Briefwechsel

237.

Lesen Sie sogleich die Debatten im Moniteur über die Anleihe. Ich wünsche selbigen bis 3 Uhr wieder in Händen zu haben.

Die Rede des Dupin ist das miserabelste Machwerk eines statistischen Collektaneenschreiberts, voll Widerspruch, Unsinn und Plattheit, die von Bignon hingegen die eines wahrhaft praktischen, sehr geschickten Staatsmannes; seit langer Zeit ist mir nichts von den Franzosen, und noch dazu von der feindseligsten Seite ausgehendes vorgekommen, das ich mit so viel Vergnügen gelesen hätte.

Ueber den Artikel, den Sie mir mitgetheilt haben, muß ich mich ausführlich mit Ihnen besprechen. Ich kann die Absicht desselben nicht enträthseln, und glaube überdieß, daß Sie in Ansehung des Gegenstandes (der heiligen Allianz) auf sehr unhistorische Voraussetzungen gebaut haben. Daß mir die wahre Geschichte dieser Allianz besser bekannt seyn muß, als vielen Andern, werden Sie wohl nicht bezweifeln.

Den 23. Mai 1828.

Gentz.

(Der im obigen Brief erwähnte Artikel über die heilige Allianz folgt hiemit.)

Von der Weichsel, Mai 1828.

Als im Jahre 1815 die unter dem Namen der heiligen Allianz bekannte persönliche Verabredung der Monarchen von Rußland, Oesterreich und Preußen zur Kenntniß des europäischen Publikums gelangte, fehlte es nicht an Stimmen, die insbesondere den Kaiser Alexander für diesen Akt verantwortlich machen, und demselben keinen andern Zweck als die Vertreibung der Türken aus Europa unterlegen wollten. Die Congreßakten von Aachen, Carlsbad, Troppau, Laibach und Verona, an denen allen das Cabinet von St. Petersburg meistentheils überwiegenden und <399:> immer beipflichtenden Antheil nahm, haben die Politik des Kaisers und der hohen mit ihm verbündeten Monarchen so vollständig gerechtfertigt, daß der frühere Verdacht feindseliger Absichten gegen die Türkei sehr bald in den entgegengesetzten, eben so unvernünftigen Vorwurf einer Begünstigung und geheimen Unterstützung der Türken, zum Nachtheile des christlichen Interesse, überging. Aus den entgegengesetzten Extremen, in die sich das Urtheil der Unzufriedenen werfen mußte, um der Gesinnung des unsterblichen Alexander überhaupt etwas anhaben zu können, wird die hoffentlich weisere Nachwelt zu erkennen wissen, wie die heilige Allianz gemeint war. Sämmtliche Congreßakten sind nur Uebersetzungen des großen und universalen Friedensgedankens, den die drei Monarchen ausgesprochen hatten, in die gewöhnliche Sprache der Politik und der Geschäfte, wobei die Erhaltung des einmal gegebenen Macht- und Besitzstandes, als Vorbedingung alles Friedens und aller Ordnung, so völlig unabhängig von allem Religionsunterschiede belassen werden mußte, als der, in dessen Namen die heilige Allianz geschlossen worden war, alle Macht und selbst die unermeßliche Uebermacht der Heiden unangetastet belassen hatte. Wenn nun auch die ungeduldige Philanthropie gebildeter Tadler die Politik der großen Allianz unter dem Namen des Stabilitätssystems zu verurtheilen suchte, so konnte doch niemand in Abrede stellen, daß dieses System in dem Gesetze aller Gesetze mit den Worten: Gebet dem Kaiser u.s.f. und: Seyd Unterthan aller Obrigkeit &c. peremptorisch begründet worden war und keine weltliche Allianz ein heiligeres Fundament haben konnte, als diese.

Aber wie man im Privatleben nicht begreifen wollte, daß der Christ nur Sorge zu tragen hat, daß er gerecht sey, und daß der Mensch für sein und der Seinigen Glück durchaus nicht verantwortlich ist, weil sich die Vorsehung ausdrücklich vorbehalten hat, denen, welche nach der Gerechtigkeit streben würden, alles übrige, nämlich Glück, Heil, Fortschreiten u.s.f. freiwillig und freigebig beizulegen, – so konnte auch die ächt christliche Politik der heiligen Allianz, wenn sie nach nichts Geringerem oder Höherem trachtete, als nach erhaltender Gerechtigkeit und Frieden, und wenn sie alles Uebrige der Disposition der Vorsehung überließ, einem Zeitalter nicht gefallen, welches in seinem Uebermuthe die Beglückung der Welt voran-, und diesem Zwecke die Gerechtigkeit nachgesetzt, und welches, sich an die Stelle der Vorsehung erhebend, die Glückseligkeit der Völker <400:> eigenmächtig zu constituiren, so wie den Macht- und Besitzstand von neuem zu erschaffen unternommen, die eigentliche Aufgabe der Menschheit aber, nämlich den Gehorsam der Gerechtigkeit, gänzlich versäumt hatte. Nichtsdestoweniger hat weder die Unpopularität der heiligen Allianz, noch die schwere Prüfung, welcher dieses einzig mögliche System eines christlichen Völkerrechts dadurch unterzogen wurde, daß eines der wichtigsten Glieder des europäischen Staatenvereins, nämlich England, demselben nur mit halber Seele beitreten konnte, weil es seit mehr als einem Jahrhunderte den unchristlichen Vorrang der sogenannten öffentlichen Wohlfahrt vor der Legitimität in seine Landesconstitution aufgenommen hatte – verhindern können, daß die Allianz selbst fortbesteht, und hiebei wird es auch künftig sein Bewenden haben. Salus publica (non suprema, sed) secunda lex esto!

Die heilige Allianz ist und bleibt ein Grundgesetz des russischen Reichs, in allen seinen sowohl völkerrechtlichen als staatsrechtlichen Beziehungen. Der bestehende Nationalhaß zwischen Russen und Türken, ja selbst die Religionsverwandtschaft der Russen und Griechen, und die älteren Pläne des Cabinets von St. Petersburg haben weder den Kaiser Alexander noch den Kaiser Nikolaus jemals bestimmen können, die Legitimität der osmanischen Macht, noch das Unrecht des griechischen Aufstandes in Zweifel zu ziehen. Der Gedanke, dem Volke der Griechen und den schönen Provinzen, die sie bewohnen, Glück, Freiheit und Kultur gegen den Willen der rechtmäßigen Machthaber aufzudringen, hat auf den Gang des Cabinets von St. Petersburg niemals eingewirkt. In den Plan einer Pacification Griechenlands, den ein kühner Minister des Auslandes entwarf, hat sich die russische Politik fügen dürfen, weil die äußeren Formen früherer Interventionen der heiligen Allianz dabei geschont wurden, und fügen müssen, weil bei obwaltender Differenz der fünf großen Mächte über die höchst verwickelte orientalische Frage, es unmöglich Rußland zugemuthet werden konnte, den Ausschlag gegen die Griechen zu geben. Europa weiß, wie Rußland sich in dieser Angelegenheit nur leidend und nachgiebig verhalten, und selbst am Tage der Schlacht, ganz gegen seine Gewohnheit, nur im dritten Gliede gefochten, und die Ehre der Führung und des Angriffs seinen Alliirten überlassen hat.

Man würde sich also absichtlich täuschen, wenn man einen Umschwung der russischen Politik, rücksichtlich der heiligen Allianz, für möglich <401:> hielte. Der eben begonnene Krieg mit der Pforte ist durch Partikularaggressionen des Feindes, durch Grenz- und Lokaldifferenzen veranlaßt, wie der persische; aus dem Standpunkte des Cabinets von St. Petersburg bleiben dabei alle Religions- und Legitimitätsfragen gänzlich unberührt; eben so wenig kann von den älteren, auf den Orient gerichteten Entwürfen dieses Cabinets die Rede seyn: sie gehören in eine Zeit, wo ganz Europa den Frieden vermittelst eines rohen Gleichgewichtes der Massen herbeizuführen suchte und jeder Staat nach der Präpotenz streben mußte, um sein Recht zu finden. Diese Zeiten sind vorüber.

Aber unter der Herrschaft des besseren Völkerrechts, welches Rußland begründen half, bleibt es bei den Aggressionen solcher Mächte, die, ihrer politischen und religiösen Verfassung nach, der heiligen Allianz nicht positiv beitreten oder darin aufgenommen werden konnten, auf ein einzelnes Mitglied der Allianz dem beleidigten Theile unbenommen, sein besonderes Recht mit den Waffen zu verfolgen. Indeß nicht bloß die Großmuth gegen den Feind, der schon deßhalb der Schwächere, weil er von der thätigen Mitwirkung am dem Einzigen Bündnisse ausgeschlossen ist, welches den Thronen und den Völkern eine standhafte Zuversicht in Betracht ihrer Fortdauer gewähren kann, sondern viel mächtiger der Grundsatz der heiligen Allianz selbst, der alle irdische Obrigkeit, die mächtigste wie die schwächste, bewußt und unbewußt umfaßt, zeichnet einem solchen Kriege die strengsten und unübersteiglichsten Schranken vor.

Der Kaiser Nikolaus kennt und unterscheidet die doppelte Erbschaft, die ihm zugefallen: die Macht, die er von seinen früheren Vorfahren geerbt, und das ganz unschätzbare Geheimniß ihres Gebrauchs, das Erbstück, welches die Seelengröße Alexanders hinzugefügt, an dessen Todesstätte ihn der Weg nach Byzanz vorüberführt.

A. Müller.