Briefwechsel

1826.

227.

Wien, den 18. März 1826.

Sie können sich leicht vorstellen, liebster Freund, welche Tage wir seit Freitag dem 10. d. verlebt haben. Mich hat zwar der ungeheure Alarm weit weniger als unzählige Andere ergriffen, theils weil der Fürst keinen Augenblick seine Geistesgegenwart, seinen Gleichmuth und seine ruhige Contenance verlor, und ich doch zuletzt die ganze Katastrophe nur gleichsam durch seine Augen sah und beurtheilte; theils aber auch, weil ich gegen das Geschwätz der Menge, der Weiber und Mannweiber, deren es nur zu viele gab, längst mit dreifachem Erz gepanzert, von Anfang an nur auf zuverlässige Data baute, die mir natürlich nicht fehlen konnten. Die Folge war, daß bereits mit dem dritten Tage der Krankheit meine Unruhe mehr als zur Hälfte gehoben und am vierten beinahe ganz verschwunden war, während die Stadt und selbst der Hof noch in convulsivischen Aengsten schwebten. Ich wußte von Staudenheimer, den man gleich am zweiten Tage zugezogen hatte, und der mir und dem Fürsten die Wahrheit gewiß nicht verbergen konnte, daß die Krankheit in einer durchaus einfachen Entzündung der Lungenhäute bestand, daß die Lunge selbst, nach den sichersten Indicien zu urtheilen, nicht davon angegriffen war, und daß sich kein einziges verdächtiges Nebensymptom zeigte. Nun wußte ich wohl, daß ein einfaches Entzündungsfieber bis zum siebenten Tage tödtlich werden kann, da man aber zeitig genug und ohne sich an den Schnickschnack von Entkräftung u.s.w. zu kehren, die gehörigen Aderlässe angeordnet, und diese jedesmal unmittelbare Erleichterung bewirkt hatten, so nahm offenbar die Gefahr, anstatt zu steigen, <388:> mit jedem Tage ab, und so geschah es denn, daß bereits am fünften Tage der Kaiser völlig freigesprochen werden konnte, und daß eben jetzt das Te Deum über seine Genesung in der Stephanskirche celebrirt werden kann.

Da Sie den langsamen Gang der Geschäfte bei uns kennen, so wird hoffentlich die bisherige Verzögerung der Resolution auf den Ihre Angelegenheit betreffenden Vortrag Sie nicht beunruhigt haben. Sonderbar genug ist, daß ich gerade am Donnerstage (8.) den Fürsten in Folge einiger früherer Erinnerungen dringend gebeten hatte, die Sache beim Kaiser, zu welchem er sich um 12 Uhr begab und der sich damals vollkommen wohl befand (die Krankheit meldete sich erst um 9 Uhr Abends an), zu urgiren, ihm sogar ein schriftliches Monitorium in sein Portefeuille gesteckt hatte, und daß ein Paar Stunden nachher der Fürst mir sagte, er habe erinnert und der Kaiser werde die Sache in kurzem expediren. Die inzwischen gefallene Krankheit ist nun leider freilich ein neues fatales Impediment, zumal da man den Kaiser ein Paar Wochen lang sehr zu schonen entschlossen ist. Indessen wird ja auch dieser Aufschub überwunden werden; und darauf können Sie sicher rechnen, daß ich die Sache nicht mehr aus den Augen verlieren und nicht ruhen werde, bis sie zu Ihrer Zufriedenheit abgethan ist.

Das über Europa ausgebrochene pecuniäre Ungewitter hat mich im Innersten meiner Seele erfreut. Es ist das erste große Strafgericht, welches Gott über den Hochmuth, und den Uebermuth, und die Vermessenheit, und den strafbaren Wahnsinn dieser Generation verhängte, und daß es gerade von England ausgehen mußte, ein unschätzbarer Umstand. In dieser Ansicht werden Sie vermuthlich mit mir einverstanden seyn.

Unsere Nachrichten aus Petersburg (bis zum 3. d.) sind, wenigstens aus unserm Standpunkte betrachtet, gut. Noch ist zwar die kitzliche orientalische Frage eigentlich gar nicht zur Sprache gekommen, daher auch alles, was Sie darüber in den Blättern lesen können, pure Erdichtung. Die sich täglich mehr entwickelnden persönlichen Dispositionen des jungen Kaisers aber sind in jeder Rücksicht vortrefflich. Er hat in seinen vielen vertraulichen Gesprächen mit dem Erzherzog Ferdinand einen Charakter, Grundsätze und Gesinnungen an den Tag gelegt, die ihn hoch über die früher von ihm gefaßte (wie es mir jetzt scheint, grundfalsche) Meinung <389:> erheben. Was gäbe ich darum, wenn Sie die Berichte des Erzherzogs und seines würdigen Begleiters Clam (den ich Ihnen als ein wahres Meteor am österreichischen Himmel bezeichne) lesen könnten!

Gott erhalte Sie und die Ihrigen, mein theurer Freund! Ich bin im Grunde sehr guten Muthes, und trotz alles Tobens der Hölle gegen uns, voll des Gefühls, daß unser Glücksstern noch nicht so bald untergehen wird.

Gentz.

Was sagen Sie denn zu Görres herrlichen Aufsätzen im Katholiken? Besonders zu denen im ersten Hefte des jetzigen Jahrganges?