Briefwechsel

149.

Wien den 1. December 1816.

Ich kannte das Buch von La Bergerie nicht, habe es mir aber gleich von Paris verschrieben. Ich fürchte, es wird mir besser gefallen als Ihnen. Unsere politischen Ansichten müssen heute weiter von einander abgehen, wenn Sie von einem Menschen wie Fievée, in welchem ich nichts als einen aufgeblasenen Narren sehe, mit „unbeschränkter Bewunderung“ sprechen, und seine Histoire de la Session, die ich bloß wie einen ausgewachsenen Zeitungsartikel betrachte, wie ein Buch behandeln können. Da Sie mir indessen mit so großer, ich weiß nicht ob liebenswürdiger oder boshafter Offenheit – denn Sie ignoriren gewiß nicht, wie ich seit geraumer Zeit über alle diese Fragen denke – Ihren Lieblingsschriftsteller anzeigen, so will ich Ihnen auch den meinigen nicht verhehlen. Er hat das Verdienst, kurz zu seyn. Wenn Sie je die französische Uebersetzung von Ancillons letzter Schrift (vom Conseiller d’Etat Guizot) gesehen und die derselben angehängten fünf oder sechs sehr einfachen Aufsätze gelesen haben, so kennen Sie die Substanz meiner heutigen Meinungen über innere Politik. Daß die in diesen Aufsätzen herrschende Ansicht weder mit Chateaubriand, noch Fievée, noch mit den würdigen, mir stets respektabeln Arbeitern an den Staatsanzeigen, und andern <229:> deutschen Staatsphilosophen stimmt, weiß ich. Es ist aber von Wort zu Wort die meinige; und diese 20 Seiten sind das Einzige, was ich seit vier oder fünf Jahren geschrieben haben möchte.

Quoiqu’il en soit, ich beschäftige mich jetzt ohne Unterlaß mit Finanzgegenständen. Ich studire unter andern aus den Quellen (!) die Geschichte unseres Papiergeldes und seiner Verwaltung in den letzten 15 Jahren. Ich beschäftige mich auch viel mit den Problemen der Gegenwart, und bringe manche Stunde in Gesprächen mit Graf Stadion zu &c. Ich denke, wir werden endlich doch noch obsiegen. Wenn ich Ihnen die Vorgänge der letzten drei Monate erzählen könnte, Sie hörten mir gewiß mit Begierde zu. Denn Sie ahnden wohl schwerlich, was alles auf dem Spiel stand, und wie kritisch der Zeitpunkt war.

Ich möchte gern noch etwas über England sagen; aber ich werde gestört, und ich will es nicht darauf ankommen lassen, ob ich später diesen Brief wieder aufnehmen kann, oder nicht. Ich schicke Ihnen lieber gleich das Wenige, was einmal geschrieben ist, und versichere Sie meiner unveränderten Liebe.

Gentz.