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Ernst Friedrich Peguilhen, Aus dem Leben Heinrichs von Kleist, in: Friedrich Wilhelm Gubitz (Hrsg.), Berühmte Schriftsteller der Deutschen. Schilderungen nach Selbstanschauung theils auch berühmter Zeitgenossen aus dem Leben von (…), 2 Bde. (Berlin: Vereins-Buchhandlung 1854), Bd. 1, 309-316

Aus dem Leben Heinrichs von Kleist.
Von Peguilhen.

Heinrich v. Kleist war von einem jüdischen Mäcen zur Tafel geladen, und auch eine, damals sowohl wegen ihrer lebendigen Darstellung als zweite Lady Hamilton berühmte und außerdem wegen ihrer Naivetät und natürlichen Offenheit bekannte Schauspielerin S. \1\ – Der Wirth hatte nichts Angelegentlicheres zu thun, als dieses seiner Ansicht nach zusammengehörige, auf einer Stufe stehende Künstlerpaar bei Tische neben einander zu setzen und sein eignes Ich gegenüber zu pflanzen, um ja kein Wort von dem vorausgesetzten künstlerischen Zwiegespräch zu verlieren, und mit den aufgeschnappten, gehörig verdrehten Brocken seine Bekannten in Erstaunen zu setzen. <310:>
Kleist war damals wohl genannt, aber nicht berühmt, wie er es denn in der That erst nach seinem Tode wurde. „Das Käthchen von Heilbronn“ (mit Erlaubniß der Herren Kleiste-Coraxe nicht die beste seiner Arbeiten) war nur im Manuscript vorhanden und noch auf keiner Bühne dargestellt. Es hatte bis dahin nur zu dem bekannten Billet an Iffland Anlaß gegeben, das wohl das Witzigste seyn mochte, was je aus Kleist’s Feder geflossen ist.
Frau S. hatte damals schon den Gipfel ihres, als mimische Künstlerin wohlverdienten Rufes erreicht, und in ihrem Innern vielleicht wähnend, durch Entgegenkommen sich zu dem weniger Bekannten herabzulassen, wohl gar ihn zu ehren und zu heben, vielleicht auch dessen künftige Lorbeern ahnend, begann sofort die Unterhaltung mit dem ihr ganz Unbekannten. Sie sprach von dem allverbreiteten Orden der Dichter und Dichterinnen aller Länder, von der nahen Verwandtschaft mit den Schauspielern, von Hyazinthen, Tulpen, Rosen und anderen Blumen-Namen der Dichter als geheime Paß- und Erkennungswörter unter sich und so weiter. Dem guten Kleist, der nicht zu dieser Verbrüderung gehörte, und weder öffentlich noch heimlich sich als Lilie – vielleicht für ihn das passendste Stichwort – bezeichnen ließ, war dies Gespräch weder verständlich noch annehmlich. Er, der nicht äußerlich, nur innerlich glühte, und, von Natur wortkarg, sich nicht besonders angezogen fühlte, war so ungalant, die Dame fast <311:> mit Schweigen zu beschämen, und mehr auf die irdische Speise des Wirthes, als auf die geistigen Brosamen seiner Nachbarin zu achten. Eben so wenig fruchteten die poetischen Brocken, die der kunstsinnige Wirth mit echt israelitischer Zudringlichkeit von Zeit zu Zeit dazwischen warf, um ein ordentliches Gespräch, wo möglich eine der ästhetischen Controversen, wie sie damals an der Tagesordnung waren, in den Gang zu bringen, zum Beispiel: daß Musik nichts als die höchste Poesie, und die Baukunst nichts als gefrorne Musik sey. Das lebende Bild, nämlich die S. – denn gerade durch solche Darstellungen, wozu ein tadelloser Körper und verrätherische Verhüllung nicht alltäglicher Reize sie vorzugsweise befähigte, war ihr neuerer Ruf begründet – wurde zwar etwas piquirt, spann aber doch ihr Thema weiter. Sie strafte ihren Nachbar mit seinem Vornamen durch eine witzige Anspielung auf die bekannte Blume gleichen Namens als: stolzen Heinrich – und sich selbst als sensitiva pudica nach der homöopathischen Lehre von der Einwirkung ähnlicher und entgegengesetzter Stoffe, fing auch allgemach an, die Rechte und Pflichten der durch ein geheimes magisches Band auf dem ganzen Erdball verbrüderten Dichter und Dichterinnen zu entwickeln. Sie sprach die so verschwisterten Seelen als hoch über Menschensatzung und Vorurtheil erhaben an, als entbunden von conventionellen Verhältnissen und Formen, besonders nach dem Aussprechen des Losungswortes; gleich beim <312:> ersten Zusammentreffen nicht bloß als alte Bekannte, sondern gleichsam durch ein siamesisches Zwillingsband mit einander verwachsen, oder in den magischen Ring des Mesmerismus gebannt, der ohnfehlbar in beiden gleichartige Gefühle hervorriefe.
Kleist, mit einem gesunden Appetit begabt, hörte diese schönen, noch weiter ausgesponnenen Sachen nur mit halbem Ohre, ohne die noch verblümter vorgetragene Lehre von einer so schranklosen Gemeinschaft, wie etwa bei der Harmonie-Gesellschaft in Amerika, zu begreifen. Er ließ kaum hin und wieder ein Wort fallen, arbeitete mit dem Munde bloß um zu kauen, und that schon wie die damaligen (jetzt noch ausgebildetern) Incrojables, die einen Ruhm darin setzten, das schöne Geschlecht mit Hintansetzung aller Höflichkeit nachlässig zu behandeln.
Der Mäcen genüber vergaß einen Caviar-Semmelschnitt auf seinem Teller, und fühlte eine Anwandlung von Aerger, nicht bloß über Kleist’s Schweigsamkeit, sondern mehr noch über das leise Geflüster der Sensitive, wovon er selbst mit seinen gespitzten Ohren nur abgebrochene Sylben vernahm. Vergebens suchte er durch einzelne, besonders an Kleist gerichtete Querfragen der Unterhaltung eine ihm mehr zusagende Richtung zu geben. Kleist antwortet kurz mit vollem Munde und ohne merkliche Unterbrechung seiner gastronomischen Studien, und eben so wenig ist es möglich, die Sensitiva von der ihr höchst <313:> interessanten Aussicht: einem Neuling die Dichterweihe zu geben, abzulenken. Sie tritt endlich gegen den stolzen Heinrich geradezu mit dem Ansinnen hervor, ihn noch heute als Neuaufgenommenen zu taufen, und ihm Abends in ihrer Wohnung die volle Weihe zu geben, wozu sie durch das Statut ermächtigt sey; dabei wurde sie genial vertraulich und andringlich.
Der in aller Hinsicht starr ehrenwerthe Kleist, Reinheit in Wort und That beim schönen Geschlecht fordernd und ehrend, begriff nun erst, wovon die Rede sey. Aber so wie ihm dies klar geworden, war es auch um seine gemüthliche Gaumenlust geschehen.
Nicht schneller durchzuckt der elektrische Funke den durch die Kette verbundenen Kreis, als er, ohne ein Wort zu sagen, mit dem Taschentuch die in seinem Gesicht auflodernde Gluth verbergend, aufsprang, aus dem Speisesaal die Treppe hinab auf die Straße stürzte und, wie von Furien verfolgt, zu seinem in der Nähe wohnenden Freund P.\1\ flüchtete.
Kleist fuhr, ohne anzuklopfen, in dessen Arbeitszimmer hinein, und warf sich glühend, ganz außer sich auf ein Sopha, Anfangs unfähig, nur ein Wort hervorzubringen. P., der ihn in solcher Aufregung nie gesehen, stutzte, und fragte gutmüthig, ihm ein Glas Wasser reichend, was ihm begegnet sey? <314:>
Kleist goß das Wasser hastig hinunter, und nach einiger Erholung trug er das Begegniß mit einer bei ihm ganz ungewöhnlichen Exaltation und mit Aeußerungen des innigsten Verdrusses über Verletzung weiblicher Würde ausführlich vor, und hätte vielleicht noch lange fortgesprochen, wenn ihn nicht P., sobald er unterrichtet war, durch ein lautes, nicht zu stillendes Gelächter unterbrochen hätte. Kleist sah ihm eine Zeit lang zu, fast versteinert durch das unhöfliche Benehmen des Freundes, bis dieser endlich folgende Worte an ihn richtete: „Fasse Dich, lieber Freund, und erhole Dich hier vollends. Erlaube aber auch, daß ich inzwischen zum Mäcen gehe, Deine Uunhöflichkeit durch plötzliches Nasenbluten entschuldige, und das Abenteuer mit Deiner Sensitive ritterlich vollende, wo ich denn Deinen Hut mitbringen werde, damit Du beliebig nach Hause gehen kannst.“
Da brach der Sturm noch gewaltiger los. Er warf dem P., ihn mit einer Sündfluth genialer Scheltnamen überschüttend, Undelicatesse, Gemeinheit vor, kündigte ihm alle Freundschaft auf, die zwischen so ganz verschiedenen Naturen nicht ferner bestehen könne, und so weiter.
Als P. bemerkte, daß alle besänftigenden Worte in den Wind geredet waren, doch sein unmöglich zu unterdrückendes Gelächter immer von Neuem Oel in’s Feuer goß, bemühte er sich, sein Gesicht in ernstere Falten zu legen, reichte Kleist einen Hut, und ersuchte ihn, nach <315:> Hause zu gehen, um die Sache zu beschlafen; worauf Kleist blitzschnell, ohne ein Wort zu erwiedern, davon lief.
P. hatte zwar viel Berührungspunkte mit Kleist, aber hinsichtlich des schönen Geschlechts, dem man, namentlich wenn von Künstlerinnen die Rede, nicht Alles auf gewöhnliche Wage legen muß, war er sein vollständiger Gegensatz. Dies trug vielleicht bei, ihr Freundschaftsband inniger und dauernder zu knüpfen, da Erfahrung lehrt, daß bei ganz gleicher Sinnes- und Denkart die Freundschaft an Langeweile kränkelt, und ein Umgang, wo beide Theile überall derselben Meinung sind, einem Congresse zweier Stammgäste in einem Bierhause ähnlich wird, wo jene stundenlang neben einander sitzen, ohne daß ein Laut, als etwa das Klingen der Gläser, oder eine andere Bewegung als der abwechselnd aufwirbelnde Tabaksdampf wahrgenommen wird. P. war nicht ohne Talent, eine kräftigere Natur als Kleist; aber dem Weibe gegenüber schwächer als ein Kind, unfähig einem lockenden Genusse zu widerstehen, und diesen, ohne Ahnung von Unsittlichkeit, nach Kräften verfolgend. In der Ueberzeugung, daß er nun einmal so erschaffen sey, hatte er auch dieser Denkweise gar kein Hehl.
Bei dem Mäcen entstand zwar eine allgemeine höchst unwillkommene Störung, indessen wurde Kleist’s Flucht wirklich auf Nasenbluten oder einen andern plötzlichen Krankheitsfall geschoben. Nur die Sensitive glaubte <316:> das Richtige zu treffen, indem sie den raschen Aufbruch zwar auf Rechnung des strengsten und heiligsten Feuers schrieb, das sie entzündet zu haben glaubte, aber zugleich überzeugt war, Kleist habe nur die Absicht, mit ihr eine Weihe-Zusammenkunft vorzubereiten, in welcher Meinung sie unter einem Vorwande ebenfalls den Speisesaal verließ, um ihn in seinem Versteck aufzusuchen. Als sie die Gewißheit erhielt, daß er wirklich ohne Kopfbedeckung das Haus verlassen habe, besuchte sie ihn am folgenden Tage in seiner Wohnung, wozu zarte Besorgniß für seine Gesundheit einen schicklichen Vorwand bot, und gab ihren Plan erst auf, da er sich als unwohl verleugnen ließ.
P. fand es nicht unter seiner Würde, am andern Tage den Freund in seiner Wohnung aufzusuchen. Da dessen Lebensgeister durch die Stille der Nacht beruhigt waren, so fand ein gutes Wort eine gute Statt, und bald wurde unter gemeinschaftlichem Gelächter und Witzworten der Freundschaftsbund von Neuem geschlossen.
Wenige Monate darauf lag Kleist in einer waldumkränzten Grube entseelt neben seiner Himmelsbraut, mit welcher auf Erden die innigste Vereinigung unmöglich war! Die Innigkeit dieses Verhältnisses erfuhr P. nun erst und erklärte sich dann Kleist’s Ueberspannung. Hätte P. früher darum gewußt und seinen Freund an einen edlern Tod für König und Vaterland gemahnt, so wäre gewiß Kleist einem muthigeren Entschlusse gefolgt.

\1\ Händel-Schütz.
\1\ Peguilhen.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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