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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig (Hrsg.), Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm (Stuttgart, Berlin: Cotta 1904), 69-71

Achim v. Arnim an Jacob und Wilhelm Grimm, Berlin, 3. 9. 1810


Lieber Jacob, lieber Wilhelm! Eure Briefe sind mir die liebsten unter allen, die ich empfange, seit das Landshuter Professorhaus [d. h. Savignys und Bettine] hieher versetzt worden, und doch habe ich wegen allerlei Schererei nicht zum Antworten kommen können. Eure Aufträge habe ich bestellt; Hitzig sowohl wie Reimer waren zu keiner Uebersetzung Oehlenschlägerscher Schauspiele geneigt, hauptsächlich weil der Mann immer selbst in zwei Sprachen zugleich lebt und jede andre, auch die bessere Uebersetzung vernichten kann. Zu der Ausgabe der Spanischen Romanzen von Dir, Jacob, wäre Reimer sehr geneigt gewesen, wenn nicht Hitzig soeben eine Ausgabe angekündigt. Hitzig wünscht nun sehr lebhaft, daß Du ihm Deine Arbeit mittheilen möchtest, um seine Ausgabe zu ergänzen, ich kann aber nur unter Vorsichtsmaßregeln dazu rathen, der Jude bleibt ein Jude, er benutzte sie wahrscheinlich, ohne für Deinen Nutzen etwas zu thun. Er selbst hat weiter nichts zu seiner Ausgabe, als eine Abschrift des Romancero, der von Schlegel in der Europa [1, 2, 57] für die beste und vollständigste Sammlung angegeben worden. Hagen hat große Sehnsucht nach Deiner Abschrift des Neithardt, Clemens hat ihm das Manuscript\1\ nicht gegeben, weil er sonst gar nichts dafür bezahlt hätte, eine Abschrift mit Noten muß er hingegen honorieren, er wollte mit mir zugleich an Dich schreiben, hat aber bis jetzt nichts Briefliches geschickt. Docen hat bei ihm neulich angefragt, wenn er auch nichts machte bei dem Wörterbuche, ob sein Name doch wohl vorgedruckt werden könnte. Hundeshagen hat ihm den Alphart verkauft, aber bis jetzt nur die Abschrift gesendet, er ist im Versmaß der Nibelungen und wird von Hagen sehr herausgestrichen. Hagens Ausgabe des Heldenbuchs ist mir die bedeutendste Erscheinung, es wird sehr viel mehr enthalten und sicher allgemein lesbar sein und vergnügen; historisches Interesse kann ich nun einmal den Gedichten nicht abgewinnen, es freut mich Eure Resultate daraus zu lesen, aber ich könnte mich nicht dazu bringen, ein einziges in der Hinsicht durchzulesen.
Ein Gedicht, was ich in dieser Zeit mit großer Hochachtung zu lesen anfing und das mich in keiner Art befriedigte, ist Dantes Hölle, übersetzt von Bachenschwanz. Ich hatte mir absichtlich alles abgesondert, was der Reiz der fremden Sprache thun kann, und finde es so ungemein erfindungslos, ein bloßes Aufhäufen von lächerlichen Martern aller Art, wobei die Allegorie immer die ärgste Marter für den armen Dante ausmacht, dabei das Zusammenkratzen aller buntscheckigen <70:> Gelehrsamkeit, das Untergehen alles Merkwürdigen, vorzüglich der Geschichten aus der Zeit des Dichters in bloßer kurzer Notiz, das weitläuftige Explicieren von leeren logischen Spitzfindigkeiten. Erst jetzt kann ich mir erklären, warum die Zeichnungen des Flaxmann dazu meist so leer sind, wie Regimentsuniformabbildungen, meist nichts anders als der Offizier Virgilius und ein Gemeiner, der Dante, die hinter einander marschieren. Wie ist es möglich gewesen, diese Marterkammer über alle Gedichte der Welt zu erheben! Ich bin gewiß, die Leute sind so dumm nicht gewesen, die den Dante aus dem Staate verbannten, er ist ein Robespierre, und die bekanten Annalen des Nürnberger Schinders, der fünfhundert Menschen hingerichtet, sind eine viel lieblichere Dichtung. Kleist, der sich jetzt hier aufhält, hätte eigentlich eine ungemeine Anlage, so ein zweiter Dante zu werden, so eine Lust hat er an aller Quälerei seiner poetischen Personen, er ist dabei aber der beste Kerl und giebt jetzt ein Abendblatt im Hitzigschen Verlage heraus, wozu Ihr einige Casseler Notizen, Späße u. dgl. liefern müßt, es soll sich vorläufig gar nicht auf Belehrung oder Dichtungen einlassen, sondern mit allerlei Amüsanten die Leser ins Garn locken; lächerliche Briefe u. dgl. sind ein besondrer Fund. Habt Ihr denn endlich meine Dolores bekommen? Ich sendete sie während der Messe an Besson zur weiteren Spedition durch Thurneissen, das Packet enthielt einen Brief von mir mit der Bitte, mich zu rezensieren [oben S. 62]. An meinem Halle und Jerusalem wird jetzt gedruckt, ich hoffe es zu Michaelis Euch zu senden. Wenn die Berliner Zeitung zu Euch gelangt ist, so werdet Ihr vielerlei von meiner Cantate auf die Königin gelesen haben, einige gutmüthige Leute haben sie dort [Nr. 100] zu einem großen Werke erhoben; sie ist aber das Werk von wenigen Stunden, aus Gefälligkeit gegen den Komponisten entstanden, ich habe nachher wenigstens etwas die Lücken gefüllt, und sobald diese zweite Ausgabe fertig, sende ich sie Euch mit einer Masse Böhmischer Volksbücher, die wir für Euch in Böhmen gekauft haben. Von dieser Böhmerreise wird Clemens Euch erzählt haben, sie bleibt eine meiner schönsten Erinnerungen, der Boden ist viel eigenthümlicher als die Menschen, oft erinnerte er mich an Hessen, aber die größeren Ansichten wie bei Töplitz, Prag, Worlick übertreffen Alles in Eurer Gegend, viel Alterthümer reizen, aber nur die Sprache erklärt sie; doch hörte ich von einem Schlosse eines Grafen Dietrichstein in Mähren, wo viele alte deutsche Sachen, Dobrowsky konnte aber nichts Näheres darüber angeben, er hatte sich auf das Seinige beschränkt. Den Mann fragt übrigens aus, er weiß viel, weiß aber selbst nicht was, weil er sehr konfuse ist und zuweilen sogar toll, seine Geschichte der Böhmischen Sprache ist für einen Oesterreicher merk- <71:> würdig schön geschrieben. Brentanos Gut Bukowan liegt recht gut, ist auch durch die Umstände kein schlechter Kauf geworden, wo sie die Schulden darauf in wohlfeilen Papieren bezahlen konnten, sonst ist es aber gut bezahlt worden, Christian zeigt auch dort die unnütze Thätigkeit einer verfehlten Lebensrichtung, nachlässig ist er in der Hauptsache. Euer Achim Arnim. [Am Rande:] Pistor verfertigt jetzt viel camera lucida, wer dergleichen verlangt, wende sich an ihn. Savigny hat Euer Geld erhalten, er grüßt sowie seine Frau und Bettine Brentano.

\1\ Dies ehemals Brentano, später dem Freiherrn von Meusebach gehörige Manuscript befindet sich jetzt auf der Königlichen Bibliothek Berlin; Haupts Ausgabe S. VII.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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