipzig und Wien etablirt seyn wird, was bei lebhafterem Antheil unserer Industrie an den hiesigen Märkten nicht fehlen kann, dann werden Sie sehen, wie viel schon dadurch gewonnen, daß das für uns entehrende Monopol Augsburgs in dem Wechselhandel aufgehoben ist. Zu einer ordentlichen Börse gehört der direkte Einfluß aller umliegenden großen Handelsplätze auf dieselbe: der ausschließende Einfluß eines einzigen, wie bisher Augsburgs, ist der eigentliche Urquell alles Wuchers mit Papieren in der Neuburggasse.

Ich schreibe Ihnen flüchtig unter dem Drange der Meßgeschäfte, und hätte noch tausendmal mehr zu schreiben. Die Wissenschaft von Botzen und die von Leipzig ergänzt sich unvergleichlich. Wenigstens soll man sagen, daß ich ein wahrer Commerzialreferent für die Hofkammer seyn könnte, wenn ich dieses höchste Ziel auch nie erreiche.

Anbei Nr. 1 der Staatsanzeigen. Es ist hart, daß Sie mir nicht beistehen wollen. Sollte nicht die Tournure, die ich in dem Briefe des Elsäßers der schicklichen Verhandlung unserer Differenzen mit Rom gegeben, einigermaßen Gnade finden vor Ihren Augen? – Ueber meinen Aufenthalt in Berlin könnte ich ganze Bücher schreiben, wenn Ihnen damit gedient wäre.

Leben Sie wohl, liebster Gentz!

Den 13. Mai 1816.

Adam Müller. <217:>