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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Clemens Brentano und die Brüder Grimm (Stuttgart, Berlin: Cotta 1914), 123-137

Clemens Brentano an Jacob und Wilhelm Grimm, Berlin, 2. 11. 1810


Sehr liebenswürdige Freunde! Gestern erhielt ich die Mährchen, das Buch und die Briefe, womit jedermann, wie durch alles Eurige stets, erfreut wurde. Arnim, der durch Jacobs Urtheil [über die Gräfin Dolores] mehr, als durch irgend ein früheres, niedergeschlagen war, weil es traf, ist durch Wilhelms Recension hinreichend erquicket, ich unterschreibe Jacobs Urtheil ganz, bei Wilhelm ist der tadelnde Theil vortrefflich, wie das Ende. Die Einleitung und Umsicht ist schön, aber mir <124:> ganz entbehrlich, ich meine, wenn tüchtige Leute recensiren, müssen sie nur mit dem Buche von dem Buche sprechen, das andere zerstreut. Wenn ich Arnim recensirte, würde ich sein Talent an die Sterne erheben, ich würde alle Ansprüche, die man machen kann, an ihn machen, und würde ihn bitter und scharf strafen, daß er nicht klassisch ist, daß er nur theilweise ehrlich arbeitet, daß er es ungemein ernst meint, und ebenso leichtsinnig arbeitet. Dies scharf und ernst ausgesprochen, ist die einzige Art, die ihn gewiß zum höchsten Ernst bringt und zu jener leichten Bemühung, die Sachen nicht zusammenzuflicken; diese Unordnung in seinen Büchern ist dieselbe, wie in allen seinen Geschäften, wie in seiner Stube, und könnte er sie überwinden, so stände er unter den höchsten, durch die er jetzt blos durchspazirt. Die Dolores wäre eine vortreffliche Erzählung, was sie war, für das Pantheon geschrieben, nun ist sie ein reiches, mit fremden Geschichten, die schöner sind als sie selbst, erdrücktes Buch, die schönen Minuten drin, die points d’orgue, wären mir als Fragmente lieber, die Novellen als Novellen, die Nebenpersonen als Portraits; so ist der Meister, so sind die mir zwar langweiligen Wahlverwandtschaften, so ist mein Titan und sieben fromage\1\ und der göttliche Donquixote nicht geschrieben, obschon in diesem Buch vieles eben so herrlich gedichtet ist. Arnim hat bis jetzt nur für die Erzählung Ruhe genug gezeigt, im Lied kann er sich oft selbst oft kaum halten, im Drama, zu dem er oft gleich Shakespeare Talent hat, ist er manchmal zum Widerwillen lüderlich, und dies, wie in der Correctur. Die Poesie steckt bis <125:> dato noch viel mehr in ihm, als er sie von sich gegeben. Da ich weiß, wie er arbeitet, da ich das einzelne als schön und vollendet kenne, so finde ich es weder rührend noch recht, sondern unbillig, wenn es ihn kränkt, daß die Leser es zusammengeflickt finden, wo er es zusammenklebt, und daß sie das empfinden, ist ja grade nur dadurch möglich, daß das einzelne für sich so vortrefflich war. Daß Arnim über das Urtheil hinaus sei, ist keineswegs der Fall, es lebt vielleicht kein Dichter, den würdiges Lob so entzückt, würdiger Tadel so erzieht, und wer es nicht im höchsten Grade streng ohne Unbilligkeit über ihn ergehen läßt, thut nicht sowohl ihm Unrecht, als er die Nation dadurch zu Schaden bringt. Mir ist nur der erste Theil recht und besonders der Anfang, das ist sehr wahr; als die Mädchen aus einander gehn, wird mirs, wie die ganze italienische Wirthschaft der Klelia, langweilig, nur zu einer sinnlichen Güte kann es die Dolores bringen, deren Schuld mir mehr in ihren kleinen Niederträchtigkeiten, als in ihrem Ehbruch liegt, bei dem die Umstände, wie der ganze Markese, mir papieren erscheinen. Was Arnim Ihnen heute zur Entschuldigung dieses trocknen Kerls schreibt [Arnim und die Brüder Grimm S. 85], ist mehr eine schöne Stelle aus irgend einer neuen Dolores, als eine Entschuldigung. Die Klelie schießt ganz ins Kraut, und die Dolores ins Fleisch, beide zusammen wären sie gut, das entsetzliche Kindbetterwesen ist widerlich, wie auch, daß der Johannes gleich als Subdiaconus auf die Welt kommt; wer den Bauch immer voll hat, kann auch mit leerem Herzen femme sage werden, wie einer, der die Tonsur mitbringt, leicht ein Heiliger. Die Fürstin ist mir immer wie die alte Schütz vorgekommen, und mir ganz zuwider. Eine Recension dieses Buchs <126:> müßte in drei Theilen bestehen: der erste aus einer mit den Handlungen schier ohnmöglichen Chronologie des Alters der Personen und mit einer Auseinandersetzung aller bei dem Anspruch der Möglichkeit gewaltsam unwahren und -scheinlichen Ort- und Sittenschilderungen, der zweite aus einer Rüge aller den Gang störenden mit Gewalt hingeflickten Unterbrechungen, z. E. Hollin, der dritte aus einer unendlichen Lobpreisung des Stils, der Gesinnung, des Talents, der Behandlung, des Geists, der Tiefe und der ganzen Herrlichkeit des einzelnen.
Herzlich danke ich Ihnen für die Mittheilungen einiger Ihrer Reiseeindrücke. In Fuld sind die Tafel d’hôte-Gespräche also noch wie vor sechzehn Jahren, da ich sie hörte, alle geistlichen Höfe und Domstifte tragen diesen Charakter, nur in den Klöstern und in dumpfer Vergessenheit, wie z. B. in Cölln, erhielt sich eine äußerliche Reputation, dort guckt der frisirte Teufel zum leeren Fenster hinaus, hier ist das antike Heiligthum voll Mäusedreck. Was Augusten anbetrifft, steht die Sache so: vor ungefähr zwei Monaten schrieb Bethmann an Arnim, der kürzeste Weg zur Scheidung sei, wenn Auguste zu Aschaffenburg aus desertio malitiosa gegen mich klagte. Ich erklärte, sobald keine Art von Oeffentlichkeit statt finde, wäre es mir recht; er erklärte mir hierauf, die Klage solle mir blos von den hiesigen Gerichten zugestellt werden, und ich hätte nur zu schweigen. Dies erwartete ich nun, aber vor acht Tagen erscheinen im Hamburger Correspondent die Edictales\1\, und ich bin nun gezwungen, <127:> dies als eine ehrenrührige gerichtliche Lüge erst zu Aschaffenburg, dann öffentlich niederzuschlagen, sodann werde ich hier in Berlin, wo jetzt mein Forum ist, eine neue Scheidungsklage eröffnen.
Hier geht es närrisch zu, die Minister spielen Kämmerchen verwechselns, die Universität ist mit der goldnen Ueberschrift Universitati litterariae Fridericus Wilhelmus III. eröffnet, sie hat übrigens noch keine Fußböden, und wird nur in einzelnen Stuben gelesen. Savigny liest Institutionen und Rechtsgeschichte verbunden täglich zwei Stunden, und wöchentlich Pfandrecht. Ganz großartig liest Niebuhr, ein Wunder an Gelahrtheit und edler Liebenswürdigkeit, Römische Historie publicum, Hagen habe ich noch nicht gehört, Studenten sind etwa 210 da, Savigny hat 40. Alle Studirende klagen, daß Steffens nicht gerufen wird, selbst Schleiermacher bedauert es überall, doch hat er ihm vor kurzem geschrieben, es sei kein Geld hier, während er es in derselben Zeit dahin zu bringen wußte, daß er sich auf 4000 Thaler <128:> steht. Die Berliner wollen noch immer nicht an die Universität glauben, und besonders, man sollte es nicht glauben, wüthet eine Parthei gegen sie, weil, um das akademische Revier zu reinigen und den Studenten Platz zu machen, alle H– nebst Madame Bernard über die Spree ziehen sollen, man spricht laut und öffentlich, wie man so unsinnig sein könne, 600 H–, die dem Staat, den Hausbesitzern mehr eintrügen und den jetzt nicht heurathen könnenden eine nützliche Ableitung wären, auch in den Kriegszeiten so manche Unschuld gerettet hätten, indem sie vor den Riß traten, gegen 200 Studenten aufzuopfern; der Theil der Stadt aber, dem sie entgegenziehen, jubelt und klagt nicht, das ist merkwürdig, und das merkwürdigste, daß die H– wahrscheinlich triumphiren werden.
Wolf [Friedrich August], der wieder hier angekommen, ist der lächerlichste Kerl, er will keinen Antheil an der Universität haben, er geht mit offner Hosenklappe herum und sagt, er habe sich 3500 Thaler blos geben lassen, um auf keine Art wirklich zu unterrichten, blos für seinen Namen. Die lächerlichste Erscheinung war diesen Sommer der hallische Pavian und Nothzüchtiger Rüdiger, er lief hier in langen blauen Hosen und Schuhen, einem Patenthut und schwarzen Rock herum zu den H–, ein Kerl an die sechzig Jahre alt; unter dem hallischen Regiment hatte er mehrere Irländer sich zugelegt, die er Barden nannte. Er klagte im Wochenblatt, drei seien ihm bei der Jenaer Schlacht abhanden gekommen, einer desertirt, und einen habe er noch, welchen er in beikommender Ankündigung\1\ aufführen will, er <129:> hat ihn schon in Leipzig tanzen lassen. In seiner ersten Vorlesung saßen unter andern Damen da Kölls, Geraddebrechtcher\1\; er begann mit einem Briefe seiner Frau, die ihm den Barden nicht schicken wollte, er koste dort zu viel, sodann sprach er einige gallische Worte, sodann fing er an zu deklamiren: ehret die Frauen, sie flechten und weben. Als er in der Mitte war, kam Madam Sander, er sagte daher, da sie auch eine Dame sei, müsse er nochmals anfangen, und that es, sodann zog er ein Viertel Rothwein und Brodkruste aus der Tasche und sagte, es werde ihm sonst schwach &c. Beikommende Gedichte sind auch von ihm\2\.
Elise Bürger, der finnige Sausack, gab hier Vorstellungen wie die Händel, und zwar plastische, im ägyptischen, griechischen &c. Stil. Da ein Zeitungsrecensent sie beschuldigte, ihre Figur sei zu klein, ihre Deklamation zu eng, gegen die der Händel, jetzigen Frau des jungen Schütz, worauf sie in einer langen Abhandlung antwortete, wenn die der Händel hinreichend sei, wo werde niemand, der sie gesehen und Kenner sei, der ihrigen absprechen können, daß sie groß und weit sei, da sie ja die ganze Gattung erfunden und früher ausgeübt, könne die Händel es ihr an Biegsamkeit und Weichheit nicht gleichthun. Als sie bei ihrer ersten Vorstellung niemand als die Musikanten und Rüdiger fand, fiel sie in Krämpfe, letzterer machte ihr dafür ein Gedicht, in welchem er ihr folget, wie ein Hund vom Belte bis zum Sund.
Adam Müller, welcher im Kling Kling-Almanach [S. 71] nicht ohne Unrecht Kalmäuser genannt wird, ein <130:> Mensch, der mit ungemeinem Scharfsinn eine angewöhnte Fuchsschwanzstreicherei, mit einer Art Tiefe dreierlei Arten von Hohlheit verbindet, und sonst unser sehr guter Gönner ist, führt hier eine eigne Staatsoppositionsklique an, und ein Universitätskriterium, weil man ihn bei beiden übergangen, da die meisten praktischen Männer ihn wegen seinem Achseltragen nicht wollen [Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe S. 292]. Der Phöbus Kleist, ein sehr kurioser, guter, grober, bornirter, dummer, eigensinniger, mit langsamem Consequenztalent herrlich ausgerüsteter Mensch, dessen treffliche Erzählungen – bei Reimer, und schön hölzernes Käthchen von Heilbronn – Sie lesen müssen, gibt bei Hitzig Berliner Abendblätter, täglich ein Blatt heraus; wenn uns was begegnet, geben wir es ihm, es steht viel Langeweile und Müllersches vornehme Wesen, und manche gute Anekdote drin.
In den letzten sechs Wochen hat uns und die ganze Stadt die Ausstellung der Gemählde dieses Jahres hier unterhalten. Buris Bilder und die Zeichnungen der Kurprinzessin waren alle da, zugleich eine Menge Portraits vom jungen Schadow, welche jung und bunt und besoffen gegen die Burische Kälte, Größe und Steifheit die Leute sehr einnahmen und daher eine lächerliche Opposition erregten [Kämpfe S. 256]. Kohlrausch, der Geh. Obermedizinalrath ist und in der Charité wohnt, hatte alle seine Zeichnungen hingeschickt. Von Kügelgen in Dresden waren fünf Bilder da, große und kleine, nach meiner Empfindung schlecht. Von Friedrich seltsame graue Winterkirchhöfe im Nebel, Mondschein mit Kapuziner, kleinen Kapellen, Leichbegängnissen, vortrefflich &c.\1\ Auch <131:> Tiedgens und Frau von der Ecks [von der Reckes] Büsten, Marmor, colossal, von Thorwaldsen in Rom, vortrefflich, wenn man sehr häßliche und dumme Leute schön und colossal machen kann; beide sind hier, zugleich auch eine sehr treffende Satire auf Tiedgens Urania: Rhinozeros, bei Carl Stein in Nürnberg; sie ist von Wetzel in Dresden. Tiedge hat eine sehr große Nase, und in dem Gedicht wird Zweifel und Ueberzeugung derselben grade so durchgeführt, wie in Urania die Unsterblichkeit\1\. Er hat eine Cantate auf die Königin, wie die Damen sagen, voll Natur, Phantasie, Wahrheit und Liebe geschrieben, die Himmel componirt.
Reichardt ist hier und [Karl von] Raumer; ersterer, um seine große Oper nach Schillers Taucher von Bürde, worin alle Meergötter und die Fata morgana vorkömmt, aufs Theater zu bringen\2\, er hat meine Cantate auf die Königin componirt, und mir bereits vorgesungen und genasenschniebt, das Ganze wird einen großen Effekt machen, obschon einiges ungemein elend ist, anderes recht gut, nichts wie ich es gedacht. Sobald <132:> sie gedruckt ist, erhalten Sie dieselbe; ich habe sie aus Curiosität, wie ich mich bei gleichem Stoff von Arnim unterschiede, in der Hinterstube mit ihm zugleich geschrieben, und es gibt kein besseres Beispiel, zu zeigen, wie sehr wir divergiren, er so freudig, rührend, tief und hoch, ich in armer ebner dunkler trüber Bahn. Er, der in der zweiten Edition eine Menge zusetzte, ich, der nichts mehr zu sagen hat; doch ist mir wunderbar, daß ich sein Gedicht nicht laut lesen kann, und das meine mich sehr bewegt. Ich sende Ihnen das Gedicht von Arnim, wie es zuerst war, auch mit; es ist mir sehr interessant gewesen zu sehen, wie man etwas verbessert, was an sich schon vortrefflich ist.
Haben Sie den schönen [Otto] Rungeschen Umschlag zu Beckers diesjährigem Taschenbuch gesehen? Luise ist krank gewesen, Runge ist es noch. ich arbeite an meinen Romanzen fort, dies Gedicht, dessen Lohn seiner Natur nach und nach aller Billigkeit und wenn ich es von einem andern läse, auch von meiner Seite Undank sein wird und würde, wird seiner Schwierigkeit halben mich vielleicht bis ans Grab begleiten, und ich muß, da ich es begonnen, mit verbundenen Augen die blühenden Ufer des gegenwärtigen Lebens ohne Gesang und Gruß hinabschiffen. Gut, daß mein Bündel, mein Herz bereits geschnürt, daß ich alles vergessen kann, weil es sterblich ist und einen vergißt, drum ne vous gênez pas und liebet mich, so lange es geht, ich muß ewig, und das Muß ist kein Verdienst. Ihr erhaltet hier mein universitati litterariae, nehmt vorlieb, ich konnte in der Eil nicht besser. Ich hatte zugleich ein anderes recht braves Gedicht ,der 14. und 15. Julius‘ in Hans Sachsischer Manier geschrieben, aber der Esel, Schuft und Windbeutel Herr <133:> Hitzig rümpfte die Nase, und ich lasse es liegen. Dieser aufgeblasene Bierschwitzer, dem ich die Cantate geschenkt, hat die Unverschämtheit, zehn Groschen Courant dafür zu fordern. Er hat ein äußerst liberal scheinendes Circular von einer zu errichtenden Sortimentshandlung für die Universität nebst dem Plan eines Lesezimmers, wo alle, welche die Bücher von ihm nehmen wollen, zwei Treppen hoch in einer leeren Stube hinter der Katholischen Kirche die Bücher ansehen können, die er nicht hat, und steht nicht mehr als fünfmal mit dieser edlen Aufforderung, verschieden stilisirt, am schwarzen Brett.
Die Abschrift des Peter Leu habe ich noch nicht vollenden können, da mir Hagen das Buch zurückgefordert, ich kann es aber bald wieder kriegen, es stehn außerdem noch viele Volkslieder und der gereimte Siegfried und Dietrich Bern drin. Den ächten Kalenberger hat Klamer Schmidt. Mit dem Niedhardt und Minneliedern von mir haltets, wie Ihr wollt; wenn Ihr sie Hagen nicht geben wollt, so sagt ihm, daß Ihr sie einzeln herausgeben wollt, Ihr könnt ja den Beaflor dazuthun. Hier erwähne ich noch etwas delikates, Schnepfendreck aber wäre mir doch lieber, nehmlich ich bin dermalen sehr arm, mein jetziges Einkommen beläuft sich jährlich auf 800 Gulden, davon gehen 200 an Mlle. Rudolphi [in Heidelberg, wo Hulda Mereau erzogen wurde] ab, und wenn ich nicht freie Wohnung hier hätte, müßte ich, um nicht Schulden zu machen, in Bukowan am Käsekorb nagen. Dabei ist das lustige, daß ich dem Arnim doch immer vorschießen muß, dem trotz der Erbschaft der Großmutter der Landreuter mit Executionsandrohung bereits auf der Stube war. Die böhmischen Güter haben erstens im Krieg nichts getragen, sind zweitens, wo <134:> allein was zu verdienen gewesen wäre, schändlich entholzt, sind drittens von Christian äußerst eigensinnig bewirthschaftet; das tollste ist, daß dieser böhmische Edelmann, bei dem man sein ganzes Hab und Gut hat, einem auf keinen Brief antwortet. Als es hieß, ein Engländer sei in der Gegend von Bukowan, um Vieh zu kaufen, glaubte er, er könne vielleicht auch nach Bukowan kommen, und weil wir kein Silber dort haben, schickt er aus Ostentation einen Courier zwanzig Stunden nach Prag, ein Dutzend Löffel und Gabel zu kaufen; der Engländer existirte nicht. Mitten unter einfallende Ställe läßt er, statt sie zu repariren, eine Schmiede, die nicht gebraucht wird, nach seiner Erfindung in griechischem Stil, den er ausrechnet, bauen und mauert selbst mit, hier ist sie:

Steig Zeichnung Tempel

Notabene, über die Thüre soll ein Vers aus dem Virgil und hinten drauf das Schmiedelied aus dem Wunderhorn; mit diesem brachte er schier den ganzen Sommer zu, und alles ist aus Lehm zusammengeklatscht und bereits vom Regen halb zusammengestürzt, wird nie gebraucht, die Hühner haben die Spiegelscheiben schon wieder zusammen gestoßen, und die 800 fl. sind in Dreck geworfen. Dahin bringen einen Einsamkeit, Hoffahrt, Geist,   unterdrückter Geschmack und Laune, es ist herzzerreißend. Ihr seht daraus, lieben Freunde, daß ich ein ziemlich armer Teufel bin und zusammenhalten muß, umsomehr, da meine <135:> langsame Schriftstellerei mir nichts einträgt, mein Reisen und Bücherkaufen mich viel kostet, und besonders, da ich seit längerer Zeit die Bücher, so wahr Gott lebt, blos für meine Freunde und im Gedanken, daß Ihr sie brauchen könnt, kaufe; denn ich kann sie nicht brauchen. Ist es daher möglich, daß wir bei dem jetzigen Zustand des Buchhandels irgend einen Verleger bekommen, wornach ich mich auch umthun will, so bin ich herzlich bereit, das Honorar zu theilen, bei Herausgabe der Minnelieder &c. und der alten Anektoden.
Was die letzteren betrifft, müßte ich einen Plan von Euch in seinem ganzen Umfange haben, um ihn den Buchhändlern vorlegen zu können. Bestünde das Ganze aus mehreren Theilen und erschiene nicht auf einmal, so ist sehr zu bedenken, die Sache so einzurichten, daß der Buchhändler das erste absetzt, damit er die Folge annehmen kann; vielleicht wäre es darum besser, es in drei einzelne Werke zu vertheilen, die man an verschiedene verkaufen könnte, etwa eine gute Ausgabe des Lalenbuchs, eine des Eulenspiegels, eine der Anekdoten, die letzten müßten einen ziehenden Titel haben – und hic Rhodus, hic salta. Sollen sie ganz bleiben, wie sie sind, oder etwas deutscher, etwa wie der Goldfaden, damit der Buchhändler nicht angeführt wird? Die Titelkupfer könnte Louis liefern, mir ist übrigens alles ganz recht, was Ihr für dienlich haltet, schreibt mir ausführlich darüber. Dann will ich Euch für Euren Bezirk einige Buchhändler nennen, an die Ihr Euch wenden könnt, und ich will es für den meinigen thun. Wollt Ihr noch Bücher gesendet haben, etwa den Codex der Minnelieder, so schreibt. Ein Buchhändler, auf den ich ein besonderes Augenmerk habe, ist Perthes in Hamburg, er ist voll <136:> Sinn und gutem Willen. Die beste Art, ihn für die Annahme der alten Schwänke zu gewinnen, wäre vielleicht, wenn Wilhelm einen schönen Aufsatz über altteutsche Sitte und Scherz in sein [Vaterländisches] Museum verfertigte, der ohne größere Litteratur ihm gefiel, und den er nachher wieder in seine Vorrede zum Buch brauchen könnte. Diesen müßte er mit dem Antrag zugleich an ihn absenden; wollte er mir denselben zuerst senden, so lasse ich denselben etwa durch Runge übergeben, vielleicht kann ich auch Claudius, seinen Schwiegervater, mit ins Spiel bringen, Wilhelm ist ganz im Stand, so etwas recht würdig und reizend zu schreiben. An Zimmer will ich desgleichen thun, auch an Göschen. Dieser Aufsatz könnte bald geschrieben werden, das Ganze muß etwas edel piquant gegen unsre jetzige Zeit polemisiren &c. Uebrigens noch folgendes: Erstens ist Euch der Birkenstockische Catalog nicht von Wien aus zugesendet worden? so lege ich ihn bei, es sind ungeheure Sachen drin, den starken Gemähldecatalog halte ich zurück, um den Pack nicht schwerer zu machen, die infame Toni hat den armen Franz, der ohnedies an eine halbe Million reich ist und in der herrlichen Kupfer-, Gemälde- und Originalzeichnungs-Sammlung ganz berauscht war, beschwätzt, alles zu verkaufen; dies ist die Hauptursache, warum ich nicht in Wien war. Schreibt mir Eure Commissionen sogleich, daß ich sie nach Wien sende, ich kann hier etwas mehr bieten, weil ich es später zu bezahlen brauche, ich warte auf Eure Aufträge, um nicht mit Euch zu collidiren; bemerkt das altteutsche Manuscript &c.\1\. <137:>
Als ein besonders herrliches Buch ist mir verrathen worden Auli Apronii Reisebeschreibung, Villafranca 1723. 8°, ich habe es nie gesehen. Zugleich fordre ich Wilhelm oder Jacob auf, wer kann, den Frühling mit mir nach Böhmen zu reisen. Dort im Land ist es ungemein wohlfeil, und wir können alles theilen; wenn Ihr Euch den Winter etwas in das Böhmsche einarbeitet, können wir gewiß Schätze finden, wir können von da nach Oberschlesien, wo eine Tante von mir zwölf Stunden von Krakau wohnt, die uns hinfahren will und mich eingeladen hat, und dann über Breslau zurück, es wäre mir sehr, sehr lieb, und läßt sich machen, wenn wir sparsam sind. In Böhmen kostet es uns sehr wenig, und die ungeheuren Prager Bibliotheken wollen wir durch den Burggrafen von Stadion [Arnim und Bettina Brentano S. 348] schon sprengen – bis Wiedersehen, Adieu. Euer treuer Clemens. [Nachschrift:] In irgend einem Buch, Tiroler Ehrenkränze genannt, steht ein altes schönes Lied, das ich irgendwo angeführt las. In Oelrichs Historisch-diplomatischen Beiträgen zur Geschichte der Gelahrtheit in Pommern, Berlin 1767, stehen kurze alte Schullieder. Die Bücher sind auf die Post seit einigen Tagen, ich schicke diesen Brief ab, Arnim hat zwar gestern schon geschrieben, da er aber wieder bald einen dicken Roman, mit dem er noch sehr heimlich thut, fertig hat, so zögert er; von Halle und Jerusalem sind noch etwa zehn Bogen zu drucken.

\1\ „mein“ Titan soviel als: mein vielgepriesener Titan, ebenso der Siebenkäs, beide von Jean Paul.
\1\ Dieses amtliche Schriftstück, das ich in damaligen Zeitungen gefunden habe, lautet:
Edictales.
Es hat die Ehegattin des Bürgers Clemens Brentano von Frankfurt a. M., Magdalena Margaretha Auguste, geborne Bußmann daselbst, bei unterzeichneter Stelle angezeigt, daß ihr genannter Ehegatte sie im März 1809 böslich verlassen habe, und daß, ungeachtet aller geschehenen Erkundigung, ihr dessen Aufenthaltsort unbekannt sei. Dieselbe hat mit dieser Anzeige die Klage auf Ehescheidung vom Bande der Ehe vereiniget; und desfalls wird der Bürger Clemens Brentano hiermit vorgeladen, um sich binnen einer peremptorischen Friste von 3 Monaten, worin die gegenwärtig laufende Ferien mit einbegriffen sind, auf die erhobene Klage vernehmen zu lassen: widrigenfalls nach fruchtlosem Ablaufe dieses Termins gegen ihn wird erkannt werden, was Rechtens.
Aschaffenburg den 29. Sept. 1810.
Erzbischöfliches geistliches Gericht.
J. F. Lack, Sekretarius.
\1\ Die Ankündigung liegt nicht mehr bei.
\1\ Der Allgemeine Straßen- und Wohnungs-Anzeiger für die Residenzstadt Berlin, 1812, ergibt nur: Köls, Geh. Kriegsrath.
\2\ Fehlen.
\1\ Vgl. Arnims und Brentanos, von Kleist für seine Berliner Abendblätter zusammengezogenes Gespräch vor Friedrichs Seelandschaft: H. v. Kleists Berliner Kämpfe S. 262.
\1\ Ueber diese Berliner Anwesenheit Tiedges und der Frau von der Recke sowie über Wetzels Satire Rhinozeros handle ich in dem Jubiläumsaufsatze „Friedrich Gottlieb Wetzel als Beiträger zu Heinrich von Kleists Berliner Abendblättern“, im Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 1911. 127, 25.
\2\ Miscelle in Kleists Berliner Abendblättern, 7. November 1810: „Herr Kapellmeister Reichardt wird, im Laufe dieses Winters, die Oper: Der Taucher (der bekannte, alte, sicilianische Stoff) von Hrn. Bürde bearbeitet, auf die Bühne bringen. Das Publicum von Berlin, das diesen Gegenstand schon, aus der Ballade von Schiller, kennt, ist mit Recht auf diese poetische Erscheinung begierig.“
\1\ Der Frau Franz Brentano, gebornen Antonie von Birkenstock, Vater besaß eine der bedeutendsten Kunstsammlungen, die Bettina in ihrem Briefwechsel mit Goethe (3. Auflage, S. 314) beschreibt. In den Jahren 1810-1812 wurde die Sammlung, zu Clemens Brentanos Verdruß (vgl. auch Gesammelte Schriften 8, 162) versteigert. Die zurückbehaltenen Gemälde und Kupferstiche sah Goethe in Frankfurt bei Franz Brentano und rühmte sie in seinen Schriften und Briefen.

Emendation
kleinen] keinen D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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