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Briefwechsel zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829 (Stuttgart: Cotta 1857), 139-141

Gentz an Müller, Teplitz, 1808

[ohne Datum.] Teplitz 1808

Indem ich mit der Pallas anfange, sollte ich billig erst die rechten Worte suchen, wodurch ich Ihnen meine Freude, meine Bewunderung, mein Erstaunen über die unvergleichlichen Stücke, die Sie zu dieser Schrift geliefert haben, gehörig ausdrücken könnte. Diese Stücke sind von der Art, daß, wenn irgend ein anderer Mensch in Deutschland damit aufgetreten wäre, ein gewisses Gefühl der Scham und der Beklemmung über meine Inferiorität gegen ein solches Talent und einen solchen Kopf mir das Vergnügen daran – ich will es aufrichtig gestehen, denn es ist menschlich, den Druck fremder Größe und seine eigene Schwäche zu empfinden – verbittert haben würde. Dieß kann nun aber bei Ihnen nicht der Fall seyn. Vermöge einer unzerstörbaren Illusion, gegründet auf die Art von Vaterliebe, die mich an Sie fesselt, denke ich mir einmal alles, was Sie leisten, gewissermaßen als mein. Ich mag kämpfen gegen diese Illusion, so viel ich will, ich mag mir tausendmal sagen, daß Sie mich so sehr überflogen haben, daß ich Ihnen ja oft kaum noch nachzusehen vermag, ich mag mir tausendmal sagen, daß selbst da, wo Sie noch mit mir zusammenzutreffen scheinen, doch alles bei Ihnen viel größer, freier, und im Grund ganz anders gemeint ist, als bei mir: es hilft nichts, ich eigne Sie mir zu, und genieße mich selbst in Ihnen. Mit Thränen der Rührung – und das ist wahrhaftig keine Redensart – habe ich diese außerordentlich vortrefflichen Aufsätze gelesen. Der Verstand steht mir still, wenn ich denke, daß Sie solche Produkte gleichsam im Laufe erzeugen! Welches tiefe Eindringen in den Gegenstand! Welche Höhe der Betrachtung! Welche unendliche Feinheit der Unterscheidung der Nüancen! Welche Vornehmheit der Gedanken! Und welcher <140:> Styl! Wie sind z. B. die Stellen S. 63: „Die Unparteilichkeit des gemeinen &c. &c. – pag. 85: „Eine politische Ansicht, in der ganz von der Zeit &c.“ – doch, wie ist alles geschrieben! Der Aufsatz über Fox ist der, welcher mich am meisten mit Erstaunen durchdrungen hat; denn daß Sie diesen Mann und alles, was mit ihm zusammenhängt, und dem ich Sie seit einiger Zeit etwas fremder geworden geglaubt hätte, so ganz durchschauen, so unübertrefflich schildern konnten, ganz über alle meine Erwartungen – nein! jetzt sehe ich doch wirklich, daß ich Ihnen noch lange nicht Gerechtigkeit widerfahren ließ! Der erhabenste von diesen Aufsätzen ist indessen doch der über den Geburtsadel und Buchholtz!
Ich werde über diesen Aufsätzen einen ungeheuren Lärm in Prag und Wien schlagen; vorderhand ist das leider alles, was ich thun kann. Ewig, ewig bedaure ich es jetzt, daß ich Sie nicht früher, selbst mit Gewalt, mit List, Betrug und Verbrechen in das politische Leben geschleudert habe. Sie wären für jedes Geschäft gleich brauchbar, und wäre die Welt nur nicht gerade so zerrüttet, oder könnte ich wünschen, daß Sie der neuen Ordnung dienten, ich weiß es, noch wäre es Zeit, Sie zu einer großen Rolle einzuladen. Unterdessen, Müller, folgen Sie einmal – noch thaten Sie das nie – einem wohlüberlegten, freundschaftlichen, väterlichen Rath. Legen Sie Phöbus, Pallas, Vorlesungen, alles andere bei Seite; setzen Sie sich an Ihren Tisch, lassen Sie sich von Gott Beharrlichkeit einflößen, und schreiben Sie von folgenden zwei Büchern eins: Entweder eine etwas ausführliche Widerlegung des Buchholtz’schen Werkes über den Geburtsadel, oder eine Sammlung politischer, moralischer, historischer &c. Aufsätze, von der Art wie die in der Pallas. Mit Leib und Leben stehe ich Ihnen dafür: Sie machen sich eine ungeheure Reputation – und entschließen Sie sich gar zu dem ersten, so gründen Sie sich eine höchst angenehme Existenz. Ich weiß, was ich sage. Sie haben keine Idee von der Consternation, in welche die Buchholtz’schen Schriften die Denkenden unter dem alten Adel geworfen haben. Wenn nicht gar zu viel Gründe mich vom Schreiben abhielten, ich hätte es selbst gewagt. Aber was bin ich gegen Sie?
Nachdem ich Ihnen nun – freilich nicht den hundertsten Theil dessen, was ich Ihnen eigentlich sagen möchte – über diese unendlich vortrefflichen Arbeiten gesagt habe, so kömmt die Reihe auch an das Journal, in <141:> welchem Sie sich – leider – befinden. Daß ich dieses Journal, als solches, ohne die größte Gewissenlosigkeit zu begehen, nicht rühmen kann, werden Sie wohl ohne meine Versicherung begreifen.
Und jetzt folgen einige wenige Aufträge.
1. Ich erhielt – dessen erinnere ich mich mit Zuversicht – im Winter von 1805-6, gerade als ich in Breslau war, unter verschiedenen Sachen, die Kraus mir aus England brachte, zwei Bände von Robinsons Reports of Causes in the High-Court of Admiralty. Diese beiden Bände jetzt zu haben, wäre einer meiner höchsten Wünsche; umsonst habe ich alles darnach durchsucht; endlich kam ich auf den Gedanken, ob Sie sie vielleicht an sich genommen hätten. Ich weiß, daß ich Ihnen in Dresden mehrere englische Bücher gab. Welches Glück, wenn diese Vermuthung gegründet wäre! In diesem Falle schicken Sie mir die Bücher natürlich gleich. In jedem Falle bitte ich, sowie überhaupt auf gegenwärtigen Brief, um ein paar Zeilen Antwort durch einen Boten. 2. Durch eben diesen Boten schicken Sie mir noch 2 oder 4 oder 6 Exemplare der Pallas. 3. Durch eben diesen den Band der neuen Ausgabe Goethe’s, worin der Faust steht. Ich bitte sehr darum. 4. Endlich lassen Sie durch eben diesen Boten an mich gelangen, was die Frederick auf beikommenden Brief schicken wird. 5. Der Brief an Dittmar ist bloß abzugeben.
Und nun, mein innigst geliebter, großer, vortrefflicher Freund, beherzigen Sie die Sie angehenden Theile dieses Briefes; und vor allen Dingen schreiben Sie mir oft, sollten es auch jedesmal nur ganz wenige Zeilen seyn. Adieu.

Gentz.

 

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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