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Georg Minde-Pouet, Kleists letzte Stunden. Teil 1: Das Akten-Material (Berlin: Weidmann 1925), 14-16

Obduktionsprotokoll Henriette Vogel

Verhandelt Gasthof bei der Friedrich Wilhelms Brücke
den 22ten Novbr 1811.
Nach beendigter Obduction der sich gestern, allhier an der Heide auf einem Hügel entleibten Mannsperson, wurde gleicherweise mit der Obduction der Frauensperson verfahren.
Sie wurde zuförderst durch den gegenwärtigen HErrn Krieges Rath Peguilhen als die Ehefrau des Königl. Rendanten von der Landschafts Casse Herrn Vogel zu Berlin recognoscirt, und bemerkte derselbe, daß sie Adolphine geborene Kaeber heiße, circa 34 Jahre alt, und ihr Vater annoch in Berlin am Leben sey. Gleicherweise recognoscirte sie auch der Gastwirth Stimming als diejenige Person, welche am Mittwoch Nachmittag in Gesellschaft einer Mannsperson, des vorerwähnten v. Kleist, zu ihm gekommen, bei ihm gestern Nachmittag logirt, und sich gegen 4 Uhr entfernt, demnächst aber gleich darauf erschossen vorgefunden worden.
Die Denata hatte außer den im Protocoll vom heutigen Dato erwähnten Kleidungsstücken, feine weiße baumwollene Strümpfe, schwarze corduane Schuh mit schwarzen Band um den Fuß gebunden, an, und blaue seidene schmale Strumpfbänder um.
Uebrigens war sie mit Unterziehbeinkleidern bekleidet, und hatte sehr feine Leibwäsche.
Obducentes verfuhren nun mit der Obduction der Denata folgendermaßen, und bemerkte Physikus subscriptus zu förderst, daß er in der Denata seine 20jährige Freundin, die gewesene Demoiselle Kaeber erkenne, so wie er auch ihren Ehegenossen, den Rendanten Vogel seit vielen Jahren kenne. Ehe wir zur Obduction schritten, haben wir nach vorhergegangener Entkleidung den Leichnam der Denata auf das genaueste besichtigt, und noch im angekleideten Zustande fanden wir unter der linken Brust ein mit Schießpulver gebranntes Loch, aus welchem wir mit dem Finger so gleich in eine tiefe Wunde eindrangen.
Die ganze lincke Seite der Denatae war mit vielem Blute besprüzt, und außer dieser genannten Verwundung fanden wir an dem ganzen Körper weder Wunden, noch Contusionen. Nur waren auch an ihr die gewöhnlichen Todtenflecke sichtbar. Da man nun aus der runden Oeffnung unter der Brust, deren Circumferenz vom Schießpulver ganz schwarz <15:> war, sich von einer Schußwunde überzeugt hatte, so wurde diese Wunde nach der schrägen Richtung, welche sie zum Herzen nahm, der Länge nach dilatirt, und hier fanden wir bis in der Tiefe viel coagulirtes Blut, aber kein fremder Körper von einem etwa zurückgebliebenen Schuß wurde vorgefunden. Es erfolgte hierauf die Eröffnung der ganzen Brust.
Die Pleura und das Mediastinum anterius auf der linken Seite, wo gedachter Schuß hineingegangen war, war mit vielem geronnenen Blute versehen. Der hintere Rand der linken Lunge war durch den Schuß so getroffen, daß ein kleiner Theil dieser Lungen-substanz abgeschossen war. Von hieraus hatte die Kugel den Ventriculum sinistrum cordis noch an die Vasa coronaria so getroffen, daß derselbe ganz durchgeschossen war.
In diesem zerschossenen Ventriculo sinistro fand sich viel geronnenes Blut, und die großen trabeculae carneae waren von diesem Schusse ganz zerstört.
Eben so war auch die Auricula cordis sinistra verlezt.
Der Ventriculus dexter und der Pulmo dexter befanden sich im completten Normal Zustande.
Eben so das diaphragma. Der Schuß war zwei Querfinger breit unter der linken Scapula wieder herausgegangen, so daß man von der Kugel nichts als die Oefnung entdecken konnte.
Es wurde hierauf der Unterleib geöffnet, und hier ergab es sich, daß der ganze tractus intestinorum wie auch saemtliche viscera abdominalia sich im Normal-Zustande befanden. Bei der Besichtigung derer Theile, welche extra peritonaeum angetroffen worden, fanden wir besonders den Uterum in seiner ganzen Substanz so widernatürlich verhärtet, daß der Cancer occultus sehr evident sich darbot. Diese Verhärtung hatte fast eine knorpelhafte Substanz, welche nur durch den stärksten Druck eines scharfen Scalpells zerschnitten werden konnte. Ex fundo uteri floß eine eiterartige Feuchtigkeit heraus.
Die tubae fallopianae, die ovaria, die Urinblase, und die Nieren befanden sich im Normal Zustande.
Wenn nun causa mortis durch den Schuß in das Herz hinlänglich eruirt war, so ist die Eröffnung des Gehirns als überflüssig unterlassen worden, und die Obduction geschlossen, wobey Obducentes bemerkten, <16:> daß sie auch hierüber noch ein besonderes Visum repertum zu den Acten übergeben würden.

prael.  rath.  et    subs.
Sternemann       Greif
         Chirurgus forensis
a.    
u.    s.

Der Ehemann der Denatae Rendant Vogel, hatte einen Sarg von Berlin geschickt, worin der Leichnam gelegt, und zur Erde bestattet worden. Ihre Kleidungsstücke so wie ein an ihrem Finger befindlicher goldener Ring sind d. H. Krieges Rath Peguilhen auf dessen Ersuchen, ausgehändigt worden, um sie den Angehörigen der Verstorbenen auszuliefern. Eben derselbe nahm die Kleidungsstücke des Denati v. Kleist in Empfang, und wiederholte seine Versicherung, daß auch die Kosten dieser Obduction und des gerichtlichen Verfahrens von d. H. Rendanten Vogel getragen werden würden.
a.    u.  s.
Felgentreu
Mevius

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Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
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