| (Major
        Gerwien:) General-Lieutenant Rühle von Lilienstern. Ein
        biographisches Denkmal, in: Beiheft zum Militair-Wochenblatt für die Monate Oktober,
        November und Dezember 1847 (Berlin: Mittler), 125-191; darin: 136f.
 Rühles Freunde in Dresden
 
 Wirft man auf die so eben dargestellte schriftstellerische Thätigkeit Rühles, welche
        sich in die Jahre 1807, 1808 und den Anfang des Jahres 1809 zusammendrängte, noch einen
        Rückblick überhaupt, so macht sich die Vielseitigkeit des Strebens auffallend bemerkbar,
        und giebt allein schon von der tiefen Bewegung und Anregung, welche damals seinen Geist
        erfüllte, genügende Kunde. Vervollständigt wird ferner die Anschauung dieser Zustände,
        wenn man sich der, seinem Herzen theuer gewordenen Bande, und des bereits früher
        angeführten belebenden Umgangs in Dresden erinnert. In dieser Sphäre tritt namentlich
        das Verhältniß zu Adam Müller, Ernst von Pfuel und Heinrich von Kleist bedeutsam
        heraus. Die hohen geistigen Einwirkungen desselben liegen am Tage, wenn man erfährt, daß
        in jener Umgebung Adam Müllers Elemente der Staatskunst\1\  entstanden, und Heinrich von Kleists Schauspiel
        Käthchen von Heilbronn seine ersten Zuhörer fand. Ueber die anregenden
        Berührungen des Geistes hinaus, knüpfte aber das Mißgeschick Heinrich von Kleists
        die Gemüther der Freunde enger aneinander. Es ist bekannt, wie nach der Wiederkehr
        desselben aus der französischen Gefangenschaft, sich dieser edle Geist um den Sturz des
        Vaterlandes mehr und mehr in Schwermuth verzehrte, und sein verdunkelter Blick mit den
        letzten Hoffnungen auf die Erhebung Oestreichs im Jahre 1809 gerichtet war. Um ein
        solches, den Stürmen seines Innern Preis gegebene Leben zu tragen, reichte vielleicht nur
        die gemeinschaftliche Wirkung der überströmenden geistigen Fülle, und der
        welterfahrenen beherrschenden Kraft aus, welche Adam Müller, Rühle und Pfuel
        gleichzeitig, dem immer tiefer sinkenden Freunde gegenüber, aufzubieten vermochten. Der
        in seiner äußeren Lage damals am meisten vom Glück begünstigte Rühle hatte übrigens
        <137:> die Befriedigung, für den Lebensunterhalt des Freundes vorzugsweise sorgen
        zu können. Und Kleist war nicht der einzige, dem Rühles mitfühlendes Herz in den
        trüben Jahren nach der Zeit von 1806 seinen dornigen Lebensweg erleichterte.
 
  Zur Vollendung des Bildes von
        Rühles innerem und äußerem Leben während jener Zeit gehört aber endlich noch eine
        Hindeutung auf die politischen Beziehungen, welche dasselbe persönlich berührten. Es wird vielleicht niemals gelingen, den Schleier, welcher über den
        geheimen politischen Bewegungen in Deutschland während der Zeit von 1807 bis 1813 ruht,
        vollständig zu heben. Der Tugendbund ist offenbar nur ein einzelner, dadurch bekannter
        gewordener Verein, daß er sich im Volke selbst verbreitet hatte. Seit dem Sturz des
        preußischen Staats war aber auch in den höchsten Regionen Deutschlands die nothwendige
        Energie erwacht, um sich von der Napoleonischen Tyrannei zu befreien. Herzog Karl August
        von Weimar war, im edelsten Sinne des Worts, zu sehr deutscher Fürst, um dieses Ziel
        nicht durch wirksames Eingreifen und passende Vorbereitungen aufs kräftigste zu
        verfolgen. Es ist bekannt, daß Napoleons Verdacht, in Hinsicht auf die Bewegungen in
        Deutschland im Jahre 1809, sich besonders auf Berlin und Weimar lenkte, und sogar bei dem
        Attentat von Schönbrunn sehr unziemlich hervorbrach. Neben Stein, Müffling und Anderen
        gehörte nun auch Rühle zu den Organen, welche in der Entwickelung der genannten Pläne
        und Verhältnisse eine Rolle spielten, und wahrscheinlich noch mehr spielen sollten, als
        es das Resultat des Krieges von 1809 gestattete. Mitglied des Tugendbundes war derselbe
        hingegen nicht, da einer der Kardinalsätze dieses Vereins seinen Ansichten widersprach.
        Soviel über die Theilnahme Rühles an diesen merkwürdigen Zuständen, welche eben so
        wenig an sich, als in besonderer Hinsicht auf den letzteren, näher aufgeklärt werden
        können. 
  Aus den vorstehenden Angaben
        über die politischen Beziehungen Rühles in jener Zeit, ergiebt sich zugleich deutlich,
        mit welchem Unrecht derselbe von Gentz auf diesem Gebiet, in dem mehrgenannten
        Briefwechsel angefeindet worden ist. Die, man kann es bei Rühle so nennen, mathematische
        Unpartheilichkeit desselben, ließ es allerdings zu: Englands Seemacht schon damals für
        den Kontinent als gefährlich, und Napoleons militairische und politische Größe als
        unerreicht zu betrachten. Diese Ansichten schlossen aber die praktische politische
        Wirksamkeit, im Bunde mit England, und gegen Frankreich, nicht im entferntesten aus,
        wofür die oben angedeutete Thätigkeit und der Wiedereintritt in Preußische Dienste im
        Jahre 1813 genügende Beweise liefern. Wenn dieser Standpunkt nun über dem Horizont von
        Gentz lag, so ist Rühle hieran offenbar eben so wenig Schuld, als daß seine spekulativen
        Bemerkungen über die Berührung der Mathematik und Politik in der Theorie des
        Gleichgewichts, von dem Freunde, nach der eigenen Angabe desselben, nicht verstanden
        wurden. 
  Schließlich kann es
        übrigens nicht unbemerkt bleiben, wie charakteristisch für Rühles Eigenthümlichkeit in
        diesem politischen Kampf mit Gentz, die Klage über den Kontrast zwischen dem
        persönlichen und schriftstellerischen Eindruck Rühles hervorbricht. Es scheint sich aber
        dieser Kontrast in der gleichzeitigen Vereinigung des sanftesten Gemüths und des
        schärfsten Verstandes, leicht zu erklären, indem bei der persönlichen Berührung, die
        Aeußerung der einen Kraft von der andern gemildert wurde, in der schriftstellerischen
        Wirksamkeit aber die Ursache hiezu verschwand, also auch die Schärfe des Urtheils
        schneidender hervortrat. 
 \1\ Rühle sagt in der Pallas: daß ihr
        Vorhandensein den ersten Anstoß zu dem Funken gab, der jenes große Werk ins Dasein
        rief.
 
 
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