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Friedrich Laun (d. i. Friedrich August Schulze), Memoiren, 3 Bde. (Bunzlau: Appun 1837), Bd. 2, 161-165

Adam Müller und Kleist in Dresden


Adam Müller lebte schon einige Zeit in Dresden, das sein früheres illiterarisches Wesen ganz abgelegt hatte. Ein zahlreicher Kreis von ausgezeichneter Bildung, zum Theil von hohem Range und aus beiden Geschlechtern bestehend, erfüllte die Hörsäle, in denen er seine geistvollen, durch imponirende Persönlichkeit noch mehr hervorgehobenen, Vorlesungen hielt.
Sie betrafen meist ästhetische Gegenstände. Aber wie Platner zu Leipzig in allen seinen verschiedenen öffentlichen Vorträgen jede Gelegenheit ergriff, um auf die Wahrheit zurückzukommen, daß der Mensch nichts Wichtigeres zu thun habe, als über das große Räthsel der Welt und seines Daseins nachzudenken, gerade so machte (wenn es erlaubt ist, Platners erhabene Begeisterung für das Unendliche mit einem einseitigen, nur auf irdische Bestrebungen gerichteten Enthusiasmus in Parallele zu setzen), auch Müller in allen seinen Vorlesungen der Versammlung zur Pflicht, der Politik nach Kräften zu huldigen und <162:> sich den überrheinischen neuen Grundsätzen und Waffen, wie jeder Einzelne solches nur in seiner Lage irgend vermöge, öffentlich oder insgeheim entgegenzustemmen.
Sein ebenfalls in Dresden anwesender Freund, Heinrich von Kleist, half ihm durch Rede und Schrift gleiche Meinungen verbreiten. Das von beiden gemeinschaftlich herausgegebene Journal, Phöbus, enthielt nebst vielen, ihre politischen Ansichten verfechtenden Sophistereien, gar manches gediegen Poetische und Gehaltreiche überhaupt.
Es war zu beklagen, daß diese Zeitschrift aus Mangel an hinreichender Theilnahme eingehen mußte. Gewissermaßen zerstörten die Herausgeber solche selbst durch ihre fortdauernde Belebung und Fortpflanzung der Meinung, daß zu einer Zeit, wie der damaligen, Wissen, Kunst und Alles nichts sei gegen die Politik und zwar allein diejenige Politik, zu der sie sich bekannten, nach welcher jeder gehalten war, nicht nur Gut und Blut daran zu setzen, sondern auch selbst das bedenklichste Mittel zu Erreichung des beabsichtigten Zweckes nicht zu verschmähen. Von Kleist ist letzteres in einer damals im Manuscript unter dem Siegel des Schweigens, von Hand, zu Hand umherlaufenden Tragödie, die Herrmannsschlacht, schauerlich genug ausgesprochen worden! Welch ein hohes Talent übri- <163:> gens in Heinrich von Kleist, leider, so frühzeitig und auf so betrübte Weise unterging, davon zeugen zur Gnüge seine durch Tieck herausgegebenen Werke und des letztern so gehaltreiche Vorrede.
Kleist schien zu Vollendung seiner Ausarbeitungen das Vorlesen derselben durch Andere gar nicht entbehren zu können. Recht eigenthümlich ist, was mir einer seiner vertrautesten Freunde vor Kurzem erst mittheilte. Eben mit dem beendigten Manuscripte der Hermannsschlacht tritt er eines Tages in sein Zimmer und bittet, daß er ihm solches vorlesen möchte. Ach, sagte er dabei, ich könnte dergleichen durch unsern Adam Müller weit besser haben, aber eben das Bessere muß ich hierin vermeiden. In Müllers Munde verwandelt sich beim Vorlesen das geringste Metall in reines Gold. Die dürftigste, unverantwortlichste Stelle besticht mein Ohr, so, daß es weit schlimmer ist, als wenn kein Mensch mir sie vorgelesen hat. Du hingegen, lieber Alter, bist ein grundschlechter Vorleser. Dein Vortrag hebt mir das Mißrathene erst recht in’s helle Licht und das eben thut mir bei diesen Gelegenheiten Noth.
Kleist war der unversöhnlichste Feind der Franzosen als Unterdrücker Deutschlands und vor allem des französischen Kaisers. Ihn aus dem Wege räumen, durch welches Mittel es auch geschehen möchte, <164:> würde ihm für die höchste Tugend gegolten haben, und als er Dresden verließ, befürchtete eben der Freund, dessen Güte er seitdem mehrmals zum Vorlesen seiner neugeschaffenen Werke in Anspruch genommen hatte, gar sehr, er könne in seiner Verblendung wohl so weit gegangen sein, um selbst einen rächenden Brutusarm gegen den neuen Cäsar zu erheben. Und kurz nach seiner Entfernung von Dresden schon langt ein Brief an, worin Kleist seinen Freund ersucht, ihm eine Quantität Arsenik zu besorgen und zuzusenden, da er an seinem jetzigen Aufenthaltsorte keinen Arzt kenne, welcher ihm zu dergleichen behülflich sein würde; die Apotheker oder andere den Artikel führende Gewerbtreibende aber, ihm ohne besondere Ausweisung über den Gebrauch als Nichtmediciner nicht verabfolgen lassen dürften.
Der Beauftragte, in der festen Ueberzeugung, Kleist denke das Gift nach dem Vollbringen des beabsichtigten Unternehmens im Nothfalle gegen das eigene Leben anzuwenden, gerieth natürlich in große Verlegenheit, wurde aber bald mit sich einig, keinenfalls darauf einzugehen. Vielmehr suchte er ihm in einem Briefe ausführlich darzuthun, daß Kleist, allen seinen Eigenschaften nach, sich durchaus nicht eigne, die blutige Rolle mit Erfolg durchzuführen. Sodann behauptete er auch, in Rücksicht des Ankaufs, ganz in <165:> dem Falle zu sein als er, und Niemand zu wissen, durch den er ihn könne bewirken lassen.
Hierauf aber erhält er mit Staffette einen zweiten Brief. Die Bedenken wegen des Erfolgs sind darin mit Geschicklichkeit abgeworfen, zugleich angekündigt, daß ein gemeinschaftlicher guter Bekannter von ihnen beiden, ein Gutsbesitzer, den Arsenik, in einer zum Gute gehörigen Apotheke besorgen und ihm, dem vormaligen Vorleser, übersenden werde, von dem er das Gift sodann ohne Verzug zugeschickt erwarte.
Wirklich ist dies auch keine leere Vertröstung. Der Arsenik trifft ein, doch steht der Beauftragte natürlich mit dem Absenden an und überläßt ihn einer Apotheke in Dresden. –

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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