Briefwechsel

1820.

189.

Leipzig, den 10. Januar 1820.

Ob ich gleich zürnen sollte, daß Sie mich seit dem mystificirenden Schreiben vom 22. December, dessen großen und anfänglich bestürzenden Effekt Sie voraussahen, so durchaus ohne alle Nachricht lassen, so kann doch heute nichts neben dem Ausdruck der Bewunderung, der Dankbarkeit und der zärtlichsten Freundschaft aufkommen. Ich erhalte nämlich durch einen Zufall Ihren Beobachter-Artikel ad vocem Gregoire erst heut. Gott segne Sie dafür! Aller Dank ist zu schlecht; es ist der Mühe werth, gelebt zu haben, um diese Sprache von Wien her zu vernehmen. Nun kann vieles scheitern; das Dokument ist vorhanden, welches der Nachwelt bestätigen wird, wie alles gemeint war.

Beneidenswerthester Sterblicher, Sie! und daß Ihnen dieses glücklichste ciceronianische Citat beifallen mußte! Bemerken Sie aber die Trägheit der deutschen Zeitungen, dießmal, im Nachdruck des Diktats.

Der Mensch denkt, Gott lenkt. Ihnen hat es wohl nicht geahnt, daß Sie noch im Jahre 1820 durch Ihr Schreiben an den König von Preußen große und tiefe Wirkungen auf so mancherlei gutartige und verblendete Gemüther hervorbringen sollten. Die jetzige Generation kannte diese Schrift nicht; ich höre sie an allen Enden nun bewundern, Sie selbst mit Burke vergleichen und die Veränderung mit Billigkeit auf die veränderten Zeiten schieben. Ihnen selbst ist es vorbehalten, Ihr Jahrhundert und Ihre Nation auf den politischen Standpunkt zu erheben, von dem aus der Mangel dieser kunstreichen Arbeit, nemlich ihrer Weltlichkeit, einleuchten wird. <311:>

Ich erhalte so eben ein Amtsschreiben des Fürsten M. vom 6. Januar, und da meines Hinkommens nach Wien nicht erwähnt wird, so muß ich die Sache als aufgegeben betrachten, freilich in einem Augenblicke, wo der Beobachter-Artikel die ganze Fülle der Sehnsucht nach Ihnen angefacht hat, und wo ich es recht stark empfinde, von Ihnen getrennt und in absoluter Trennung von allen Gleichgesinnten zu leben. Der gute Gott wird alles wohl machen. Leben Sie wohl, mein Meister und Freund! Was Sie geschrieben (den Gregoire-Artikel) haben Sie im Herzen der Ihrigen, der besseren Mitgenossenschaft und Nachwelt, ja, was mehr sagen will, im Buche des Lebens niedergelegt.

Ihr

Adam Müller.