Briefwechsel

201.

Leipzig, den 7. December 1820.

Ich habe die Zeit Ihrer Rückkehr nach Wien abgewartet, die wenigstens einen Ein-, wenn auch nicht einen Abschnitt in Ihren Geschäften machen wird, um Ihnen zu schreiben. Die Geschichte mit der Concordia hat mir zu ihrer Zeit einigen Verdruß gemacht; die lieblose Art, wie der Redakteur mit dieser guten Arbeit umgegangen ist, die unglückliche Theilung des Aufsatzes und die schändlichen Druckfehler habe mich mehr bekümmert, als die freilich auch nicht liebevollen Urtheile. Ueber den Inhalt nehme ich ein geringschätziges Wort von Ihnen nicht an. Sie haben sich zu sehr für den ersten Theil dieser Arbeit (die ältere theologische Grundlage) interessirt, als daß Sie nicht diesen zweiten hätten gelten lassen sollen, wenn Sie unter den Bedrängnissen der Geschäfte Zeit gehabt hätten, ihn zu lesen. Eben das gilt vom Urtheile des Fürsten M., welches, wie sehr ich es auch, wo es ungünstig ausfällt, verehre, doch anders klingen würde, wenn sich meine Ansicht der Haushaltung des Staates so vor ihm deployiren könnte, als es in dieser unruhigen Zeit unmöglich ist. Mein Unglück war, mit einer auf Gott <333:> und die ewigen Lineamente der bürgerlichen Gesellschaft gerichteten Schrift in diesen neapolitanischen Tumult hineinzugerathen, und einem unwissenden Corrector oder Unterredakteur in die Hände zu fallen. Nichts destoweniger habe ich eine Art von Genugthuung, daß dieser Aufsatz in Wien gedruckt existirt, und wenn ihn auch nur zehn Menschen gelesen hätten. Die Beschuldigung, ein göttliches Geheimniß gemißbraucht zu haben, trifft mich am allerwenigsten: niemals ist von menschlichen Dingen das Wort dreieinig oder dreifaltig gebraucht worden. Daß aber jede wahre Wirkung eine dreieinfache Ursache habe, und daß demnach der göttliche Urheber aller guten menschlichen Dinge nicht etwa ein entfernter oder uranfänglicher, sondern unmittelbarer Erzeuger sey, diese einzig wahre Darstellung des Causalitätsgesetzes drängt sich der Philosophie zu sehr auf, als daß sie nicht in wenigen Decennien herrschende Ansicht der besseren Denker in Europa werden sollte, nicht etwa als die meinige – davor Gott sey! – aber als die einzig mögliche. Betrachten Sie nur den zweiten Theil von la Mennais Buche, der mir auf merkwürdige Weise entgegen kommt, auch in Kühnheit der Paradoxien, worin er mich noch weit überbietet. Hoffentlich also werde ich auch in ruhigeren Zeiten neben la Mennais, Bonald, de Maistre – welche die verwegene Zumuthung, die göttlichen Offenbarungen in die Verwaltung der irdischen Dinge aufzunehmen, wenigstens eben so weit treiben als ich – vor des Fürsten M. und Ihrem Urtheile Gnade finden. Doch genug und zu viel über einen so alten und vergessenen Gegenstand; indeß wäre, darüber zu schweigen, eine meiner und Ihrer unwürdige Affektation gewesen.

Nun aber zu Troppau und Laibach! Die Welt ist gespannt und ich bin ungeduldig zu wissen, wie die Mäßigung reüssiren wird, sans faiblir sur le principes (wie B. sagt).

Bei der Frage über die Constitutionen und über die Einflußnahme der Nachbarstaaten auf solche Vorgänge wie die neapolitanischen, distinguire ich (abgesehen von dem, was specielle Traktate, wie der zwischen Oesterreich und Neapel, bestimmen) drei Fälle:

1) Den, wo bei voller Integrität der fürstlichen Territorialhoheit und der fürstlichen Primat- und Eigenthumsrechte an Domänen und Regalien, über einzelne Regierungsrechte (wie die Schlußakte so vortrefflich sagt) mit den Ständen transigirt wird. In solchem Falle ist jede Einmischung des Nachbars unerlaubt, denn das monarchische Princip <334:> besteht, die Individualität besteht, und wenn auch die wichtigsten Regierungsrechte cedirt würden, so wäre zwar ein Grund der surveillance, niemals aber der Einmischung oder der Klage vorhanden.

2) Den, wo der Landesherr freiwillig seine Mediatisation unter eine Aristokratie von Geldbesitzern und Talenten beschließt und octroyirt, wo er sich nicht etwa ad tempus mit seinem Eigenthum in Sequester stellen läßt (wozu Noth und Schuldensysteme den ehrenhaftesten Souverain bringen können), sondern ein für allemal bonis cedirt, und sich auf ewige Zeiten mit einer bestimmten Competenz, Sustentationsgelde, enfin Civilliste zufriedenstellt.

3) Wo diese absolute cessio bonorum principis mit Gewalt, und nun gar mit militärischer Gewalt erzwungen wird.

Dieser letztere Fall ist der ganz unerträgliche, und es ist auch augenscheinlich, daß die cinq puissances in dieser Hinsicht zu jeder Capitulation unfähig sind.

Aber der zweite Fall sollte nicht geduldet werden, wie der dritte nicht geduldet werden kann. Indeß fühle ich sehr wohl, daß es nur eine Aufgabe der Politik, nicht aber ein Gegenstand der exekutiven, pentarchischen Justiz seyen kann, die an mehreren Stellen in Europa, in Frankreich, den Niederlanden, Bayern u.s.f. vollzogene freiwillige cessio bonorum absoluta mit Civilliste u.s.f. dahin rückgängig zu machen, daß sie den Charakter eines einstweiligen Sequesters der Territorial- und Regierungshoheit annähme.

Ich, und jeder Wohlgesinnte mit mir, kann nur wünschen, daß der vortreffliche 57. Artikel der Schlußakte nicht nur in Deutschland zur Ausführung kommen, sondern allmählig und je eher je lieber in den europäischen Codex übergehen möge. Sehen Sie nur die Unwissenheit der Rotte, die noch nicht entdeckt hat, welcher Todesstoß ihr in Deutschland mit jenem Artikel versetzt worden ist!

Im höchsten Grade neugierig bin ich auf die Troppauer Aktenstücke und die Laibacher Verhandlungen (in wiefern letztere zu Stande kommen). Es ist unwahrscheinlich, daß nicht das monarchische Princip bei dieser großen Gelegenheit an Selbstbewußtseyn, Präcision und Ausdrücklichkeit gewonnen haben sollte. Wenn nur beiher auch empfunden worden wäre, daß ein idealisches Staatsoberhaupt ohne eine sichere Verschanzung von ordinärem Eigenthum und Privatrechten nicht zu denken, und daß der <335:> Gehorsam vor einem metaphysischen König ohne Land und eigenthümliche Baarschaft und eigene Leute eine Chimäre ist. Adieu, liebster Freund!

Adam Müller.