Gunther Nickel
Google unterhöhlt das Urheberrecht. Worum geht es genau, mit welchen Konsequenzen, und wo erfährt man mehr?

 

Das Urheberrecht ist eine Errungenschaft, die den Beruf des freien Schriftstellers überhaupt erst möglich machte. In England gab es bereits 1709 ein erstes Copyright-Gesetz. Frankreich folgte diesem Beispiel 1793, in Preußen und Österreich dauerte das bis 1832, im Deutschen Bund bis 1835. Erst 1886 wurde in Bern die erste internationale Übereinkunft zum Schutz des Urheberrechts zwischen den Ländern Deutschland, England, Frankreich, Italien, Spanien und der Schweiz vereinbart. Norwegen akzeptierte diese Berner Konvention 1896, Dänemark 1903, Schweden 1904. Soviel zur Geschichte.

Der Sinn und der Zweck des Urheberrechts bestand und besteht darin, daß Autorinnen und Autoren über das Resultat ihrer eigenen Arbeit souverän verfügen und eine angemessene Beteiligung an den wirtschaftlichen Erlösen aus ihrer Produktion erzielen können. In der Regel schließen sie dazu einen Vertrag mit einem Verlag, der ihre Texte nicht nur lektoriert, drucken läßt, verbreitet und bewirbt, sondern auch Lizenzen vergibt: für Vorabdrucke, Nachdrucke (z.B. als Taschenbuch), Verfilmungen. Die Verlage und mit ihnen die Autoren verdienen dabei Geld mit Inhalten.

Dieses Geschäftsmodell steht durch Google zur Disposition. Google verdient nämlich nicht, zumindest bislang nicht, mit Inhalten Geld. Google stellt Inhalte kostenlos zur Verfügung, um möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diese Aufmerksamkeit wird in »Zahl der Mausklicks« gemessen und an Werbekunden zu sogenannten Kontaktpreisen verkauft. Was also einstmals Kern des Verlagsgeschäfts war, die Verbreitung von Inhalten, ist bei Google lediglich die Bedingung der Möglichkeit für Geschäfte ganz anderer Art. Inhalte sind nicht Zweck dieser Veranstaltung im Internet, sondern nur mehr ein Mittel.

Seit 2004 betreibt Google ein großangelegtes und sehr teures Programm der Digitalisierung von Büchern, darunter auch vielen aus der deutschen Verlagsproduktion der letzten Jahre und Jahrzehnte. Das geschieht nicht aus Menschenfreundlichkeit oder um Aufklärungsidealen weltweit zum Durchbruch zu verhelfen, sondern weil durch ein konkurrenzloses Informationsangebot die längst marktbeherrschende Stellung dieses Unternehmens gesichert und weiter ausgebaut werden soll. Wer im Internet etwas suchen möchte, soll es via Google suchen, und er wird es um so eher bei Google suchen, je reichhaltiger die Ergebnisse sind, die ihm dort geboten werden. Die so erzielte Kundenbindung macht Google dauerhaft zu der mit weitem Abstand attraktivsten Plattform für Werbung, mit der sich viel Geld verdienen läßt. Darum und nur darum geht es Google, um nichts anderes.

Woher rührt nun die Gefährdung des traditionellen Verlagsgeschäfts, warum droht eine Aushöhlung des Urheberrechts und aus welchen Gründen ist diese Entwicklung alarmierend? Zunächst muß man zwei Fälle unterscheiden. Im ersten Fall ist die im Urheberrecht festgelegte Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod eines Autors abgelaufen. Die Werke sind dann gemeinfrei und dürfen von jedem kostenlos vervielfältigt und verbreitet werden. Diese Regelung ist vernünftig, und das gilt selbstverständlich auch dann, wenn Google sie sich zunutze macht. Streiten läßt sich nur über die Qualität, mit der man gemeinfreie Texte unters Volk bringt. Sie ist bei Google leider manchmal mangelhaft.

Im zweiten Fall ist die Schutzfrist noch nicht abgelaufen, und er betrifft sowohl lieferbare als auch vergriffene Bücher. Für ihn soll – auch für deutsche Autoren – ein Vergleich gelten, auf den sich Google in den USA mit dem Autorenverband »The Authors Guild« und der »Association of American Publishers« nun nach einem mehrjährigen Rechtsstreit geeinigt hat: Wer bis zum 5. Januar 2010 berechtigte Copyright-Ansprüche für Bücher geltend macht, die Google bis zum 5. Mai 2009 einscannt (oder bereits eingescannt hat), bekommt mindestens 60 Dollar Tantieme. Er erhält darüber hinaus 63 Prozent der Einnahmen, die Google künftig durch die kommerzielle Nutzung der Daten erzielt (zu weiteren Details siehe http://www.googlebooksettlement.com/ sowie den online zugänglichen FAZ-Artikel von Hannes Hintermeier).

Diese Regelung klingt zunächst ganz verlockend: Für die Nutzung von Texten im Internet bekommt man bislang meistens gar nichts, fortan immerhin etwas. Vergriffene Bücher werden auf diese Weise wieder zugänglich und werfen nun womöglich auch noch ein wenig Honorar ab. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß Google keineswegs alle Einnahmen, sondern ausschließlich die Einnahmen aus der kommerziellen Verwendung von Texten anteilig abführen wird. Für ihre nichtkommerzielle Verwendung gibt es also weiterhin kein Geld. Was das konkret bedeutet, spielt Ilja Braun in der WELT anschaulich am Beispiel von Reiseführern durch. Völlig unbestimmt bleibt darüber hinaus, an welche kommerziellen Verwendungsmöglichkeiten gedacht ist. Es ist, das ergibt sich aus den bislang veröffentlichten Unterlagen, prinzipiell jede Nutzung durch Google möglich, womit die bisher übliche Unterscheidung von Haupt- und Nebenrechten hinfällig wird. Fortan liegen sämtliche Rechte an einem von Google ganz oder teilweise verbreiteten Titel bei Google, und zwar ad libitum sowohl das Recht den Text zu verkaufen als auch das Recht ihn zu verschenken. Eine solche Praxis wird in kürzester Zeit die deutsche Verlagslandschaft tiefgreifend verändern, weil die herkömmliche Produktion von Büchern in vielen Fällen mangels nennenswerter Nachfrage völlig sinnlos werden wird. Welche Auswirkungen das auf die deutsche Verlagslandschaft und den Buchhandel hat und was man künftig auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt noch sehen kann, läßt sich eigentlich leicht ausmalen. Kurioserweise tut es bislang kaum einer.

Den Autorinnen und Autoren könnten alle diese Folgen egal sein, wären mit ihnen nicht auch für sie empfindliche Nachteile verbunden: Erstens ist eine ökonomisch einträgliche Verbreitung ihrer Texte nicht mehr sichergestellt, sie liegt vielmehr ganz im Belieben von Google. Zweitens haben sie nicht mehr das geringste Mitspracherecht über die Verbreitungsformen und -wege. Und drittens verhandeln sie in Zukunft nicht mehr mit einem Verleger über die Konditionen einer Publikation ihres Textes, sondern ein Weltkonzern diktiert ihnen seine Bedingungen. Viertens ist die 63-prozentige Beteiligung an eventuellen Einnahmen nur auf den ersten Blick stattlich. Denn zu klären wäre erst einmal, zu welchen Preisen Google Inhalte verkaufen will und ob die dadurch zu erzielenden Einnahmen auch nur annähernd ein Äquivalent zu den Beträgen bilden, die im derzeitigen Verlagsgeschäft erwirtschaftet werden.

Es geht bei alledem nicht um die Frage, ob Publikationen im Internet sinnvoll sind oder nicht (was manchmal unterstellt wird). Es geht ebenfalls nicht darum, das traditionelle Verlagswesen unzeitgemäß zu protegieren (wie manche Blogger im Internet zu wissen meinen). Es geht vielmehr einzig und allein darum, ob, wie und mit welchen Folgen sich der US-amerikanische Suchmaschinenbetreiber Google handstreichartig die Resultate geistiger Arbeit anderer aneignen und nach Gutdünken zu letztlich nur scheinbar klaren Konditionen legal verwerten darf.

Schon jetzt hat Google die Urheberrechte vieler Autoren ausgehöhlt, ohne daß sie bislang vernehmbar dagegen protestiert haben. Denn Bücher, die man bei http://books.google.com/ angeblich nur auszugsweise einsehen kann, lassen sich bereits seit einiger Zeit ganz problemlos vollständig herunterladen (eine Anleitung dazu findet sich im Internet). Sobald diese Art der Buchbeschaffung größere Verbreitung findet, werden Autorinnen und Autoren von Büchern vom Bücherschreiben nicht mehr leben können und noch mehr als schon jetzt auf alimentierende Zuwendungen angewiesen sein.

Angesichts der Möglichkeit, den Kopierschutz zu umgehen, drängt sich der Verdacht auf, daß es Google gar nicht, jedenfalls nicht vorrangig beabsichtigt, mit den eingescannten Büchern künftig Geschäfte zu machen. Es ist durchaus nicht auszuschließen, daß es Googles Ziel ist, sich nur die weltweite Informationshoheit zu sichern und sich damit endgültig als attraktivste Plattform für Internetwerbung zu etablieren. Die Einnahmen aber, die durch Werbung erzielt werden, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem eingescannten Buchtitel stehen, wird Google auch in Zukunft komplett für sich behalten.

Die Faszination freier Zugänglichkeit von Büchern ist für manche offenkundig so groß, daß sie jedes gründliche Durchdenken der Problemlage verhindert. »Endlich online die Gelegenheit zu haben, mich zu informieren und Zugriff zu erhalten«, wird da zum Beispiel im Netz geschwärmt und hinzugefügt: »Und auch der finanzielle Druck und all die anderen unschönen Dinge.« Der »finanzielle Druck« mag auf Seiten der Nutzer der Brave New Google World erheblich gemindert werden. Dafür steigt er dann ganz erheblich bei allen mit der Produktion und Verbreitung von Büchern beschäftigten Menschen. Das ist fahrlässig und gedankenlos, und deshalb sei noch darauf hingewiesen, was der von Google offerierte »Tarifvertrag für die Verbreitung geistiger Arbeit« auch für den Common Reader bedeutet. Nicht nur Schriftsteller und Wissenschaftler werden als Urheber um eine angemessene Entlohnung geprellt, betroffen sind auch Lektoren, Korrektoren, Übersetzer und last but not least Drucker. Deren professionelle Sorgfalt bei der Herstellung von Büchern, die Google ungefragt einscannt und sowohl kommerziell als auch nichtkommerziell verwertet, hat, wie jede Arbeit, ihren Preis, und wenn dieser Preis nicht mehr bezahlt werden kann, dann werden entsprechende Leistungen in Zukunft auch nicht mehr erbracht. Die scheinbare Kollektivierung der Buchproduktion, die in Wahrheit ihre Aneignung durch einen Monopolisten ist, bedeutet für das Kollektiv der Leser mithin dauerhaft die Verabschiedung von Produktionsstandards. In keinem anderen Wirtschaftszweig, weder im Bereich der Nahrungs- noch im Bereich der Automobilproduktion, würden wir das hinnehmen.

(Darmstadt, 21.3.2009; erw. Fassung vom 27.3.2009)

 

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