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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 35-40

Ernst von Pfuel und andere Freunde Kleists aus der Potsdamer Militärzeit


Die Liebe zum Vaterlande und der Haß gegen den Nationalfeind drücken nicht bloß Kleists Poesie den Stempel auf, sondern sie bestimmen auch sein praktisches Handeln. Er beteiligt sich tatkräftig mit seinen Freunden an der politischen Bewegung seiner Zeit und dies in einem Maße, daß, wie wir sehen werden, alle Gegenbewegungen auch an entfernteren Punkten des Vaterlandes, die in Sachsen Terrain gewinnen wollten, bei der Gruppe Pfuel, Kleist, Ad. Müller anknüpften. Wir müssen uns mit Andeutungen in Memoirenwerken begnügen, archivalisches Material für diese ersten und schüchternen Versuche einer Gegenbewegung ist nicht vorhanden. Die bestimmteste Nachricht ist die, welche ich aus den Denkwürdigkeiten des Generals v. Hüser zuerst an die Öffentlichkeit gezogen habe, nach welcher Kleist bei einer geheimen Verbindung beteiligt und für sie tätig war, welche eine Massenerhebung, eine Volksbewaffnung und einen Sturm auf Magdeburg plante\1\. Das Haupt dieser Verbindung war wenigstens in Berlin ein Leutnant v. Luetzow, Adjutant bei dem Obersten v. Luetzow, dem nachherigen Freischärler. Die <36:> Vermutung, welche ich in meiner Veröffentlichung ausgesprochen habe, daß der erwähnte Leutnant v. Luetzow der Sohn dieses Obersten und späteren Freischärlers war, ist nicht zutreffend, denn dieser, der spätere Generalmajor Adolph v. Luetzow hatte ausweislich der Akten der Geh. Kriegskanzlei keine Kinder. Der Leutnant v. Luetzow, dessen intime Beziehung zu Kleist wir hier konstatieren, ist der spätere Generalleutnant und Kommandant von Berlin, Heinrich Baron v. Luetzow. Er stammte aus der Kurmark und war im März 186 geboren, war also erheblich jünger als Kleist. Im März 1803 kam er aus der école militaire in Kleists Regiment nach Potsdam als Fähnrich. 1807/8 war er Sekondelieutenant und Adjutant beim Generalmajor v. Luetzow; am 14. August 1808 ist er bei dem Generalstabe in Schlesien angestellt und ging 1809 in fremde Kriegsdienst (Österreich, Spanien, Rußland). Da Kleist sehr nahe Beziehungen zur école hatte – Otto v. Kleist war ihr Direktor, seine intimsten Freunde, Pfuel, Zenge, Gleißenberg gehörten ihr an –, so läßt sich annehmen, daß Kleist den jungen Luetzow schon kannte, als er nach seiner Studienzeit in Berlin sich aufhielt; bei seinem Aufenthalt in Berlin nach der Deternierung in St. Joux und vor Dresden wird ihn dann der befreundete Luetzow in die geheime Bewegung hineingezogen haben. Ich bringe auch mit dieser Geheimbundaktion Kleists eine befremdende Notiz in einer Besprechung des Käthchens von Böttiger in Verbindung, wo erzählt wird, daß der Dichter die dem Käthchen zugrunde liegende Legende auf seinen „militärischen Streifzügen durch Schwaben“ kennen lernte.
Über die Beteiligung Rühles – und das bedeutet in diesem Falle Rühles und Kleists – an den geheimen Bestrebungen gegen die Fremdherrschaft drückt sich Rühles Biograph mit den folgenden Worten aus:
Es wird vielleicht niemals gelingen, den Schleier, welcher über den geheimen politischen Bewegungen in Deutschland während der Zeit von 1807-13 ruht, vollständig zu heben. <37:> Der Tugendbund ist offenbar nur ein einzelner, dadurch bekannt gewordener Verein, daß er sich im Volke selbst verbreitet hatte. Seit dem Sturz des preußischen Staates war aber auch in den höchsten Regionen Deutschlands die notwendige Energie erwacht, um sich von der Napoleonischen Herrschaft zu befreien. Herzog Karl August von Weimar war im edelsten Sinne des Wortes zu sehr deutscher Fürst, um dieses Ziel nicht durch wirksames Eingreifen und passende Vorbereitungen aufs kräftigste zu verfolgen. Es ist bekannt, daß Napoleons Verdacht in Hinsicht auf die Bewegungen in Deutschland im Jahre 1809 sich besonders auf Berlin und Weimar lenkte, und sogar bei dem Attentat in Schönbrunn sehr unziemlich hervorbrach. Neben Stein, Müffling und anderen gehörte auch Rühle zu den Organen, welche in der Entwicklung der genannten Pläne und Verhältnisse eine Rolle spielten und wahrscheinlich noch mehr spielen sollten, als es das Resultat des Krieges von 1809 gestattete. Mitglied des Tugendbundes war derselbe hingegen nicht, da einer der Kardinalsätze dieses Vereins seinen Absichten widersprach.
Die allerdings nur sehr allgemein gehaltenen Ausführungen des gut unterrichteten Autors, dem das Material des Generalstabs zur Verfügung stand (s. o.), beweisen jedenfalls, daß Rühle sich tatkräftig an der geheimen, politischen Bewegung jener Tage beteiligte. Und mit ihm zweifellos sein Lehrer und Freund Kleist. Dafür spricht schon die Tatsache, daß Rühle sich dem Tugendbund nicht anschloß, gegen den ja Kleist ganz offensichtlich in seiner Hermannsschlacht Stellung nahm. Seine Animosität ist auffallend genug und dürfte beweisen, daß zu der Zeit, als der Tugendbund oder der „sittlich wissenschaftliche Verein“, auch schlechtweg „der Verein“ genannt, in Königsberg (II. Quartal 1808) gegründet wurde, Kleist schon in einer Geheimverbindung mit seinen Freunden planmäßig eigene Wege ging. Wenn wir bedenken, daß die Bewegung von Königsberg ausging, wo Kleist zahlreiche Beziehungen hatte, und ferner, daß zu den Begründern des Vereins der <38:> ihm befreundete Traugott Krug gehörte, welchem wir die erste Flugschrift\1\ über den Tugendbund verdanken, so ist es wohl zweifellos, daß die Leitung des Vereins, als sie in Sachsen festen Fuß fassen wollte, bei Kleist und seinen Freunden anknüpfte. Wenn sich Kleist ablehnend verhielt und sein Name in der Mitgliederliste nicht verzeichnet ist, so wird ihn vielleicht nach der Angabe Gerwiens (s. o.) die Bestimmung in den Satzungen des Vereins abgehalten haben, daß die Staatsregierung sich die Oberleitung über den Verein vorbehält; wahrscheinlicher erscheint mir der Umstand, daß Kleist damals schon, wie erwähnt, in eigener Vereinigung, die ihm mehr versprach, tatkräftig agitierte. Eine solche Agitation mußte ihm mehr versprechen, als die Tendenz des Tugendbundes, da, wie wir bald sehen werden, die Freunde sich überzeugt hatten, daß für eine Beteiligung der großen Masse der Bevölkerung, auf die der Bund einwirken wollte, in Sachsen keine Stimmung vorhanden war.
Über diese Verhältnisse unterrichtet uns die folgende Stelle in dem Buche von C. v. Martens: Denkwürdigkeiten aus dem kriegerischen Leben eines alten Offiziers (Dresden und Leipzig 1848), die ich hier wörtlich wiedergebe, schon deshalb, weil sie eine interessante Schilderung der besten Freunde Kleists aus dieser Zeit, Pfuel und Ad. Müller, enthält.
Der in Glatz garnisonierte Offizier übergab im Anfange des Jahres 1809, wo unmittelbar der Krieg zwischen Frankreich und Österreich ausbrechen mußte, seinem Chef, dem Grafen v. Götzen, den Plan einer geheimen allgemeinen Volksbewaffnung. Man erteilte mir, so schreibt er wörtlich, den Auftrag, nach Sachsen zu gehen, mich dort mit den Verbündeten in Berührung zu setzen und womöglich unseren Einmarsch dortselbst vorzubereiten. <39:>
Unter den Personen, mit welchen ich daselbst in Verbindung treten mußte, befanden sich auch der Leutnant v. Pfuel und Herr Adam Müller. Ich fand in Herrn v. Pfuel einen liebenswürdigen und höchst gebildeten, von warmer Vaterlandsliebe beseelten Mann. Er erteilte damals dem Prinzen Bernhard von Weimar, welcher als Major bei der sächsischen Garde du Corps stand, Unterricht. Die Nachrichten, die er mir erteilte, waren keineswegs ermunternd, denn an irgend einen Enthusiasmus war in Sachsen damals gar nicht zu denken. Dennoch fanden sich einzelne der deutschen Sache ergebene Männer, welche mit Tätigkeit uns in die Hand arbeiteten. Herr v. Pfuel gab mir statistische und topographische Nachrichten, welche für mich von hoher Wichtigkeit waren.
Man hatte ein Auge auf den Prinzen Bernhard von Weimar geworfen, um einen großen Mann an die Spitze der allgemeinen Bewegung zu stellen, weil man hoffte, daß dieser Mann, in dem sich so herrliche Erinnerungen kreuzten, die deutschen Volksstämme begeistern würde. Ich überzeugte mich jedoch sehr leicht, daß diese Hoffnung nur eine Täuschung war.
In Adam Müller fand ich gerade das Gegenteil von Herrn v. Pfuel. Der Graf v. Götzen hatte mir gesagt, daß ich auf diesen Mann vorzüglich rechnen könne, und ich war mit einem mit sympathetischer Tinte geschriebenen Briefe an ihn versehen, in welchem der Zweck meiner Reise im allgemeinen angegeben war. Herr Adam Müller empfing mich mit stolzer einstudierter Höflichkeit, an seinem Schreibtische in eleganter Kleidung sitzend. Er nahm das Schreiben, erklärte, daß er keine Zeit habe, sich mit mir zu unterhalten und das übergebene Schreiben zu lesen, und lud mich ein, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ohnerachtet mir diese lächerliche und gezierte Vornehmheit sehr mißfiel, so ging ich dennoch wieder zu ihm und wurde auf die nämliche Art empfangen. Er dankte mir für das Schreiben, bat mich, dem Graf v. Götzen seine Verehrung darzubringen, wünschte uns Glück zu unserer Unternehmung, bedauerte aber mit einem diplomatischen Achsel- <40:> zucken, daß er keine Hoffnung hegen könne, daß wir bei der gegenwärtigen öffentlichen Stimmung in Sachsen irgend eine Mitwirkung finden oder irgendeinen Erfolg haben würden, und daß er selbst durch seine persönliche Stellung durchaus verhindert sei, irgendeinen Anteil an unserem Vorhaben zu nehmen. Ich verließ ihn und sah ihn nicht wieder.
Der Zweck meiner Reise war gänzlich verfehlt, und ich brachte die Überzeugung mit nach Glatz, daß man auf die Sachsen gar nicht rechnen könne.“

\1\ Kleist-Problem S. 106.
\1\ Das Wesen und die Wirkung des sog. Tugendbundes und anderer angeblicher Bunde von Wilh. Traugott Krug. Leipzig 1816. Flugschrift.


Emendationen
Gegenbewegungen] Gegenbeweguugen D
ausgesprochen] ausge-prochen <Trennfehler> D
Bunde] Bnnde D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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