Briefwechsel

180.

Leipzig, den 6. Oktober 1819.

Graf Schulenburg nimmt das Görres’sche Buch offen für Sie mit und wird es zugleich mit gegenwärtigem Schreiben Ihnen übergeben. Wahrscheinlich besitzen Sie es schon; es wird in solchem Falle der Wunsch geäußert, daß Sie es Herrn von Buchholz zukommen lassen möchten. – In jedem Falle werden Sie den Brief, womit Görres die Sendung des Buches an mich eingeleitet hat, nicht uninteressant finden. Ich füge ihn bei. Er setzt das Verhältniß dieses tüchtigen Mannes zu mir, insbesondere aber die unglückliche Gespaltenheit seines großen Geistes näher auseinander. Auch werden Sie an vielen Stellen der Schrift bemerkt haben, daß sowohl mein gedruckter Brief an ihn, als auch die Schrift von der theologischen Nothwendigkeit nicht ohne Wirkung geblieben. Nichtsdestoweniger, wie auch die manichäisch-pantheistischen Visionen und die gallichten Diatriben gegen Preußen den Genuß dieses Buches stören mögen, so ist dennoch die Charakteristik der centralisirenden Staatsmänner und das Gemälde von Nassau allein schon die reichste Entschädigung.

Noch lege ich die Schrift von Wieland bei, weil es zu wissen immer merkwürdig ist, was dieser Mann in jenen Tagen, die wir zu Carlsbad miteinander verlebt, auf seiner Stube in Jena getrieben und gedacht.

Endlich erinnere ich noch, daß ich unserm Fürsten Reuß dem 64. die gewünschte Streit’sche Charte für Sie mitgegeben und daß selbige schon seit acht Tagen Ihnen zugekommen seyn muß.

Unsere Korrespondenz wird in bessern Gang kommen, wenn die Messe vorüber ist, denn das Zu- und Abströmen bekannter Fremden ist dießmal zu groß, um Ihnen alles vorzutragen, was als Resultat dieses allerbewegtesten Augenblickes für Sie bereit läge. Außerdem haben mich die hier anwesenden Köthen’schen Herrschaften und Leute durch acht Tage völlig sequestirt. So war eben Varnhagen mit seiner Frau hier; unbegreiflich verwandelt, gut, sanft, gerecht und mild. <298:>

Ueberhaupt kommen denen Carlsbader Akten eine Menge Bekehrungen entgegen; schmiedet man das Eisen, derweil es warm ist; steigert man sich zu der Höhe, wo man die nichtswürdigen Theorien der Zeit unter seinen Füßen und Gott in seiner Klarheit über sich hat; wagt man den Kampf mit der Lehre – so ist der Sieg unzweifelhaft. Wie leicht z.B. ist Görres zu schlagen in allen denen Stücken, wo er mit den Carlsbader Conferenzen im Widerspruch steht! Auch ist merkwürdig, wie wenig er sich mit Österreich befaßt, und daß er vom Fürsten eigentlich nur (wie ich) das Positive verlangt.

Görres Buch, im Handel noch nicht angelangt, ist seit gestern auf hiesigem Platze bei 20 Thaler Strafe verboten.

Adam Müller.