| Eduard
        v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
        Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 49-54
 Penthesilea, Dresden
 
 In einer der hiesigen Kirchen ist ein Gemälde, schlecht gezeichnet
        zwar, doch von der schönsten Erfindung, die man <50:> sich denken kann, und
        Erfindung ist es überall, was ein Werk der Kunst ausmacht. Denn nicht das, was dem Sinne
        dargestellt ist, sondern das, was das Gemüth durch diese Wahrnehmung erregt, ist das
        Kunstwerk. Es sind ein paar geflügelte Engel, die aus den Wohnungen himmlischer Freude
        niederschweben, um eine Seele zu empfangen. Sie liegt, mit Blässe des Todes übergossen,
        auf den Knieen, der Leib sterbend, in den Armen der Engel zurückgesunken. Wie zart sie
        das Zarte berühren, mit den äußersten Spitzen der rosenrothen Finger nur das liebliche
        Wesen, das der Hand des Schicksals jetzt entflohen ist. Und einen Blick aus sterbenden
        Augen wirft dies auf sie, als ob es in Gefilde unendlicher Seligkeit hinaussähe. Ich habe
        nie etwas Rührenderes und Erhebenderes gesehen.
 
  Nach einem Jahre ungefähr schrieb Kleist von Dresden aus: 
  Unbeschreiblich rührend ist mir Alles, was Sie mir über
        Penthesilea sagen. Es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin und Sie haben es wie eine
        Seherin aufgefaßt: der ganze Schmerz zugleich und Glanz meiner Seele. Jetzt bin ich nur
        neugierig, was Sie zu dem Käthchen von Heilbronn sagen, denn das ist die Kehrseite der
        Penthesilea, ihr anderer Pol, ein Wesen das ebenso mächtig ist durch Hingebung, als jene
        durch Handeln. 
  Ob es (Penthesilea) bei den Forderungen, die das Publikum an die
        Bühne macht, gegeben werden wird, ist eine Frage, die die Zeit entscheiden muß. Ich
        glaube es nicht und wünsche es auch nicht, so lange die Kräfte unserer Schauspieler auf
        nichts geübt werden, als Naturen, <51:> wie die Kotzebueschen und Ifflandschen
        sind, nachzuahmen. Wenn man es recht untersucht, so sind zuletzt die Frauen an dem ganzen
        Verfall unserer Bühne Schuld, und sie sollten entweder gar nicht ins Schauspiel gehen,
        oder es müßten eigene Bühnen für sie, abgesondert von den Männern, errichtet werden.
        Ihre Anforderungen an Sittlichkeit und Moral vernichten das ganze Wesen des Drama, und
        niemals hätte sich das Wesen der griechischen Bühne entwickelt, wenn sie nicht ganz
        davon ausgeschlossen gewesen wären. 
  Durch die Vermittlung des Gesandten Bourgoing
        wurde Kleist endlich im Jahre 1808 aus seiner Gefangenschaft in Chalons entlassen und
        kehrte mit dem Gelde, das ihm sein Freund von Rühle als Honorar für den inzwischen bei
        Arnold in Dresden erschienenen Amphitryo zugeschickt hatte, nach Berlin heim, wo er doch
        nur kurze Zeit verweilte, um bald in Dresden seinen Wohnsitz aufzuschlagen. 
  Hier verweilten zu der Zeit seine Freunde von Pfuel und Rühle,
        letzterer als Gouverneur eines jungen deutschen Prinzen, und wurde Kleist bei Adam Müller
        und im Körnerschen Hause eingeführt. Mit Müller, welcher sich schon früher für ihn
        interessirt hatte, befreundete er sich sehr bald, und in letzterem Hause verschaffte ihm
        Schillers ungemein günstiges Urtheil über ihn die beste Aufnahme. 
  Kleist lebte in Dresden ganz den Studien und literarischen Arbeiten,
        und da er sein Vermögen nun völlig aufgezehrt hatte, mußte er sich auch seinen
        Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen. 
  Man stiftete zu dem Ende die Zeitschrift Phöbus,
        welche <52:> er mit Adam Müller, etwa ein Jahr lang, bis sie wieder einging,
        herausgab. 
  Friedrich Laun sagt zwar, daß die Herausgeber an diesem kurzen
        Bestande selbst Schuld gewesen seien, indem sie allein die Ausbreitung einer einseitig
        beschränkten politischen Gesinnung zum Zwecke der Zeitschrift gemacht, und Kunst und
        Poesie davon ausgeschlossen haben. Ich kann aber dem geehrten Autor nicht in diesem
        Urtheile beistimmen, da ja doch Kleists beste Werke zuerst im Phöbus abgedruckt waren,
        und die glühende, alles daran setzende Vaterlandsliebe, der unversöhnliche Fremdenhaß
        Kleists nicht wohl eine beschränkte Politik zu nennen ist. 
  Unterdessen hatte Kleist die Penthesilea gedichtet, vollendete er den
        Kohlhaas, sowie die Mehrzahl seiner Erzählungen, arbeitete den zerbrochenen Krug und
        Amphitryo um und schrieb das Käthchen von Heilbronn. Auch lebte zu gleicher Zeit Robert
        Guiskard wieder auf, und theilte der Phöbus von ihm und den meisten übrigen Werken
        Proben mit. Beweis genug, wie Ernst es damals Kleist war, sich emporzubringen und zu
        retten! 
  Er lernte in dem Körnerschen Hause ein reiches
        und liebenswürdiges junges Mädchen kennen, mit dem ihn bald eine gegenseitige Neigung
        verband. Es schien ihrer Verbindung eine Weile nichts im Wege zu stehen, und dessen
        ungeachtet zerschlug sie sich an dem bloßen Verlangen Kleists, daß ihm die Geliebte ohne
        des alten Körners, ihres Vormunds oder Oheims Vorwissen, schreibe. Sie schlug es ab, er
        wiederholte seine Bitte nach drei Tagen, in denen er sie nicht besuchte, darauf nach eben
        so vielen Wochen und <53:> Monaten und löste zuletzt das Verhältnis auf diese
        Weise völlig. 
  Nach dem Bruche begann er das Käthchen von Heilbronn zu dichten, und
        ward dazu gewissermaßen von dem schmerzlichen Bedürfnisse angetrieben, seiner ungetreuen
        Geliebten beispielsweise an seiner Heldin zu zeigen, wie man lieben müsse. Die Annahme,
        daß eine andere Dame seine Verbindung zumeist aus Abneigung gegen ihn gestört habe,
        vermochte ihn zugleich, ihren Charakter so sehr ins Schwarze und Häßliche auszumalen,
        daß daraus die Uebertreibung seiner Kunigunde entstand. 
  Aus Niedergeschlagenheit über die Störung dieses Verhältnisses, und
        weil es sich zugleich entschied, daß der Phöbus keinen Fortbestand haben werde,
        versuchte Kleist schon hier, sich das Leben zu nehmen und fand ihn sein Freund Rühle
        eines Herbsttages, von einer starken Dosis Opium, die er zu sich genommen hatte, der
        Besinnung beraubt, auf dem Bette liegen. 
  Vielleicht auch schon zehn Jahre vor Kleists Tod
        sprach derselbe seinen Freunden Rühle und Pfuel, an eben der Stelle, wo er sich 1811
        wirklich tödtete, vorüberfahrend, den Gedanken des Selbstmords aus und hegte nur dagegen
        das Bedenken, daß man bei einem solchen Versuche des Gelingens nie genug versichert sei.
        Man nahm zuletzt gemeinschaftlich als die sicherste Todesart an: daß man zu Kahne auf ein
        tiefes Wasser fahre, alle Taschen voll schwerer Steine gepackt, sich auf den Bord setze,
        und das Pistol gegen sich abdrücke, um, wo man sich nicht todtschieße, doch jedenfalls
        ertrinken zu müssen. <54:> 
  Dafür, daß er in seinen damaligen Stimmungen
        schon Momente hatte, in denen sein Geist geradezu abwesend schien, zeugt eine Szene, die
        eine seiner Freundinnen, Frau v. Rühle, auf der Brühlschen Terrasse mit ihm hatte. 
 
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