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Friedrich de la Motte Fouqué, Die drei Kleiste, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 249-253 (1821), 20., 21., 22.,  24., 28. 12. 1821.

Die drei Kleiste.
Biographisch-literarische Betrachtungen,
von L. M. Fouqué.


„Franz und Ewald, beide Kleiste,
Beide von dem großen Geiste
Nur zu seinem Ruhm erschaffen,
Beide tragend gleiche Waffen,
Beid’, um Aller Gunst zu werden,
Wie’s die Noth erfordert, klug,
Soll’n für’s Vaterland nicht sterben; –
Einer, denk’ ich, ist genug!“
Diese liebevollen Verse hatte der alte Vater Gleim seinem jungen poetischen Freunde, Franz von Kleist, gesungen, als selbiger noch im Infanterie-Regimente des Herzogs Karl Ferdinand von Braunschweig zu Halberstadt in Garnison stand, und wohl bisweilen die feurige Seele des Dichters sich sehnen mochte, seinem Stammgenossen, dem edlen Ewald von Kleist auch im Heldentode zu folgen. Der Verfasser dieses Aufsatzes machte den anmuthigen Freundesgruß in seinem Frauentaschenbuche (Jahrgang 1819) bekannt, und ließ einen kleinen poetischen Nachklang folgen, der – wenn sein Hoffen eingetroffen wäre – eine Sammlung der poetischen Werke des früh abgerufenen, von seinen edelsten und kompetentesten Zeitgenossen als Dichter anerkannten Franz von Kleist veranlassen sollte. Für dasmal trog die Hoffnung. Obgleich die kriegerischen Waffen unsres Vaterlandes seitdem in ihrer Ruhe geblieben sind, haben sich doch – wie das oft schon nach langen Kriegsjahren zu geschehen pflegte – geistige Kämpfe erhoben, die wohl dem Gedeihen poetischer Wälder noch um vieles nachtheiliger seyn mochten, als die Kämpfe Schwert gegen Schwert. Bei diesen entwickelt sich fast unwiderstehlich ein begeisterndes Element, welches – wie der elektrisch fruchtbare Regenschauer des Gewitters – die Blumen weckt und erfrischt und ihre Düfte verbreitet. Bei geistigen Kämpfen solcher Art hingegen, als wir sie neuerdings erlebt haben und zum Theil noch erleben, entwickelt sich eine schwüle, dunstige, staubdurchwirbelte Luft, und daß dergleichen der Blumenzucht nicht sonderlich zusagt, weiß jeder Blumengärtner durch Theorie und Erfahrung zu beweisen.
Dennoch, – so lange ein Blumengärtner lebt, kann er vom Blumenziehn nicht ablassen, und mißlang es damit auf Eine Weise, so versucht er’s getrost und gottvertrauend auf eine andre.
Vielleicht hatte gegenwärtiger Gärtnersmann darin Unrecht, daß er nur für Eine Blume das Interesse der Lustwandelnden in Anspruch nahm, während er sie mit zwei andern, sich wechselseitig erläuternden und ergänzenden hätte zusammenstellen sollen.
Wirklich ist es ein eignes, meines Wissens noch nicht dagewesenes Phänomenon im Garten der Poesie, daß Drei Männer Eines Stammes und Namens einander nicht nur fast unmittelbar als ausgezeichnete und anerkannte Dichter folgen, sondern daß auch Jeder in raschwechselnder Zeit als ein edler Repäsentant der sittlichen und ästhetischen Bildung seiner Periode angeschaut werden kann. Es sey vergönnt, diese Betrachtungen zu unternehmen, so weit die Zartheit persönlicher Verhältnisse deren Ausführung gestatten will. Ein kurzer Lebensumriß der drei Dichter möge dazu mithelfen.
(Die Fortsetzung folgt.)


Die drei Kleiste.
(Fortsetzung)
Ewald von Kleist.

Zum Schwerte geboren, wie damals noch fast jeder Edelmann es von sich meinte, betrat er die kriegerische Laufbahn unter dem großen Friedrich. Die dem siebenjährigen Kriege vorhergehende Waffenruhe Preußens gönnte dem edeln Dichtergeist eine friedliche Entwicklung, und ließ ihn die Bekanntschaft und Liebe fast aller großen Dichter seiner Zeit gewinnen. Gründlich fortarbeitend auf der betretnen Bahn, aber nie dabei seine ernste Berufspflicht im mindesten aus den Augen setzend, auch eben so wenig wohl anders, als in einige Liedeshauchen, daran denkend, den preußischen Degen je von der Seite zu nehmen, begnügt mit den ländlichen Friedensbildern, die ihm seine sanfte Muse vorzauberte, entlockte er dennoch ihrer Leier auch muthige Kriegesanklänge, sogar ein ganzes Heldengedicht, ob von geringem Umfange, doch wahrlich in Gesinnung und Kriegeransicht nicht klein zu nennen, und oft auch tönten ihm begeisternde Ahnungsklänge seines kühnen Todes durch die Saiten.
„Auch ich,“ so sang er einst:
„Auch ich, ich werde einst – vergönn’ es mir, o Himmel! –
Einher vor wenig Helden ziehn!
Ich seh den stolzen Feind den kleinen Haufen fliehn,
Und find’ Ehr’ oder Tod im rasenden Getümmel!“
Der tapfre Krieger, in schon späteren Mannesjahren zum Major hinaufgerückt, hielt seinen Liedern Wort, und auch die in diesen Liedern vorhergeahnten Schickungen blieben nicht aus. Ja, vor einigen Kriegern zog er bei Zorndorf einher, vor immer wenigern, denn der russische Kanonen- und Kartätschendonner lichtete ihm die Rotten seiner Tapfern. Dennoch hatte er schon zwei Batterieen erstürmt; – die uralte Verwandtschaft zwischen freudigem Dichter und freudigem Kriegsmann herrlich bewährend, rückte er auf die dritte los; – seine müden Musketiere begannen zu wanken, – er faßte den Fahnenträger am Arm, und ritt feierlich ihnen vor; – sie folgten, die ehrlichen Preußen; – da zerschlägt ein Kartätschenschuß ihm die treue Rechte; – er nimmt den Degen in die Linke und reitet fürder; – da schmettert eine neue Ladung ihn schwer verletzt aus dem Sattel; – „Kinder!“ ruft der Fallende: „verlaßt Euern König nicht!“ – Zwei Musketiere und ein Feldscheer trugen ihn zurück. Da erschlug eine Kugel einen seiner Helfer. Eine Bewegung des Mitleids durchzuckte den Helden. Bald ließ er sich niederlegen, und trieb seine Geleiter in die Schlacht zurück. Sie ging verloren. Wechselnd von Feinden geplündert und großmüthig unterstützt, lag er bis an den dritten Tag geduldig auf seiner Schmerzens- und Ehrenflur. Nun schafte man ihn nach Frankfurt an der Oder. Er starb in Freundespflege, gelassen und stark in Gott. Weil seine Klinge auf dem Schlachtfelde zurückgeblieben war, legte ein edler Russe seinen eignen Degen als Ehrenzeichen auf den Sarg. – Die Dichter Deutschlands sangen und weinten ihm nach. Sein Name ward wie der stehende Typus eines edelfrommen, begeisterten Helden. Kein neidender oder mäkelnder Mißlaut drang in den Chor, so wie denn auch der edle Kriegsmann in seinem Leben nur Freudenkränze aus der Hand seiner Muse empfing, da ihn der Areopag von Dichtern, wie Rammler, Gleim und Ähnliche als Ihresgleichen anerkannt hatte, und zwar eine strenge Feile, eine genaue und parteilose Kritik von jenen Dichtern und andern Gelehrten selbiger Zeit geübt ward, nie aber gegen den anerkannt Würdigen ein rohes Höhnen und Verlästern denkbar blieb. – Das Glück der Ehe fehlte seinem Leben; daß ihm weder der Sinn dafür mangelte, noch auch das Gefühl reiner, zartverehrender Minne, spricht aus seinen Liedern, von dem begeisterndsten Schwunge der Wehmuth an, im schönen, vielgesungenen Liede:
„Sie fliehet fort! – Es ist um mich geschehen!“
bis zu der heiter-ernsten Galanterie, die ihm das Wort entlockte:
„Was küssest du mein Lied, Elise? Gib mir’s wieder,
Und küsse mich! In mir steckt eine Sammlung Lieder!“
(Die Fortsetzung folgt.)


Die drei Kleiste.
(Fortsetzung.)
Franz von Kleist.

Als lande man von einer stürmigen Meeresfahrt an idyllisch grünender Küste, so wehmüthig heiter wird es, dem Geist, welcher sich von jenes edeln Ewald rühmlichem Tode unmittelbar zu dieses edlen Franz mild friedlichem, aber leider früh verblühetem Leben herüber wendet. Wie schon oben gesagt ward, ergriff zwar auch er in zarter Jugend Kriegsdienste, aber ein wie edel ritterliches Feuer auch öfters aus seinen Liedern emporsprüht, – ihn sollte die Führung des Schwertes nur eben in den stillfreundlichen Musentempel geleiten, welchen damals der heiterkräftige Gleim, der sinnig milde Klamer-Schmidt und andre verwandte Geister auf eine höchst anmuthige Weise in dem friedlichen Halberstadt erbaut hatten, und als würdige Priester bewohnten. Es muß Alles nach Gottes Lenkung ergehn; auch das scheinbar noch so verschieden Angelegte. Vermuthlich dachten die Seinigen, den Jüngling in der gründlichen Übungsschule eines der damals best exercirten Regimenter der preußischen Armee zu einer recht langen und glänzenden Militärbahn zu bereiten; – sie hatten aber den Kanonikus Gleim und seine Freunde nicht mit in die Rechnung gezogen, und eben Halberstadt mußte der Pflegegarten des noch träumerisch knospenden Dichtergeistes werden, ihm einen Reichthum anmuthig tiefer Lieder entlocken, und ihn endlich ganz in den Dienst der Musen und an den Altar stiller Häuslichkeit herüberziehn.
Es war damals – in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts – eine Zeit des tiefen Friedens für Norddeutschland, und wenn auch der südliche Theil unsres Vaterlandes bisweilen nach dem blutig drohenden Halbmond mit gezücktem Schwerte hinüber sah, – man wußte doch: es war von dort eigentlich nichts Wesentliches zu befürchten, und so fing man an, sich nach und nach in den sanften Traum zu wiegen, der ewige Friede sey eigentlich für Europa schon abgeschlossen; theils durch dessen sehr beliebtes und sehr hoch angeschlagenes Gleichgewicht, theils auch durch die ausnehmend überschätzten Fortschritte der geistigen Kultur oder sogenannten Aufklärung. Daß der baierische Krieg im Jahre 1778 zwischen Friedrich und Joseph beinahe blutlos geführt wurde, und sein erst so bedrohlich scheinendes Leben nur auf ein einziges Jahr brachte, – daß späterhin ein Marschiren der Truppen, – wohl manchmal schon durch eine bloße Marschordre – genügte, um die auftretende Zwietracht in ihren ersten Athemzügen zu ersticken, oder doch zu betäuben, – es schien das Alle den Menschen jener Zeit – auch den Bessern und Weisern – eine Reihe von eben so vielen Triumphen über die Barbarei, und man fing wohl gar hin und wieder an, sich zu verwundern, wie man dies friedeverbürgende Columbusei nicht schon vor vielen Jahrhunderten zum Stehen gebracht habe.
Was konnte unter diesen Umständen einem Geist, wie dem unsres edlen Franz von Kleist, das Verhältniß des Kriegers noch gelten? Selbst sein kampfbegeisterter Gleim wollte ja nicht gern den zweiten geliebten Kleist an den Soldatenstand verlieren, und doch wohl lieber noch hätte er ihn zu dem Tode des Schlachtfeldes hingegeben, als zu dem beengenden Leben eines endlosen Garnison- und Revuedienstes.
Ein glückliches Ehebündniß eröffnete auf anmuthigem Landsitze dem dichterischen Franz die ersehnte Freiheit von allen sogenannt drückenden Banden der Gesellschaft. Liebend und geliebt verließ er den Kriegsdienst und trat in die seligen Haine; seine Freunde jubelten ihm beifallrufend und glückwünschend nach.
Eine frühere Neigung, durch unübersteigliche Hindernisse gehemmt, hatte der glühende Jüngling in einem Hymnus –  hohe Aussichten der Liebe, an Minona überschrieben – schön besungen, und war mit eben diesem Gedicht zuerst öffentlich hervorgetreten, vom allgemeinen Beifall begrüßt. Jetzt sang er mit erstarkter und gereinigter Dichtergabe das Glück der Ehe, und weihte auch sein kleines erotisches Epos, Zamori, der geliebten Gattin. Man fühlt es aus diesen holden Ergüssen, wie Liebe und ländliche Freiheit ihn mit all den reichblühenden Kränzen schmückten, die sie ihm verheißen hatten. Die Geburt einer Tochter vollendete sein häusliches Glück, welches wohl schwerlich durch eine Sehnsucht nach den abgelegten Waffen getrübt werden konnte, als nun der Revolutionskrieg Europa aus seinen langen Friedensträumen erweckte. Gleich zu Anfang des Kampfes waren die Ansichten über dessen Rechtmäßigkeit schon sehr getheilt und zweifelhaft. Wenn auch unser sanfter Franz so wenig, als sein Gleim, nur einen Augenblick die Grundsätze der jakobinischen Blutmenschen entschuldigen konnte, so mochte ihn doch vielleicht die Scheintugend der Girondisten oder ähnliche Nachbildungen antiker Trefflichkeit, das phantasieglühende Auge blenden; zudem sahen selbst viele, sonst ganz ungeblendete Männer – daß ich nicht sage: fast Alle – die Revolution als eine ausschließliche Sache Frankreichs an, und hielten die Einmischung fremder Regenten für eine Art Verletzung des Hausrechts, nicht bedenkend, daß ein ehrenwerther Nachbar gewiß kein Hausrecht beleidigt, wenn er dem von seinen Kindern mißhandelten Vater zu Hülfe eilt, sollte der Vater auch wirklich nicht haben zum Hülfsgeschrei gelangen können. Aber jene Einwendungen erbauten sich damals auf vorlängst als unumstößlich angenommene Grundsätze des Contract social und ähnlicher Schriften, und waren allgemein und wohlgestellt genug, um den glücklichen Ehemann und sinnenden Dichter vor jeder innern Beunruhigung seiner friedlichen Muse zu schirmen. Einigermaßen verkümmert ward ihm dies stille Glück hin und wieder durch feindselige Kritiken. Denn seit Ewald von Kleist gesungen hatte, war dem Areopagus der Dichter vieles von seinen ehemaligen Rechten durch das anwachsende Heer der Recensenten entzogen worden. Hatten anfänglich Berühmte den Kränzen anderer Berühmten den Krieg erklärt, – nur scheinbar anonym, und gewissermaßen durch eine ganze ehrwürdige Korporation verbürgt und vertreten, so versuchten nun die wirklich Anonymen den gleichen Kampf, und nicht ohne allen Erfolg. Franz von Kleist scheint anfangs diese Angriffe mit dem Erstaunen betrachtet zu haben, womit ein edles Roß vor dem Anfall bellender Feinde stutzt; – dann gedachte er wohl, sie im raschen Anstürmen zu verscheuchen, aber, soviel ich weiß, kam es dennoch zu keiner öffentlichen Erwiederung seinerseits. Vermuthlich hielten ihn die erfahrneren Freunde zurück, die da wohl wußten, das edle Roß könne die kleinen bellenden Feinde nur in unnützer Erhitzung hin und her jagen, ohne Einen davon gehörig zu fassen; daß aber es selbst von ihnen überwältigt oder auch nur ernsthaft beschädigt werden könne, liege bekanntlich außer den Gränzen der Möglichkeit. – So dichtete denn Franz von Kleist ruhig weiter, Plane auf Plane entwerfend für sein noch jugendliches Leben hinaus, und sich in den mannigfachsten Formen versuchend. Viele dieser Dichtungen, theils Bruchstücke größerer Werke, theils kleinere in sich abgerundete Ganze, sind in der deutschen Monatsschrift aufzufinden. Wir sprechen mehr davon am Schlusse dieser Bemerkungen. Hier gnüge nur das Wort: an Wohllaut der Sprache und an Anmuth der Gestaltung seiner Bilder ist er vielleicht von Niemanden übertroffen worden. An tiefer ahnungsreicher Fülle des Gemüthes hält er mit vielen der Herrlichen Schritt. Zu welcher Blüthenpracht eine solche Blume sich noch entfaltet hätte, können wir leider nur ahnen! – Das sanfte Idyll seines Lebens endete früh. Dieselben Haine, die seine glücklichen Tage umkränzten, umschatteten bald sein stilles Grab.
(Die Fortsetzung folgt.)


Die drei Kleiste.
(Fortsetzung.)
Heinrich von Kleist.

Wieder von der friedlichen Insel zurück reißt uns unser Gang in des Lebens Drang und Sturm. Zwar weniger unmittelbar, als in des edlen Ewald Laufbahn, finden wir den äußern Krieg um unsres Heinrichs Pfade wüthen, aber desto mehr den Kampf des Zeitalters überhaupt. Gleich seinen beiden Namensgenossen, – ihnen übrigens eben so wenig durch nahe Familienbande verknüpft, als diese es einander unter sich waren, – hatte er als Jüngling den Kriegsdienst ergriffen, und Gott bescheerte ihm das Glück, welches dem edlen Franz versagt blieb, sich gleich in den ersten frischen Jugendjahren dem Feind gegenüber als Soldat zu versuchen. Die preußische Fußgarde, worin Heinrich von Kleist im Jahre 1794 diente, hatte vorzüglich bei Trippstadt einen recht ernsten und unversehenen Angriff des kühnen Feindes zu bestehen, den sie mit echt preußischer Entschlossenheit zurückwies. Zu großen Hauptschlachten blühte der Kampf dieses Jahres nicht auf; doch immer fanden die Kriegsleute Gelegenheit, vor sich und Andern ihre freudige Todesverachtung darzuthun, und geehrt und geliebt von seinen Waffenbrüdern zog nach geschlossenem Frieden der Jüngling Heinrich in seine Garnison Potsdam ein. Anfänglich tändelte er heiter, wie es seinen Jahren und seiner Lebhaftigkeit angemessen war, mit den blumenbestreuten Wellen des Lebens; aber auch da schon ließ sich das Gold und wundersame Gestein in seiner verborgenen Tiefe ahnen, und ward von edleren Geistern freudig anerkannt. Der Jüngling kam – das Wie ist mir unbewußt – in Verhältnisse zu Wieland, der ihn ermunterte, seine poetische Bahn fürder zu schreiten, wodurch natürlicher Weise Heinrich in eine polemische, beinahe feindselige Stellung gegen Alles gerieth, was der damals sogenannten neuen Schule angehörte, oder von ihr zu Tage gefördert ward. Was irgend Heinrich erfaßte, erfaßte er mit gewaltiger Liebe und Kraft, aber eben deshalb auch mit einer gewissen Ausschließlichkeit, die ihn oftmals verhinderte, das Gute und Schöne auf den Bahnen Anderer zu bemerken, oder doch gehörig zu würdigen. Aber wo hat man je einen Jüngling gefunden, der ohne diese liebende Einseitigkeit zu irgend einem Berufe tüchtig geworden wäre? – Folgerecht in diesem Sinne verließ er daher auch, als er die feste Bestimmung zum Dichter in sich erfaßt hatte, den Kriegsdienst, um gar nichts mehr anders, als Dichter zu seyn. Er bereiste die Schweiz, Frankreich und einen Theil von Oberitalien, immer das Ziel des poetischen Lorbeers vor allem Andern im Auge. Doch rückgekehrt in das Vaterland, einen bedeutenden Theil seines nicht großen Vermögens jenen Bestrebungen geopfert habend, bewegten ihn sehr edle Rücksichten, eine Anstellung im preußischen Civildienst zu suchen. Er bereitete sich mit aller Kraft seines Geistes und aller Gewissenhaftigkeit seines Charakters auf die neue Laufbahn vor, und jener oben gepriesenen und gerügten Einseitigkeit treu, meinte er, nun sey es mit dem Dichten für ihn aus, und verbrannte seine poetischen Papiere. Nicht einmal ein Trauerspiel verschonte er, von welchem ihm Wieland geschrieben hatte, das müsse er vollenden, und ob Berge auf ihm lägen! – Ja wohl mochten jetzt Berge auf ihm liegen, dem glühenden Dichter, welcher in die Werkeltage des bürgerlichen Lebens hineingetreten war, sich keinen poetischen Sonntag mehr vergönnend! – Das unglückliche Kriegsjahr 1806 schmetterte ihn aus seinen selbstgeschmiedeten Fesseln hinaus aber nur indem es Alles mit zertrümmerte, was ihm von Jugend auf als lieb und ehrwürdig im äußern Leben erschienen war. – In stiller Abgeschiedenheit brachte ihm die Muse Trost, und ganz ausschließlich dachte er nun wieder, nur ihr zu leben. Da erfaßte ihn eine neue Strömung der verwilderten Zeit. Mit noch zwei andern ehemaligen preußischen Offizieren ward er ohne allen Grund dem französischen Gouvernement zwischen der Elbe und Oder verdächtig, und man schleppte die drei Unglücksgenossen als Staatsgefangne nach einem alten Schlosse an der Schweizergränze Frankreichs. Daß der edle, aber in seiner Tiefe immer etwas melancholische Geist diese Abgeschiedenheit nicht zum trüben Hinbrüten mißbrauchte, sondern sich und die Welt in sich selbst rüstig verarbeitete, zeigt sein nachheriges Wiederauftreten; doch mochte auch mit aus diesem Lebensumstande die ehrne, an Eigensinn gränzende Strenge in Behauptung seiner Eigenthümlichkeit hervorgehen, die ihn späterhin dem größern Publikum oft unverständlich, ja auch bisweilen dem tiefer eindringenden Leser anstößig machte, und ihn zuletzt in den Abgrund eines frühen, selbstverschuldeten Todes hineinriß. – Einstweilen machte sein sinn- und liebevoller Freund, Adam Müller, den edlen Gefangenen bekannt\1\ im Vaterlande durch Herausgabe seines Schauspiels Amphitryon nach Moliere, einer der merkwürdigsten und anziehendsten Kampfübungen des germanischen Genius mit dem neufranzösischen. Wie dem Komiker des Louis XIV. der Sosio die Hauptperson des Ganzen ist, und er sich vorzüglich bemüht hat, ihn aus der Antike herüber recht lebendig zu nationalisiren, – allerdings mit ausgezeichnetem Erfolg, – so hat ihm der deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts mit heiterer Anerkennung den Sieg hierin ohne Weiteres überlassen, und begnügt sich, in diesem Bezuge nur als Übersetzer aufzutreten. Wo es aber den Hauptgegenstand der Dichtung gilt, welchen Moliere als eine frivole Galanterie leichthin und dennoch in moderner Förmlichkeit vor uns vorüberführt, daß man dabei an die mythologischen Tapetenfiguren seiner Zeit denken muß, – Himmel, welch’ eine reiche Tiefe von Ahnungen ist da dem deutschen Dichter aufgegangen, und in welch edlen Zauberzungen spricht er sich aus! –
(Der Beschluß folgt.)


Die drei Kleiste.
(Beschluß.)

Die Dichtung ward durch eine eben so glänzende als gründliche Recension angekündigt in einem allgemein anerkannten Blatt, – aber die Deutschen, in ihr damaliges Unglück, und überhaupt in die Politik wohl etwas mehr noch als billig, versunken, nahmen von der poetischen Erscheinung des dritten Kleist wenig Notiz. Dennoch, als nun der Friede die Bande des Dichters gelöst hatte, und er in Verbindung mit seinem Freunde Adam Müller die Zeitschrift Phöbus herausgab, zeigten sich viele Gemüther von seinem etwas schroffen, aber unaussprechlich genialen Auftreten ergriffen. In dem schönen Dresden, von vielen edlen und begabten Freunden umgeben, goß er den reichen Strom seiner Urne kühn und mannigfach dahin. Ach wohl seiner Urne! Denn eine tiefe Todessehnsucht, eine lebenverzehrende Glut drang bedrohlich aus allen seinen Dichtungen hervor. Der sonst so kraftvolle Mann war seiner Muse gegenüber eine zarte Semele, sie ihm ein lodernder Zeus, und nicht der hohe kindliche Glaube des Christen vermochte den von den Philosophemen seiner Zeit umstrickten Dichter zu stärken und zu mildern. Dazu nagte eine tiefe Schwermuth über sein von Fremden unterdrücktes Vaterland an seinem edlen Herzen. Er strömte diese und die kurze Rettungshoffnung, durch den österreichischen Krieg von 1809 in ihm entzündet, in einigen herrlichen Liedern aus, die natürlicherweise damals nur in Manuscript umhergehn konnten. Als nun jenes herrliche Licht zwar ruhmvoll, aber doch für den Augenblick noch erfolglos wieder untersank, nagte der Geier nur immer schmerzlicher an dem Innern unsres dichterischen Prometheus. Zwar erhub er sich in Berlin, wo er späterhin seinen Wohnsitz nahm, zu noch manch herrlichem Fluge, – zwar schloß er neue Freundschaften und Verbrüderungen mit Dichtern und andern Schriftstellern, – auch mit solchen, von denen ihn früherhin sein einseitiges Lieben entfernt hatte, aber die Todessehnsucht besiegte alle Freuden des Lebens. Wie er im selbstgewählten Untergang für diese Welt verschwand, weiß Jeder. Einen Schleier über dieses schmerzliche Verschwinden, welchen nur der sichre Hoffnungsstern durchleuchtet: er starb nicht als ein Frechverzweifelnder! Er starb als ein irregeleitetes, aber liebendes und sehnendes Kind!
Mit Heinrich ist für jetzt die Reihe der dichterischen Kleiste unserm Vaterland erloschen.
Aber sollen auch ihre Werke uns erlöschen?
Es ist nahe daran, ihr Landesgenossen!
Ewalds Werke gibt es wohl nur noch in Bibliotheken. Ach, und wie viel des Zarten und Starken schweigt dorten in Glasschränken und Repositorien, das, neubelebt, so manches edle Herz, so manchen zarten Sinn erquicken würde! –
Franzens Werke sind nie gesammelt worden. Und wer unter Euch kennt denn noch sein liebeglühendes Epos Zamori? Wer sein wehmütig ernstes Trauerspiel Sappho, mit allem Zauber der zartesten Diction ausgestattet? – Wer seine mannigfachen romantischen Erzählungen, von denen auch mir jetzt die eine aus den Augen, aber wahrlich nie aus der Seele gekommen ist und kommen wird, wo ein edler Italier in Liebe zu der wahnsinnigen Diona glüht, und im Heilungs- und Todesaugenblick Erwiederung findet! Wo ist sein begonnenes Heldengedicht Maltha, dessen Gleim sich so freute? Wo seine sinn- und phantasiereichen Episteln? Wo sein Gesang auf die mit ihm lebenden Dichter Deutschlands? – Ich könnte noch lange so fragen, – und wie werden erst die spätern Nachkommen fragen, – und uns schelten, wenn wir die geist- und gemüthvollen Blätter, gleich denen der Sybille, im Winde verfliegen lassen! –
Leichter für jetzt noch wäre Heinrichs Nachlaß zu sammeln. Doch müßte dabei mit strengerer Auswahl verfahren werden, als bei den Gedichten Ewalds und Franzens. Denn die Schwingen dieser Beiden sind rein, wie Schwanengefieder, wenn Heinrichs Fittige leider manchen entstellenden Fleck der vordringenden, wohl oft als Kraft gepriesenen Sinnlichkeit seines Zeitalters tragen. Und diese Repräsentantenschaft soll mit Gottes Hülfe dem edlen, nun geläuterten – oder vielmehr enttäuschten Geiste nicht mit auf die Nachwelt hinübergegeben werden.
Eine interessante Zugabe dieser Kleistischen Werke würden die Abbildungen der drei Dichter geben: des männlich ernsten Ewald, des idealschönen Franz, des kräftigen, aber nur im treuherzigen Lächeln seiner Augen anmuthigen Heinrich. Von ihm existirt nicht, wie von den zwei andern, so viel ich weiß, ein Bild. Vielleicht könnte es noch durch einen bildenden Künstler, der ihn im Leben gekannt hätte, heraufgezaubert werden. Aber auch das mahnt zur Eile.
Lasse Gott diesen Ruf nicht ungehört verhallen!
In den Oktobertagen vom 16ten zum 20sten, 1821.
L. M. Fouqué.

\1\ Schon früher hatte Heinrich sein eben so ungestümes als zärtliches Trauerspiel: Die Familie Schroffenstein drucken lassen, aber anonym; auch war es leider wenig bekannt geworden.

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Letzte Aktualisierung 29-Jan-2003
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