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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 25-30

Ernst von Pfuel und andere Freunde Kleists aus der Potsdamer Militärzeit


In Dresden sollten sich die Freunde wiedersehen. Als Kleist dort etwa Ende August 1807 eintraf, waren seine Freunde Pfuel und Rühle schon in Dresden, hatten aber noch nicht festen Fuß gefaßt. Übrigens zählte zu den Freunden Kleists in Dresden nicht bloß Ernst v. Pfuel, sondern auch sein oben erwähnter Bruder Friedrich. Im Jugendstammbuch Körners – es gibt eines aus früherer und eines aus späterer Zeit – findet sich eine Stammbucheintragung, die Zolling in einem Aufsatz über dieses Stammbuch (Gegenwart 1891 Nr. 39) Ernst v. Pfuel zuschreibt. Zolling wußte wahrschein- <26:> lich nichts von der Existenz des Bruders und änderte die deutliche Unterschrift Fr. Pfuel in Ernst Pfuel um. Der Stammbuchvers, der eine gewisse Anlehnung an den von Kleist aus dem Mai desselben Jahres erkennen läßt, lautet:

Glück auf!
So rief auf des Lebens vereinigten Wegen
Dir Amor, Minerva, Fortuna entgegen.
Und nur erst im Gasthof zur Ewigen Ruh’,
Empfang Dich begrüßend Hans Mors mit Glück zu!
Fr. Pfuel
Dresden, September 1808.

Ein launiges Geburtstagsgedicht von Ernst v. Pfuel an Theodor Körner im September 1808 veröffentlicht R. Brockhaus (Theodor Körner zum 23. September 1891. Leipzig 1891).
Fr. v. Pfuel war wie sein älterer Bruder von Kindheit an mit Kleist eng verbunden. Wir werden in der Folge öfters auf ihn zurückkommen. Es seien deshalb an dieser Stelle nach dem Buche „Die Generäle der Königl. Preußischen Armee von B. v. Kleist“ (Hannover 1891) die wichtigsten Daten zusammengestellt: Friedrich Heinrich Ludwig v. Pfuel, geb. 1781, den 4. Januar 1797 Fähnrich im Inf-Reg. v. Puttkammer Nr. 36, den 10. Oktober Sekondlieutenant, den 1. Mai 1809 Adjoint beim Generalstab, den 14. Februar 1810 Stabskapitän, den 20. August 1811 dimittiert als Major mit Beibehaltung der Uniform, den 16. März 1813 im Generalstab, avanciert bis zum Generallieutenant, starb den 16. Juli 1846.
Die Anstellung beim Prinzen Bernhard erhielt Rühle erst am 29. September. Otto\1\ Rühle von Lilienstern war als <27:> Fähnrich am 14. Februar 1798 in dasselbe Regiment wie Kleist eingetreten, war am 9. September 1800 zum Sekondlieutenant avanciert und kam wie Pfuel am 20. März 1804 als Adjoint zum Generalstabe. Unterm 3. September 1807 dimittiert er mit der Erlaubnis, in Weimarische Dienste zu gehen. Über das Verhältnis Rühles und seiner Freunde zum Weimarischen Hofe gibt uns eine für uns nach mancher Richtung aufklärende Darstellung das Buch von Starklof: das Leben des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach (Gotha 1865 I. 46). Rühle wurde dem Herzog Karl August durch Müffling empfohlen, der nach Jena in Weimar die Stellung eines Vizepräsidenten vom Herzog erhalten hatte; er schilderte Rühle als einen wissenschaftlich gebildeten, geistreichen Menschen und „seines Charakters als durchaus geeignet“, für den Posten eines Gouverneurs des Prinzen Bernhard. Rühle trat an dem angegebenen Tage als Gouverneur und Kammerherr in den Weimarischen Dienst mit der Bedingung, dem Prinzen zehn Jahre als Gouverneur attachiert zu bleiben. Die Darstellung Starklofs erscheint mir nicht korrekt und widerspricht entschieden dem, was Kleist am 17. September 1807 an Ulrike schreibt: „Der Herzog würde ihm (Rühle) sehr gern nach Verlauf der Erziehungsperiode einen Posten in seinem Lande geben; doch da sein unerläßliches Bedürfnis ist, frei zu sein, so will er alles an dieses Jahr setzen, um es für die übrige Lebenszeit zu werden“. Eine Aufklärung dieser Notiz Kleists, welche ja der zehnjährigen Verpflichtung widerspricht, gibt die Darstellung in dem biographischen Denkmal für Rühle im Militärwochenblatt (s. o.). Nach der leider nur flüchtigen Skizze der ersten Lebensjahre Rühles baute sich auch dessen Laufbahn auf den Beziehungen zu Kleists Verwandten resp. Freunden auf. Der Oberst v. Massenbach, der eine jüngere Schwester der Marie v. Kleist, Henriette v. Gualtieri, zur Frau hatte, war der väterliche Freund und Berater Rühles, wie Christian und Otto v. Kleist der Pfuels. Die nähere <28:> Bekanntschaft wurde vermittelt in dem Hause seiner „geistreichen Schwägerin“ Frau v. Kleist. Der von Kleist in der zitierten Briefstelle erwähnte Freiheitsdrang hängt mit folgendem zusammen: Als die Hoffnungen zu einem weiteren Fortkommen im Vaterlande nach Jena mehr und mehr entschwanden, lenkten sich die Aussichten Rühles nach dem fernen Orient. Indien wurde nicht allein das Ziel seiner Wünsche, sondern schien auch vermittels des Einflusses von Mackintosh, damals Direktor des Gerichtshofes zu Bombay, an den ihn der befreundete Friedrich von Gentz empfohlen hatte, ein Unterkommen zu sichern. Da aber die Absicht, den Landweg dorthin einzuschlagen, wegen der zwischen England und der Türkei vorhandenen Zerwürfnisse augenblicklich nicht ausführbar war, so wurde hierdurch Rühles Aufenthalt in Dresden verlängert. Er übernahm die Stelle als Gouverneur beim Prinzen Bernhard von Weimar vorläufig auf ein Jahr zur Probe, da er die Absicht zur Übersiedlung nach Indien keineswegs aufgegeben hatte. Er machte mannigfache geographische und historische Untersuchungen über dieses Land selbst und über die damit in Zusammenhang stehende Lage von England.\1\
Bemerkenswert ist hier die ziemlich einzige Erwähnung Marie v. Kleists als einer geistreichen Frau und der Hinweis auf die Freundschaft zwischen Gentz und Rühle, die noch lange Jahre anhalten sollte; ob sie durch Kleist vermittelt wurde, oder ob umgekehrt Rühle die Freundschaft zwischen Kleist und Gentz anregte, läßt sich nicht klarstellen. Rühle sah seine Stellung nur als eine provisorische an. Das erhellt schon daraus, daß er seinen Dienst sehr vernachlässigte, daß er es an jeder Aufsicht und Einwirkung auf den Prinzen fehlen und diesem völlig freie Hand ließ. Für die Stellung eines Erziehers besaß er, wie Starklof meint, wenig Stetigkeit und <29:> ebensowenig die Gabe, einen Menschen systematisch und konsequent zu führen. Immerhin war diese Anstellung für die Freunde eine Lebensfrage, und sie gab ihnen die Möglichkeit, sich in Dresden zu behaupten. Rühle hatte seinen Freund Pfuel gleichfalls untergebracht; er unterrichtete den Prinzen in der Mathematik und im Fechten. Als dritter Lehrer war, wie ich aus Starklof ersehe, der Kapitän Karl August v. Bose der Grenadiergarde beigegeben, er lehrte den praktischen Dienst. Ich habe schon früher\1\ nach dem Handexemplar von v. Buelow darauf hingewiesen, daß v. Bose zu den intimsten Freunden Kleists in Dresden gehörte. Nach der Eintragung bei Buelow war er eine Art Fallstaf\2\ ein Zyniker, der nachts oft auf der Elbbrücke schlief und bei Tage meist da saß, um Neuigkeiten abzupassen, wegen seiner Körperstärke zu bequem, um zu gehen. Auch ihn hatte Müffling empfohlen; er schreibt über ihn an den Herzog: „Zu meinem großen Vergnügen kann ich Ew. Durchlaucht sagen, daß Höchstdieselben keinen bessern Kapitän für den Prinzen hätten finden können, als Herrn v. Bose. Er hat einen zweckmäßigen Ernst im Dienst und die Gabe, den Dienst doch zugleich interessant zu machen.“
Das dringende Bedürfnis Rühles frei zu sein, sollte sich nicht erfüllen. Er hatte in Teplitz, wo er in Begleitung des Herzogs und des Prinzen weilte, die Bekanntschaft einer Dame gemacht, Frau v. Schwedhof, geb. Frankenberg-Ludwigsdorf, welche er zwei Jahre später heiratete; die Herzensneigung veranlaßte ihn, seine in weite Ferne reichenden Pläne aufzugeben und definitiv seine Stellung beizubehalten.
Bei den nahen Beziehungen zum Weimarer Hofe ist es selbstverständlich, daß die drei Erzieher in persönliche Berührung mit Goethe kamen. Daß Rühle Goethes Bekanntschaft <30:> machte, schreibt auch sein Biograph. Als Goethe mit dem Großherzog den Sommer 1810 sich in Teplitz aufhielt, waren u. a. Rühle und Pfuel häufig in seiner Gesellschaft. Im Juli 1811 schreibt Carl August aus Teplitz an Goethe: „Es ist endlich beschlossen worden, Bernharden diesen Herbst nach Wien und Italien zu schicken … Der dicke Bose, ehemals von der Garde du Corps, den Du oft hier gesehen hast, wird hoffentlich mit Rühle ihn begleiten.“ Unter diesen Umständen ist die Ansicht ganz unhaltbar, daß auch Kleist und Goethe sich im Leben nicht persönlich nahegetreten sind.

\1\ Der Vorname wird verschieden angegeben (Starklow schreibt Ludwig), Familienpapiere geben nicht sichere Auskunft. Ich richte mich nach der Eintragung in den Akten der G. K. K. des Kriegsministeriums, welche ihn aufführt unter: Johann Jakob August Otto Rühle von Lilienstern aus der Priegnitz.
\1\ Die Untersuchungen veröffentlichte Rühle in seinen Hieroglyphen (vollendet 1808).
\1\ Das Kleistproblem S. 172.
\2\ Gentz, der mit Bose andauernd befreundet blieb, nennt ihn in seinem Tagebuch ständig den „dicken Bose“.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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