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Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 222-224

Friedrich v. Raumer an Keßler, Potsdam, 12. 2. 1810

Potsdam, den 12. Februar 1810.
Ich eile Ihren Brief zu beantworten. Zuerst von Geschäften. Sie scheinen mir die Sache zu theoretisch und <223:> vorschriftsmäßig zu beginnen; danach geht nicht einmal unser Columnenjournal, viel weniger zwängt man den Bauer hinein.
Der Hauptzweck ist, etwas zu Stande zu bringen; das Hauptmittel, durch aufrichtige Theilnahme, das Zutrauen der Bauern zu erwerben. Sie müssen gar nicht vorzüglich vom Dienstaufheben reden, sondern von Krieg, Einquartierung, Execution, Heirathen, Kinderzeugen, Käse, Eiern und dann so auch vom Hofedienst. Dann von den Beamten, dem künftigen Erbpächter, dem jetzigen allein noch übrigen Zeitpunkt der Aufhebung, wie der Erbpächter sie schon zwiebeln werde und dann die Sache nicht gehen könne u. s. w. Dann werden sie etwas bieten, auch wol für Hofwehr und für Erbstandsgeld. Das Höchste, was Sie auf diese Weise erlangen, das ist das Rechte, und nun erst, nachdem Sie in Gedanken abgeschlossen, fangen Sie an zu rechnen, und es muß passen; denn so erlangt man mehr innere Wahrheit als auf dem andern Wege, wo man Zahlen vor den Wagen spannt, die nicht ziehen. Das Rechnen sei ganz kurz: quälen Sie sich nicht ab über jeden Spaten der Hofwehr, sondern scheren Sie die Sache über einen Leisten, und wollen die Leute nichts geben, so beweisen Sie, daß sie nichts haben (was sehr leicht ist) und daß der König an Holz, Remission u. s. w. noch übermäßig gewinnt. Ob in der Instruction dies oder das steht, ist ganz gleich; die Ansicht eines verständigen Menschen und sein Thun geht weit über alle theoretischen Buchstaben dieser Art hinaus, womit man keinen Hund aus dem Ofen und keinen Bauer vom Dienste lockt. Es sei Ihnen Regel für Ihr ganzes praktisches Leben, die unendliche Mannichfaltigkeit der Verhältnisse klar aufzufassen und dadurch allmächtig den Nagel auf den Kopf zu treffen, daß die Sachen in so raschen Schuß kommen, daß bewußtlos wohl oder übel alle mitmüssen. Ich kann mir Ihre Ängstlichkeit sehr gut erklären und erinnere mich meiner Noth, <224:> als man mich ein halb Jahr lang unter Mönchen und Nonnen zu den allerschwierigsten und verwickeltsten Verhältnissen unvorbereitet, ohne Acten und Hülfsquellen einsperrte; allein solche Proben sind überaus heilsam, daran lernt man gehen, dadurch erhält man eine praktische Gewandtheit und Sicherheit, die fürs ganze Leben unschätzbar wird. Deshalb verfahren Sie kühn nach meinem Rath und Ihrem Kopfe, und so, daß etwas geschieht, und sind die Kerle des Teufels, so fahren Sie einmal darunter, als wären Sie des Teufels Großvater, oder gar der Landreiter zum Beitreiben der Reste – denn das ist in jetziger Zeit ein ungemein wirksamer Schreckschuß. So verdrießlich die Sachen sein mögen, so räthlich scheint es mir für Sie selbst, sich noch eine gute Weile darin herumzudrehen, bis Sie gleichsam damit spielen können; dann zu andern Dingen.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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