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Georg Minde-Pouet, Kleists letzte Stunden. Teil 1: Das Akten-Material (Berlin: Weidmann 1925), 26-29

Vernehmungsprotokoll Johann Friedrich Stimming, Stimmings bei Potsdam, 22. 11. 1811

Verhandelt auf dem Stimmingschen Kruge bei Potsdam
den 22ten November 1811.
Der vorgeforderte Gastwirth Stimming, ließ sich nach vorgängiger Ermahnung zur Wahrheit, dahin vernehmen:
Ich heiße Johann Friedrich Stimming, bin 45 Jahr alt, lutherischer Confession, und Besitzer dieses Gasthofes.
Zur Sache.
Es kamen am Mittwoch, den 20ten huj. Nachmittags zwischen 2 u. 3 Uhr zwei mir unbekannte Personen, ein Herr, und eine Dame, mit einem Lohnkutscher von Berlin gefahren, u. stiegen in meinem Gasthofe ab.
Auf ihr Verlangen mußten ihnen zwey Zimmer im obern Stockwerke des Hauses eingerichtet werden, weil sie ihrer Aussage nach, noch die Ankunft einiger Fremden abwarten wollten. Sie bestellten Kaffee, erhielten solchen, und gingen beyde, nachdem sie ihn verzehrt, gemeinschaftlich aus, anscheinend spatzieren. Ihren Weg richteten sie von hier nach Berlin, über die Wilhelms Brücke, doch kann ich nicht sagen, wo sie hingegangen. Sie blieben über eine Stunde aus. Nach ihrer Rückkunft lohnten sie den Kutscher ab, der nach Berlin zurückfuhr. Der Name desselben, so wie der Eigenthümer des Fuhrwerks ist mir unbekannt. Sie verlangten demnächst Abendbrod, erhielten solches, und verblieben beide auf ihren resp. Zimmern. Ob sie zusammen geblieben, oder jeder sich auf seinem Zimmer aufgehalten, ist mir zwar nicht genau bekannt, jedoch weiß ich, daß beide die ganze Nacht aufgeblieben. Sie verlangten am Abend 4 Lichter, imgleichen Schreibzeug, und sowohl ich als meine Hausgenossen haben sie noch spät in der Nacht in den Zimmern umhergehen hören, und auch gesehen. Um 4 Uhr Morgens am Donnerstag früh, verlangten beide jedoch nur eine Portion Caffe, der ihnen gereicht wurde, und um 7 Uhr Morgens abermals eine. Ich vermuthe, daß sie während der Zeit etwas geruht haben, denn gleich darauf mußte mein Dienstmädchen die Dame, welche entkleidet gewesen, anziehen helfen. Der Herr kam indeß herunter, fragte nach der Rechnung, ging dann wieder nach oben, und nachdem mein Dienstmädchen ihnen solche gebracht, kamen beide herunter. Meine Ehefrau fragte sie, ob sie nicht Mittagessen begehrten, sie verneinten dies aber, nahmen aber ein Paar Tassen Bouillon an. Hiernächst ließ der unbekannte Herr sich erkundigen, ob nicht ein Bote vorhanden wäre, der <27:> einen Brief nach Berlin tragen könnte. Ich gestellte einen dergl., der zwischen Mittags 11 und 12 Uhr von hier fortging. Hiernächst gingen beide ab und zu, vor dem Hause spatzieren, und unterhielten sich zwischen 2 u. 3 Uhr sehr freundschaftlich mit mir. Beyde ließen hierbey nicht die geringste Unruhe, Furcht oder Betrübniß blicken, sondern erkundigten sich nach den Environs, nach der Pfauen Insel, ob man nach der zunächst gelegenen Insel gelangen könne, ob da Leute wohnten, und dergl. Ich ertheilte Auskunft, fragte, ob sie nicht dorthin spazieren wollten, und gab ihnen die Anweisung, wie sie dorthin gelangen könnten. Sie erklärten, aber diesen Spatziergang nicht machen zu wollen, verlangten vielmehr Caffee, und erkundigten sich wiederholentlich, und dem Anschein nach sehr angelegentlich, ob der Bote mit dem Briefe nun wohl in Berlin seyn könnte. Es war 3 Uhr, und ich erwiederte, daß der Bote zwischen 3 u. 4 Uhr gewiß in Berlin eintreffen könnte. Zugleich bestellten sie Abendessen für zwey Herren, die noch aus Berlin eintreffen würden. Sie gingen hiernächst abermals fort, und hinterließen, daß ihnen der Caffee nachgebracht werden sollte. Meine Ehefrau wunderte sich zwar hierüber, daß die Herrschaften an einem kalten Wintertage den Caffe im freyen verzehren wollten, wir hatten indeß nichts Arges und schickten die Ehefrau des Tagelöhners Riebisch hinter ihnen her, indem wir sie noch vom Hause aus am See sehen konnten, wo beide umhersprangen, und Steine in das Wasser warfen.
Die Riebisch kam gleich zurück, und sagte, daß die Herrschaften einen Tisch und zwey Stühle verlangt hatten. Diese schickte ich durch den Tagelöhner Riebisch, und dessen Ehefrau hin. Der Riebisch ist gleich zurück gegangen; die verehl. Riebisch aber dort geblieben. Noch ehe beide Fremde den Caffe verzehrt hatten, schickten sie die p. Riebisch abermals fort, und verlangten zu wissen, was sie für den Caffee schuldig wären.
Ich ließ ihnen durch dieselbe zurücksagen, daß das nichts ausmache, da sie noch nicht abreißten, und sich wohl finden würde. Nachdem ihnen die Riebisch dies bekannt gemacht, ist sie nach ihrer Angabe von der Dame aufgefordert worden, das Caffezeug zurückzutragen, eine Obertasse, worinn sie die Bezahlung für den Caffee gelegt, rein auszuwaschen und wieder zurück zu bringen. Die Riebisch nimmt den Tassen-Kopf, <28:> und hat sich von der Heide bis zur Chaussée entfernt, als sie einen Schuß fallen hört. Sie glaubt, daß die Herrschaften einen Scherz treiben, geht fort, und kömmt ungefähr bis an die Wilhelms Brücke, also 60 Schritt weiter, als sie einen zweiten Schuß fallen hört. Ohne etwas zu ahnden, geht sie fort, kam hier ins Haus, und ging, nachdem die Tasse verlangtermaßen, gereinigt worden, wieder zurück. Bald kömmt sie aber zurückgestürzt, und eilt in ein ihr mir gegenüber liegendes Haus, wo sie denn erzählt, daß sie beide Fremde todt liegen gesehen.
Weil meine Geschäfte es nicht erlaubten, mich von Hause zu entfernen, so ging erst meine Ehefrau nebst Dienstmädchen, und nach ihrer Zurückkunft, ich selbst hinüber. Die beyden Fremden, welche eben dieselben waren, die bey mir logirt hatten, fand ich auf dem Hügel, der an der Machenow u. Heinersdorfschen Heide, und zwar auf Machenofschen Boden, hart an der kleinen Wannsee liegt, von dem man die Aussicht auf den See, und auf die Chaussée nach meinem Hause hat, u. zwar in einer kleinen Grube, die ungefähr 1 Fuß tief ist, und 9. Fuß in Umfang hat, und zwar Fuß an Fuß, die Dame aber rückwärts über liegend, und den Herrn vor ihr sitzend, auch rückwärts über liegend. Der Herr soll früherhin zwar gesessen, mit dem Kopf aber nach vorne herüber, und mehr auf der lincken Seite auf dem Rand der Grube gelegen haben. Den Verstorbenen aber hatte der Tagelöhner Riebisch ohne ihn aus seiner Stellung zu verrücken, blos aufgerichtet, und mit dem Ober Körper, und zwar auf den Rücken auf die Erde gelegt. Ich stellte sogleich zwey Wächter dabey, welche Achtung gegeben, daß Niemand die Leichen berührt hat, und machte eine Anzeige an das Policey Directorium in Potsdam. Da wir die von den Fremden bewohnten Zimmer verschlossen fanden, so hat der Tagelöhner Riebisch in meiner Ehefrau Gegenwart in des Herrn Tasche fassen müssen, und auch sogleich meinen Schlüssel und einen Drücker gefunden, u. herausgenommen. Bei geschehener Nachsuchung auf den Zimmern fand sich nichts, als auf dem Zimmer der Dame ein kleines hölzernes Kästchen ungefähr eines Fußes lang, und in dem Zimmer des Herrn, ein kleines Felleisen beide versiegelt. Diese Sachen, so wie die beide vorgefundenen Pistolen, haben ich den um 7 Uhr Abends eingetroffenen Herrn Ren- <29:> danten Vogel, und Krieges Rath Peguilhen wovon der erstere sich für den Ehegemal der entleibten Dame ausgab, ausgehändigt.
Weiter ist mir aus eigener Wissenschaft nichts bekannt. Ich habe wie ich bereits angegeben, nicht den leisesten Verdacht oder eine Ahndung gehabt, daß die beiden Fremden, den hernach executirten Vorsatz haben könnten, indem sie, so oft ich sie zu sehen, und mit ihnen zu sprechen Gelegenheit gehabt, nicht das Mindeste bemerkt, was irgend darauf hindeuten könne. Das Aufbleiben in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag, fiel mir zwar auf, um so mehr da die Fremden, welche sie ihrer Behauptung nach erwarten wollten, nicht eintrafen, da sie indeß am Donnerstag früh einen Brief nach Berlin schickten, glaube ich, daß sie vielleicht einen Grund hätten, ihren Auffenthalt zu verheimlichen. Beyde Personen haben übrigens auch gegen keinen meiner Leute etwas von ihrem Vorsatz geäussert oder solches merken lassen.
Meine Aussage ist der Wahrheit gemäß.
prael.   rath.  et  subs.
Stimming

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Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
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