Briefwechsel

146.

Weinhaus, 8. Juli 1816.

Es war meine Absicht, theuerster Freund, Ihnen über die beiden ersten Hefte Ihrer Staatsanzeigen mein Urtheil sehr ausführlich mitzutheilen. Ich hatte auch zu dem Ende schon vieles notirt; ich gebe den Vorsatz auf, weil mir ein fataler Schmerz am rechten Arm das Schreiben gar zu sauer macht, und dann auch, weil Sie offenbar bei meiner Kritik nichts zu gewinnen haben. Diese Kritik würde Ihnen nur den Eindruck schildern, den die Aufsätze dieser Schrift auf mich gemacht haben, und ich bin viel zu billig und viel zu bescheiden, um nicht im Zweifel zu bleiben, ob dieser, allerdings nicht günstige Eindruck, die Schuld der Schriftsteller oder die meinige ist.

Im Ganzen also nur so viel. Die Aufsätze tragen sämmtlich, die Ihrigen nicht ausgenommen, das Gepräge einer Zeit, einer Ansicht und <221:> einer Manier, in welcher ich mich wildfremd, unbehaglich, unheimlich, desorientirt fühle. Vieles verstehe ich nicht, theils weil es mir durchaus dunkel, theils weil es mir unreif oder verworren scheint, oft vielleicht nur, weil es von meiner Art zu sehen und zu denken so sehr abweicht, daß ich mich nicht darin zurecht finden kann. Was ich verstehe, befriedigt mich nicht. Allenthalben eine schneidende, stolze, angreifende Polemik, aber nirgends ein reines, bestimmtes Resultat. Es schwimmt mir alles, wie in einen Nebel von hohen Worten gewebt, durch welchen keine Figur in festen Umrissen hervortritt. Ich werde höchstens gedemüthigt, nie belehrt. – So war mir schon zu Muthe, als ich das Vorwort zu den Staatsanzeigen las; diese Gefühle verfolgen mich überhaupt bei allem, was seit einigen Jahren über staatswissenschaftliche Gegenstände in Deutschland geschrieben wird. Klarheit, Methode und Zusammenhang, die ich von jeher über alles schätzte, werden mir, je älter ich werde, desto unentbehrlicher; und diese scheinen nun aus der neuen schriftstellerischen Welt völlig verbannt zu seyn. Es kann seyn (ich sage es nicht etwa ironisch), daß der Grund davon in meiner eigenen Schwäche liegt, daß ich unfähig geworden bin, eine höhere Klarheit, eine gediegenere Methode, einen tieferen Zusammenhang, als die ich zu erschwingen vermochte, zu erkennen und zu fassen. Aber genug, so ist es in mir. Mein Geist strebt nach Gleichgewicht und Ruhe; und jetzt soll ich nun erst recht in ein Meer von Umwälzungen, von rückgängigen Bewegungen, von Phantasien und Paradoxien geschleudert werden, wo alle Karten und alle Sterne mich verlassen. Ich soll z.B. lernen, daß der Friede der Welt, die Bürgschaft der Staaten, die Verbesserung der gesellschaftlichen Verfassung &c. einzig und allein von der lebendigen Erkenntniß – der Menschwerdung Gottes abhängt! Ich soll glauben, daß das durchaus praktische Problem einer deutschen Bundesverfassung – welches man freilich hätte auflösen sollen, ehe man leichtsinniger Weise entschied, daß eine Bundesverfassung stattfinden sollte, ohne zu wissen, ob sie auch in irgend einer Form möglich sey – durch ein gewisses mystisches Lehens- und Glaubensrecht, womit ich nicht einmal eine deutliche Vorstellung verbinden kann, aufs Reine gebracht werden wird, nachdem ich vorher belehrt worden bin, daß es weder durch Souveränetät, noch durch Föderalismus, noch durch ein Oberhaupt, noch durch eine Constitution auflösbar ist. Herr Krug beweist mir in einem Aufsatze, der den falschen und höchst <222:> anstößigen Titel führt: „Wer soll Haupt des deutschen Bundes seyn?“ mit lächerlicher Weitschweifigkeit und Gravität, daß Preußen es nicht seyn soll (und an negativen Resultaten sind überhaupt die Staatsanzeigen nicht arm); aber wer es seyn soll, und ob überhaupt Einer, bleibt so unentschieden als zuvor; und noch muß man dem Himmel danken, daß er nur nicht weiter ging. – Provinzial- und Munizipalbehörden sind jetzt die großen Panaceen aller politischen Aerzte. Wo sie von Alters her bestehen, wie in England, mag man ihnen in Gottes Namen alles das zuschreiben, was man bisher der Organisation der obern Staatsgewalten zuschrieb, obgleich (in parenthesi) Montesquieu und Delolme wohl auch etwas davon wußten, und solche Stümper nicht waren, als man sie heute schildert. Wo sie bereits in einer gewissen Vollkommenheit existirten, wie in Frankreich, mag es heilsam seyn, sie zu ergänzen und zu beleben; und Fiévée, ob mir gleich sein hochmüthiger Orakelton sehr mißfällt, ist hierin wenigstens praktischer als Sie, und Rühl, und Niebuhr &c. Aber Munizipalverfassungen, da wo sie nicht sind, zu machen, ist denn das leichter, ist denn das nach Ihren und Ihrer heutigen Freunde Grundsätzen correcter, als Constitutionen machen? – Das alles geht über meine Fassungskraft. Ich bin zu alt, zu steif, zu stumpf für diese Sprünge. Ich will diejenigen nicht tadeln, die beweglicher, rüstiger und kühner sind. Nur für mich gibt es auf diesen Feldern keinen Platz mehr.

Ich habe Ihnen weit mehr Hartes und Böses gesagt, als eigentlich mein Wille war. Und doch muß ich Sie nun noch von einer Seite angreifen, die mir gar zu nahe liegt.

Ihr Urtheil über die Finanzoperation, dem meinigen durchaus gleichlautend, selbst in dem Punkte wegen der Anleihen auf Hypotheken, den ich unbedingt mißbilligte, war mir sehr willkommen, und Ihr Schreiben vom 18. v.M. hat mir reines Vergnügen gewährt. Vermuthlich werden Sie aber nun bereits wissen, daß der, gewiß vortrefflich combinirte Plan gleich in den drei Tagen seiner Vollziehung einen Stoß erlitten hat, der ihn zwar, mit Gottes Hülfe, nicht stürzen, von dem er sich aber nicht so schnell wieder erholen wird. Als die Operation am 1. Juli begann, stand der Curs auf 246, und die einprocentigen Obligationen, die ihn – als das veränderliche Element bei der Einlösung – heute eigentlich bestimmen, auf 17. Der Kurs ist auf 284 zurückgegangen, und wird vielleicht in acht Tagen wieder über 300 stehen, und die Obligationen <223:> fielen von 17 auf 12½. Und – quomodo vestram rempublicam tantam perdidistis tam cito? Das will ich Ihnen sagen. – Das Geschäft wurde gleich im ersten Augenblick durch unerhörte Mißgriffe besudelt; und da alle unsere namhaften Kaufleute geheime Gegner des Stadion’schen Planes sind, so warfen sie sich über diese Mißgriffe, wie Geier über eine Beute, und untergruben in dreimal 24 Stunden den Kredit der Bank. Die Stupidität des Publikums that das Uebrige.

Jetzt habe ich alle meine Galle gegen Sie ausgeschüttet. Ob Sie mir diesen Brief je verzeihen werden, weiß ich nicht. Meine alte unerschütterliche Freundschaft für Sie, eine Art von väterlichem Gefühl, womit ich Sie stets in meinem Herzen getragen habe, und mein Bedürfniß gegen die Wenigen, welche ich so liebe wie Sie, ohne Rückhalt zu sprechen, gaben mir ihn ein. Wenn Sie es der Mühe werth finden, mich wieder gut zu machen, so dürfen Sie mir nur recht viel von Handel und Manufacturen und Geldwesen und ähnlichen Gegenständen schreiben, worin Sie mir eine große Autorität sind. Ich spreche sehr oft mit Stadion und Metternich von Ihnen, und ich will Ihnen nicht bergen, daß wir uns oft gemeinschaftlich wundern über den Contrast zwischen Ihrer Excentricität als Schriftsteller und der praktischen Vortrefflichkeit Ihrer geist- und sachreichen Berichte. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man Sie längst von Leipzig abberufen und hier bei dem neuen Finanzministerium angestellt. Und ich lasse diese Idee auch sicherlich nicht fahren. Für den Staat wäre es ein großer Gewinn; und was eigentlich zu Ihrem Frieden dient, weiß ich am besten, meist besser als Sie selbst.

Jetzt muß ich Ihnen noch sagen, daß ich mein kleines Etablissment in Weinhaus, welches ich seit dem 1. Mai bewohne, in ein kleines Elysium umgeschaffen habe, und daß ich diesen Sommer – nach meiner Art – sehr glücklich hier seyn würde, wenn nicht der alte Gichtschmerz mich ohne Unterlaß plagte. Um gegen dieses Uebel doch wieder etwas zu versuchen, muß ich – sehr contre coeur, trotz der hohen Alpen, die ich doch nur ungern mit den tausend schönen Blumen meines Gartens vertausche – in 14 Tagen nach Gastein gehen und dort vier Wochen lang baden. Zu Ende August bin ich zurück.

Gentz. <224:>