Abstract

Jochen Schmidts Selbstanzeige

Das »Hölderlin-Jahrbuch« veröffentlicht unter dem etwas eigenartigen Titel »Hölderlin-Forschung außer Hause« seit 1990 regelmäßig eine Art Bibliographie, bestehend aus abstracts, die von den Autoren der betreffenden Publikationen selbst zu formulieren sind. Nun ist es mit den abstracts ohnedies so eine Sache. So nützlich sie einerseits sind, wenn es wirklich á tout prix gälte, die Begierde der Suchmaschine zu befriedigen und den Imperativen des allgegenwärtigen Informationswillens zu gehorchen, so gewaltsam ist ihre Form gegenüber der verhandelten Sache. Unangenehm, wenn man bei dem trüben Geschäft noch selbst Hand anlegen soll.

Jedes Falsche hat aber immer noch die zweite Chance, richtig oder falsch falsch gemacht werden zu können. Wenn schon ein selbstgestricktes abstract, dann scheint mir allemal eines besser, das vor der eigenen Arbeit einen Schritt zurücktritt und versucht, mit der Vorstellung der Ergebnisse zugleich eine abwägende Distanz zum Erarbeiteten zum Ausdruck zu bringen. »Der editionstheoretische Aufsatz befaßt sich kritisch mit den beiden neuen Hölderlin-Studienausgaben im Hanser-Verlag und im Deutschen Klassiker Verlag. Am Modell einer handschriftlichen Aufzeichnung im ›Homburger Folioheft‹ und am Beispiel des Erstdrucks von ›Lebensalter‹ wird exemplarisch versucht, die editorischen Grenzen des herkömmlichen ›Lesetext‹-Begriffs zu reflektieren.« So Wolfram Groddeck im letzten Hölderlin-Jahrbuch über eine Rezension, die er 1995 selbst in TEXT 1 publizierte. Irgendwie vorbildlich in diesem problematischen Genre der Selbstobjektivierung: Ein unbeteiligter Dritter hätte es kaum nüchterner formulieren können.

Die Destille des selbstgebrannten abstracts kann jedoch auch anderen Stoff produzieren: »Erstmalige Analyse der drei Übersetzungsbände der FHA. Nachweis, daß der Dokumentation immer wieder Ausgaben zugrundegelegt wurden, die Hölderlin nicht benutzte, daß andere Vorlagen unvollständig wiedergegeben und die massenhaften und für die Übersetzung folgenreichen Textverderbnisse in den Vorlagen meistens nicht oder irreführend markiert wurden; ferner, daß die Interlinear-Version systematisch verfehlt und durch Hunderte von Fehlern entstellt ist; schließlich, daß die Textedition durch häufige Fehlkonjekturen und einen Serienfehler die StA weit unterbietet.« Nachweis. Punkt. Und basta. So Jochen Schmidt, Literaturprofessor an der Universität zu Freiburg im Breisgau, selbst eigenhändig zu seinem Aufsatz überschrieben mit dem philanthropen Titel »Eigenhändig aber verblutete er«. Zur Problematik moderner Übersetzungseditionen am Beispiel der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, erschienen im Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, Numero 39, 1995.[1] Viel fällt mir dazu nicht mehr ein. Ziemlich abstrakt eben. Und, ja, noch dies: Es scheint kein größerer Hinderungsgrund für eine akademische Karriere in Deutschland zu sein, die Logik der Performanz nicht zu durchschauen.

rr, 9. September 1999