Briefwechsel

221.

Wien, den 20. September 1823.

Da General Steigentesch, der eine Reise zu seinem Vergnügen macht, sich einige Tage in Leipzig aufhalten will (wo er auf Sie sehr gerechnet zu haben scheint), so ergreife ich diese Gelegenheit, um die Hauptpunkte Ihres Schreibens vom 4. d. zu beantworten, hauptsächlich aber, um Ihnen – wenn das noch nöthig seyn sollte – zu versichern, daß ich, weit entfernt, unsere allerdings „natürliche,“ und ich setze hinzu, ewige Allianz aufheben zu wollen, mir in Bezug auf Sie auch nicht die geringste Veränderung in meinen Gesinnungen vorzuwerfen habe, daß Sie mir, wie sonst, lieb, werth und wichtig sind, und daß ich fortdauernd – obgleich überzeugt, daß es nicht anders seyn kann – als eine der empfindlichsten Privationen, als eine der wesentlichsten und grausamsten Lücken in meiner geistigen und moralischen Existenz betrachte, von Ihnen getrennt leben zu müssen.

Mit mir stand und steht es ungefähr wie folgt. <376:>

Ich ließ mich spät, erst im Juni, in Weinhaus nieder. Die orientalischen Geschäfte, um welche sich, alle Blicke nach Spanien gerichtet, niemand mehr kümmerte, nahmen damals von neuem eine bedenkliche Gestalt an und gaben mir viel Arbeit, viele und schwere Sorgen. Die Zusammenkunft der Monarchen in Czernowitz wurde bereits im Juni beschlossen, mußte aber nothwendig ein strenges Geheimniß bleiben, und ist es auch wirklich mehrere Monate zu meinem größten Erstaunen geblieben. Mittlerweile ward mir von mehreren Seiten der Gebrauch gewisser Salzbäder in Ischl, die erst seit dem vorigen Jahre in Gang gekommen sind, empfohlen, und große Autoritäten gaben der Empfehlung Gewicht. Meine Passion für Gebirgsländer und pittoreske Gegenden ist immer noch dieselbe, und ich sah daher in einem Aufenthalt zu Ischl nicht bloß die Salzbäder. Da wir in den Verhandlungen mit Petersburg und Constantinopel an einen Punkt gelangt waren, wo ich mich ohne Nachtheil auf etliche Wochen von Wien entfernen konnte, so beförderte der Fürst selbst die Befriedigung meines Wunsches. Ich ging also am 17. August über Gmunden nach Ischl, blieb hier vierzehn Tage, und kehrte über Salzburg, Radstadt, durch das Ensthal, Rottenmann, Leoben und Bruck den 11. d.M., meinem bestimmten Versprechen gemäß, nach Wien zurück.

Ich hatte von dieser Reise, so beharrlich schön das Wetter, so reizend der Landstrich war, den ich durchfuhr, wenig wahren Genuß. Uebrigens lebe ich in einem beständigen Wechsel guter und schlechter Tage, ja sogar Stunden; manchmal so abgespannt, daß alles, auch die Seelenkräfte, still zu stehen scheint; kurz darauf wieder lebendig und thätig, besonders wenn mein Geist durch irgend etwas angenehm berührt wird; denn trübe Gedanken und unangenehme Geschäfte, deren mir leider weit mehr unter die Hände kommen, als Sie vielleicht sich vorstellen mögen, werfen mich sofort darnieder, wecken alle meine Beschwerden auf, und bringen mich manchmal so weit, daß ich ganz ausspannen und vier Wochen in Baden liegen bleiben möchte, wo ich mich unter solchen Umständen noch allein erträglich befinde. Genug, schon viel zu viel von mir.

Als Uebergang muß ich jedoch noch hinzufügen, daß die bevorstehende sechswöchentliche Abwesenheit des Fürsten keineswegs eine Ruhezeit für mich ist. Ich bin mit Geschäften, und was noch mehr ist, mit Verantwortung reichlich beladen. <377:>

Ich weiß nicht, ob Sie von dem Gegenstande der Reise nach Czernowitz eine richtige Vorstellung haben, zweifle aber sehr daran. Dort soll in einer Zusammenkunft, die nicht länger als zehn oder zwölf Tage dauern kann, definitiv ausgesprochen werden, ob der Kaiser Alexander seine Mission nach Constantinopel senden oder der Pforte sogleich den Krieg erklären will; und diese in so wenig Tage zusammengedrängte, so kategorische, so ungeheure Entscheidung hängt von einem Ultimatum ab, welches gerade von Constantinopel nach Czernowitz geschickt wird! Wie mir bei solchen Conjunkturen zu Muthe ist, mögen Sie sich denken. Es gilt nicht bloß die Existenz oder Nichtexistenz des türkischen Reiches, sondern den Bestand oder die Auflösung des ganzen politischen Systems. Unermeßliche Interessen stehen hier auf dem Spiel. Ich danke Gott, daß ich an dieser Reise – so gern der Fürst mich mitgenommen hätte – nicht Theil haben durfte; ich glaube, ich wäre nicht lebendig aus Czernowitz gefahren worden. Schon die Erwartung der Nachrichten, die zwischen dem 15. und 20. Oktober mir vom Fürsten zukommen werden, setzt mich in solche Spannung und Agitation, als ich nie bei irgend einer politischen Crisis empfunden habe. Es rührte mich mehr noch als es mich belustigte, Sie von meinen Ferien reden zu hören! In Ihrer beneidenswerthen Unwissenheit konnten Sie freilich nicht ahnden, was wir hier seit vier Monaten in aller Stille gelitten, gekämpft und gearbeitet haben. Sie glaubten uns ausschließend mit Spanien beschäftigt. Dieß war für mich nichts als Zeitungslectüre und Erholung. Ganz andere Sorgen und ganz andere schwere Geschäfte jagten mich Tag und Nacht herum, und die Reise nach Ischl war in so fern eine Wohlthat, als sie mich einige Wochen Luft schöpfen ließ.

Hiemit werden Sie nun leicht begreifen, daß ich mich wenig um Geld- und Finanzwesen, um Cannings mir ganz unbekanntes Buch, um die englische Commerzialpolitik, ja selbst um unsere eigenen Finanzen bekümmern konnte. So viel muß ich Ihnen indeß doch sagen, daß mir die letzteren keinen sonderlichen Gram machen. Die Verwandlung des Papiergeldes in verzinsliche Staatsschuld ist allerdings zu weit getrieben worden, und ich habe gegen den Exzeß dieses Systems, so lange als Protestiren noch zu etwas nützen konnte, zuletzt noch im Anfange des Jahres 1821, stark protestirt. Die Sache steht aber weder so schlecht, noch so gefahrvoll, als Sie glauben. Die Masse der Banknoten ist <378:> unglaublich gering; die Circulation hat sich auf eine wundervoll vortheilhafte Weise von selbst regulirt; und seyen Sie fest versichert, mein Freund, daß die Constituion, vor der wohl Keiner mehr zittern kann, als ich, wenn sie nicht von andern Seiten dereinst über diesen Staat ausbricht, durch Staatsschuld und Banknoten auf keinen Fall erzwungen wird. Das einzige bedeutende Uebel ist der Druck der direkten Steuer, welchem abzuhelfen es nicht an gutem Willen, aber an Geschicklichkeit und Entschlossenheit fehlt.

Auf der Reise habe ich mancherlei gelesen. Davon empfehle ich Ihnen vor allen die Histoire de la campagne de 1812 par M…, (allem Vermuthen nach Matthieu Dumas), ein in jeder Rücksicht vorzügliches Buch, mit welchem die Geschichte jenes merkwürdigen Feldzuges nun für immer abgeschlossen ist; dann die Mémoires de Mad. Campan, als ehrenvolle Charakteristik der unglücklichen Königin. – Die neuesten Stücke des Edinburgh Review sind mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Mit großer Aufmerksamkeit und wahrem Vergnügen habe ich dagegen die beiden letzten Nummern des Quarterly Review (vom Februar und Juli) gelesen. Es ist doch ein Trost, daß es in dem tief gesunkenen Lande noch einige so tüchtige Männer gibt. Adieu, mein theurer Freund! Mich dünkt, ich hätte Ihnen noch Tausenderlei zu sagen. Was kann man aber in einem elenden Briefe leisten?

Gentz. <379:>