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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 90-104

7. Censurverbote gegen Ompteda, Arnim, Müller.


Von dem Umfange, in welchem Gruner als Censor von nun an oppositionelle oder der Regierung anstößige Artikel verbot, können wir uns in der Weise eine Vorstellung bilden, daß wir einzelne bestimmte Fälle betrachten und allgemeine Angaben damit verbinden. Bestimmte Fälle liegen mir vor vom Oberstlieutenant von Ompteda, von Achim von Arnim und von Adam Müller.
Zu den freiwilligen, selbst Kleist längere Zeit unbekannten Mitarbeitern der Abendblätter gehörte der Oberstlieutenant von Ompteda, ein Bruder des vormaligen hannoverschen Gesandten am Berliner und Dresdener Hofe Ludwig von Ompteda, aus dessen (von seinem Sohne 1869 herausgegebenem) Politischen Nachlasse Material für das, was ich mit Hilfe der Abendblätter darzustellen versuche, zu entnehmen ist. Die Einleitung bringt dies Material jedoch nicht in die rechte Verbindung, was um so begreiflicher ist, als damals die nöthigen Mittel zum Verständniß fehlten. Der Gesandte und der Oberstlieutenant waren eingefleischte Feinde Napoleon’s. Ihr deutsch-nationales Bewußtsein wie ihre politisch bedingte Vertretung der englischen Staatsinteressen und treue Hingebung an das englische Königshaus fanden im stillen, erfolgreichen Kampfe gegen Napoleon gleichmäßig Befriedigung. Der Gesandte hatte mit richtigem Blicke 1809 in Dresden den Anschluß an Adam Müller, Kleist, Buol und andere Freunde dieser Gruppe gesucht. Durch ihn war der Oberstlieutenant von allem, was zwischen diesen Männern hin und her ging, unterrichtet. Im September 1810 erhielt er, infolge andauernder Kränklichkeit, gegen die kein Bad und keine Erholung helfen wollte, vom Chef der deutschen Legion, dem Herzog von Cambridge, ehren- <91:> voll den Abschied. Menschenscheu verbarg er sich damals in einem Gasthofe der Königstraße, nur von Scharnhorst, seinem ehemaligen Kriegskameraden, in aller Heimlichkeit besucht. Allmählich besserte sich jedoch sein Zustand, er gewann wieder Lust zu litterarischer Arbeit und schrieb für die Spenersche Zeitung einige aufgenommene oder des „Großmoguls“, d. i. Napoleon’s, wegen nicht aufgenommene Artikel.
Nun fand der Oberstlieutenant von Ompteda in den Berliner Abendblättern unerwartet und freudig überrascht den Geist sich regen, für dessen Ausbreitung er selber aus innerem Drange thätig war. Er las Adam Müller’s Werk über Friedrich II. und die Natur, Würde und Bestimmung der preußischen Monarchie, dessen Grundideen er als wahr und richtig anerkannte, und das er seinem Bruder als nothwendige Lectüre empfahl. Aus den Grundsätzen und dem Stil der Ps gezeichneten „Freimüthigen Gedanken bei Gelegenheit der neuerrichteten Universität in Berlin“, die vom 2. Abendblatte an hervortraten, schloß er richtig auf Adam Müller als den Verfasser. Lebendig und kraftvoll fühlte er sich von Kleist’s Ode auf den Wiedereinzug des Königs in Berlin, im 5. Abendblatte, ergriffen, deren erschütternder Patriotismus ihm die gültige Zusammengehörigkeit ihres Dichters mit Ewald von Kleist bekundete. Dieser Blätter gedachte Ompteda sich selber zu bedienen. Er schrieb einen (nicht erhaltenen) Brief an die Redaction, ohne noch den Redacteur oder einen der Mitarbeiter zu kennen, und bot einige Mittheilungen dar: was vor dem 22. October 1810 muß geschehen sein, weil Kleist sich in der Nummer dieses Tages erst mit seinem Namen als Herausgeber bekannte.
Diese Mittheilungen des Oberstlieutenants Ompteda waren nun die „Fragmente (aus den Papieren) eines Zuschauers am Tage“, über deren Eingang, als von unbekannter Seite vor <92:> acht Tagen schon erfolgt, eine Redactions-Anzeige des 16. Abendblattes, vom 18. October, vorläufig quittirte. Das Manuscript war demnach ungefähr am 10. oder 11. October eingereicht worden. Es muß ziemlich umfangreich gewesen sein, da die Redaction zugleich für künftig die Bitte aussprach, man wolle auf die Oekonomie des Blattes Rücksicht nehmen und ihr die Verlegenheit ersparen, die Aufsätze brechen zu müssen. Aber da die Mittheilungen in Fragmentenform gehalten waren, so konnte Kleist das ihm gerade Passende nach Bedarf und Belieben auswählen.
Das erste Stück der Mittheilungen Ompteda’s erschien im 21. Abendblatt, vom 24. October 1810, und betraf englische Dinge. Während der Continentalsperre gehörte zu den französischen Kampfmitteln England gegenüber eine fortgesetzte Preßfehde gegen die monarchischen, politischen und bürgerlichen Zustände jenseits des Canals. Im Moniteur wurde der Ton angeschlagen, den die abhängigen europäischen Zeitungen weiter trugen. Die Berliner Zeitungen machten davon keine Ausnahme. Daß nun Kleist eine zu Gunsten englischer Zustände geschriebene Bemerkung Ompteda’s zuerst aus dem Fragmenten-Manuscript hervorzog und zum Abdruck brachte, war ein Zeichen des neuen, antifranzösischen Geistes, der in den Abendblättern sich bethätigen wollte. Das Schriftstück Ompteda’s war äußerst schlau, vorsichtig und doch fest auf das Ziel gerichtet.
Er knüpfte an die 1806 erschienenen Mémoires d’un voyageur qui se repose an. Verfasser des sehr interessanten Werkes war der französische Schriftsteller Dutens, der sich aber als Gelehrter und Diplomat in England acclimatisirt hatte und gegen die französische Revolution schrieb. Schon früher war in Rom von ihm eine kleine Schrift unter dem Titel le Toscin, d. h. Sturmglocke, veröffentlicht worden, in der <93:> er die Ungläubigkeit und falsche Philosophie Voltaire’s, Rousseau’s und Anderer bekämpfte. Die Mémoires , die werthvolle Züge aus dem Leben Friedrich’s des Großen enthielten, waren dem Kleistischen Freundeskreise sehr wohl bekannt. Ich bemerke ihren Einfluß bei Arnim. Dieser schrieb damals Familienerinnerungen über seine Vorfahren nieder. Was er über den ersten Mann seiner Großmutter, den in Friedrich’s Correspondenz genannten Fredersdorf, erzählt, daß er vom Könige, der ihn liebte und nicht gern aus seiner Nähe lassen wollte, nur schwer die Erlaubniß zur Heirath erlangen konnte, entspricht sachlich und mit wörtlicher Aehnlichkeit dem, was Dutens von Friedrich’s Verhalten seinem Günstling Quintus Icilius gegenüber zu berichten weiß. Der dritte Band der Mémoires, der nicht zusammenhängend plaudert, sondern in Fragmentenform, als Dutensiana, eine Reihe von geistreich pointirten Aperçüs über philosophische, ästhetische, diplomatische, historische, religiöse Fragen in antirevolutionärem Sinne verstreut, war recht nach dem Geschmack des Oberstlieutenants von Ompteda. Dieser Form bediente er sich selber für das, was er zu sagen hatte.
Nach Dutens (3, 44) gab Ompteda im ersten, von Kleist abgedruckten Fragment den Streit zwischen einer Französin und einer Engländerin wieder. Auf den Vorwurf: „Mais vous êtes bien orgueilleuse!“ antwortet die Engländerin: „Vous vous trompez, Madame, je ne suis que fière,“ und auf die Frage, was das denn für ein Unterschied sei, erklärt die Engländerin: „C’est que l’orgueil est offensif, et que la fierté est défensive.“ Und nun wird den „trügerisch-einschmeichelnden äußeren Formen“ anderer Völker, ihrer „Sucht zu glänzen“ und ihrer „stets unruhigen, kleinlichen Eitelkeit“ der defensive Stolz als der allgemeine Charakterzug der Engländer gegenübergestellt, der sich in einer kalten, ruhigen, <94:> gleichgültigen Zurückhaltung äußere und auf leidenschaftliche Neigung zur Independenz gegründet sei. Die in die Schleichsprache jener Zeit eingeweihten Leser verstanden natürlich sofort, was gemeint sei: die Franzosen und Französlinge in Berlin aber hatten keine Möglichkeit, dem Artikel beizukommen.
Die nächste Gabe aus Ompteda’s Fragmenten-Manuscript bringt, wieder anonym, das 29. Abendblatt, vom 2. November 1810: zwei Gedankenspähne, höchst sonderbar in ihrer Art und höchst charakteristisch für Ompteda’s grimmigen Widerwillen gegen den modernen Schwindel, wie er ihn ansah. Er lehnt sie beide an Aufsätze Adam Müller’s und Heinrich’s von Kleist an.
Müller hatte im 7. Abendblatte, vom 8. October, gegen den „hemmenden Einfluß der Systeme und Principien, welche die letzte Zeit ausgegohren“ sich ausgesprochen, und es folgten darauf im nächsten Abendblatte die mit z gezeichneten „Betrachtungen über den Wettlauf“, die sich in gleichem Sinne der hergebrachten Schulansicht über die Culturentwickelung entgegen stemmten.
Diese z-Betrachtungen sind nach Inhalt und sprachlichem Aufbau Kleist’s Eigenthum. Wie eine Pyramide steigen sie zur Spitze auf: um mit sich stärkendem Gewicht auf den Boden der Dinge zurückzukehren. Um die Bestimmung der Epochen, in welchen die Bildung einer Nation fortschreite, handelt es sich. Den Aufstieg zur Spitze stellt die rationalistisch-stubengelehrte Auffassung dar: den Abstieg die romantisch-heroische Thatenlust der Patrioten vom Schlage Kleist’s. Nach jener käme erst bei den Menschen thierische Rohheit, dann mit dem Bedürfniß der Sittenverbesserung die Wissenschaft von der Tugend, dann die Aesthetik, die Kunst, zur Emporführung des Volkes auf die höchste Stufe menschlicher Cultur. „Diesen <95:> Leuten“, fährt Kleist fort, „dient zur Nachricht, daß Alles, wenigstens bei den Griechen und Römern, in ganz umgekehrter Ordnung erfolgt ist. Diese Völker machten mit der heroischen Epoche, welches ohne Zweifel die höchste ist, die erschwungen werden kann, den Anfang; als sie in keiner menschlichen und bürgerlichen Tugend mehr Helden hatten, dichteten sie welche; als sie keine mehr dichten konnten, erfanden sie dafür die Regeln; als sie sich in den Regeln verwirrten, abstrahirten sie die Weltweisheit selbst; und als sie damit fertig waren, wurden sie schlecht.“ Man empfindet, wie hier gegen die flache Litteratenwirthschaft, die der Ausbreitung der Napoleonischen Herrschaft Vorschub leistete, nun mit leidenschaftlich-patriotischer Einseitigkeit die Rückkehr zur alten Zeit als das Eine, das Noth thue, verkündigt wird.
Diese Artikel Müller’s und Kleist’s waren es, die Ompteda’s Aperçüs – das eine mehr biblisch-religiös gefärbt, das andere historisch-speculativ gehalten – entstehen ließen. Sie gehen weit noch über das hinaus, was die Weltanschauung der Kleistischen Gruppe ausmachte. Ompteda begnügt sich nicht damit, ganze Strömungen und Zeiträume menschlicher Cultur in ihren Wirkungen und Folgen zu bekämpfen: nein, er möchte sie ungeschehen machen, wenigstens als ungeschehen betrachten dürfen, und die Weltgeschichte umredigiren. Man höre den Wortlaut der nur kurzen Stücke, da eine Umschreibung nicht gelingen will:

I. Die Sündfluth philosophischer und moralischer Systeme hat stark zum allgemeinen Verderben eingewirkt. Je mehr man Prinzipien vervielfältigt, die feinsten und tiefsten Falten der Seele zu entwickeln versucht hat, desto unwirksamer ist die Kraft der einfachen, aber großen und starken Hebel menschlicher Handlungen geworden.
Eine zu allgemein verbreitete, und doch oft nur trügliche oder halbwahre, Kenntniß der Anatomie des menschlichen Körpers, erzeugt eine Menge ängstlicher, eingebildeter Kranken, aus denen wirkliche werden. <96:>
Ein zu fein zugerittenes, zu zärtlich gewartetes Schulpferd, ist für die wesentlichern Bedürfnisse der Reise, des Feldzuges oder der Arbeit untauglich.
So mit dem Menschen im Moralischen.
Kehrt zu den einfachen Grundgesetzen zurück. Ihr habt sie in den zehn Geboten. Aber in Allen.

Man bemerke nebenbei, wie der Militair und der genesende Kranke seine Vergleiche aus der eigenen Erfahrung wählt. Der allgemeineren folgt nun eine besondere Betrachtung:

II. Wenn – drei sehr denkbare, natürliche, und, so wie die Sachen lagen und liegen, nicht ungerechte Fälle, – Voltaire sehr früh in die Bastille gesetzt und darin vergessen, Roußeau von Frau von Warens in einem Narrenhospitale versorgt; und Basedow von seinen Gläubigern, bevor und so, daß sein Elementar-Werk nicht hätte an Tageslicht kommen können, im Schuldthurme festgehalten worden wären, so sähe es höchstwahrscheinlich in Frankreich, Deutschland und dem übrigen Europa ganz anders, und besser, aus.

Und Ompteda sucht Basedow ganz um seinen Credit zu bringen, indem er behauptet, daß 99/100 des Effects auf die Kupfer des Elementar-Werkes, und nicht auf sein Genie, zu setzen seien. Der Haß gegen die Vorbereiter und Träger der französischen Revolutionsideen, der sich hier überschlägt, war der anfänglichen Haltung der Abendblätter nicht unwillkommen. Aehnlich steht es mit einem weiteren anonymen Fragment Ompteda’s im 31. Abendblatt, vom 5. November. Es betrachtet Frankreich unter Katharina von Medici, als die Blüthe alles florentinischen Geisteslebens mit ihr in das neue Land gezogen war. Trotzdem sei der Verfall gekommen, unaufhaltsam. Ein Gegengift wäre allein die wahre Geschichte gewesen: „Allein damals, wie jetzt, redete Erfahrung umsonst.“ Der eine Satz zeigt wieder die Tendenz, die gegen das Napoleonische Frankreich gerichtet war.
Inzwischen hatte die Einwirkung Hardenberg’s den Geist <97:> der Abendblätter umgeändert, und auch die englischen Verhältnisse mußten darin plötzlich in einem anderen Lichte erscheinen. Die Continentalsperre war proclamirt worden, der zufolge auch in Berlin alle Colonialwaaren verbrannt wurden. Am 19. November, in Nr. 43, brachten die Abendblätter nach französischen Zeitungen die „politische Neuigkeit“, daß der König Georg III. von England durch den Tod seiner Tochter Amalia in die alte Geisteskrankheit von 1790 zurückgestürzt worden sei. Die große Krise, die das Genie Napoleon’s über Großbritannien zusammenziehe, gehe einer entscheidenden Wendung entgegen. Der Sturz der Constitution und die Revolution stehe bevor. England müsse alsdann, unfähig den Continental-Verhältnissen gegenüber, zu Grunde gehen. Die „Neuigkeit“ kam Kleist erst in letzter Stunde zu, so daß er, um sie noch am Ende des Blattes unterzubringen, sich der allerkleinsten Typen bedienen mußte. Tags darauf, im 44. Abendblatt vom 20. November, handelte noch einmal ein eigener Leitartikel „über die gegenwärtige Lage von Großbritannien“. Durch die Kaiserlich französischen Decrete sei der britische Handel in der Ostsee völlig vernichtet. Die reichsten Kauffahrteiflotten kehrten unverrichteter Sache aus der Ostsee und von Helgoland zurück. Amerika sei den Engländern nur ein elendes Surrogat für Europa. Dazu jetzt des Königs Krankheit. Sein Premierminister Lord Wellesley werde dem Ansturm der Opposition nicht trotzen können, wie Pitt 1790. Die englischen Krisen von 1790 und 1797, wie schauderhaft sie gewesen, seien mit der heurigen gar nicht zu vergleichen.
Man tröste sich, Kleist hat die beiden Artikel nicht geschrieben. Sprache und Geist sind ihm fremd. Aber beide Artikel müssen von Einem (uns unbekannten) Verfasser angefertigt sein, da die Gedanken und die Ausdrucksweise sich gleichen. Sie verhalten sich wie vorläufige Anzeige und nach- <98:> trägliche Ausführung zu einander. Kleist müssen sie aufgenöthigt worden sein. Es stehen auch, merkwürdiger Weise, diese regierungs-officiösen Auslassungen in demselben Abendblatte wie die (oben S. 76 besprochenen) a m-Fragmente gegen Adam Müller. Das 44. Abendblatt dient somit vom ersten bis zum letzten Worte den Zwecken der Staatskanzlei.
Ompteda war empört darüber, „wie wenig diese elenden Kannengießereien den Geist der englischen Politik zu ahnden vermöchten“. Er schrieb einen Gegenartikel mit gleichem Titel und schickte ihn anonym an Kleist. Kleist und die Seinigen versetzte der „meisterhafte“ Aufsatz in einen Zustand von triumphirender Freude und Rührung. Obgleich uns nur der Schluß erhalten ist, unternehme ich, nach einer Notiz bei Ompteda (2, 34), die Reconstruction des übrigen Inhalts. Es war nämlich von William Spence eine kleine Schrift unter dem Titel „Britain independent of Commerce“ erschienen, die, im Ganzen von physiokratischer Grundanschauung aus, gegen das Mercantilsystem, den Beweis zu liefern suchte, daß England nichts von den Drohungen Napoleon’s für seinen Handel zu fürchten habe, sondern in sich die Mittel besitze, auf dem Wege zum Nationalwohlstand ungehemmt fortzuschreiten. Spence verfolgte den patriotischen Zweck, seine Landsleute gegen alle „panischen“ Schrecken der Continental-Sperre, die er voraussah, Jahrelang im Voraus zu stählen. Seiner Beweisführung schloß sich Ompteda nun an, wodurch ohne Weiteres der Gegensatz gegen die franzosenfreundlichen Auslassungen in den Abendblättern gegeben war. Der für den englischen König voll eintretende Schluß des Artikels Ompteda’s lautete: „Zudem scheint der gegenwärtige Augenblick zunächst, selbst für den Neutralen, selbst für den edeln Feind, für den tiefen Eindruck geeignet, den der Anblick eines ehrwürdigen Monarchen, dessen fünfzigjähriges Regierungs- <99:> jubiläum der dankbar-freie Enthusiasmus eines glücklichen Volkes erst kürzlich (am 25. October) gefeiert hat, dem wenigstens der höchste Inbegriff aller Privattugenden nicht abgesprochen werden kann, wie verschieden auch, nach den Standpuncten, das Urtheil über seine Regenten-Größe und seine Regenten-Güte sein mag, und den – einen ächtköniglichen Vater – der Verlust der inniggeliebten und sehr liebenswürdigen jüngsten Tochter in die schrecklichen Leiden des traurigsten Uebels zurückwirft, hervorzubringen vermag. Wenigstens auf uns, die wir hohen Gefühls voll genug sind, um vor der bretternen Bühne Thränen für den König Lear zu haben, der die todte Cordelia in seinen Armen hält.“ Kleist schickte den Artikel sofort in die Druckerei.
Aber das „Neutralisiren der Interessen“, das die Staatskanzlei für sich übte, wollte sie nicht ihren Gegnern gestatten. Die Cabinets-Ordre wegen Verschärfung der Censur wirkte bereits. Kannte Gruner, oder Sack, den staatskanzleilichen Ursprung des ersten Artikels, so konnte für Ompteda’s Gegenausführungen nur ein Verbot am Platze sein. Noch 1809 hatte ein Professor des Joachimsthalschen Gymnasiums seine Uebersetzung der Spence’schen Schrift dem Könige zueignen dürfen: jetzt strich Gruner einen Zeitungsartikel über Spence durch! So weit war man gekommen! Die beiden Querstriche auf der zurückgewiesenen Censurvorlage kamen Kleist wie zwei Schwerter vor, kreuzweis durch die theuersten und heiligsten Interessen der Nation gelegt. Aber es gab kein Mittel sich zu wehren. In das 48. Abendblatt, vom 24. November, rückte Kleist die trockene Redactionsanzeige ein, er ersuche den Verfasser eines Aufsatzes „über die neueste Lage von Großbritannien, der aus Rücksichten, die hier zu erörtern zu weitläufig wäre, nicht aufgenommen werden könne, ganz ergebenst, ein Schreiben für ihn in der Expedition abzuholen; dasselbe <100:> werde ihm auf Vorzeigung eines Pettschafts mit einem Socrateskopf ausgeliefert werden.“ Ompteda meldete sich jetzt. Kleist schrieb ihm, und Ompteda antwortete am 28. November 1810. Er freue sich, daß der antienglische Aufsatz nicht Kleist’s Gesinnung ausdrücke. Er sei mit ihm also nur in eine anscheinende Feindseligkeit gerathen. Erforderlichen Falls, wenn die cursirenden Abschriften es nöthig machen sollten, würde er sich auch öffentlich zu den Wahrheiten, die sein Aufsatz enthalte, bekennen.\*\ Eine von Kleist erbetene Zusammenkunft fand am folgenden Tage, vermittelt durch den zu Besuch eingetroffenen Gesandten, Statt und scheint zunächst einen häufigeren Verkehr zwischen dem Oberstlieutenant Ompteda und Kleist angebahnt zu haben.
Ompteda war also mit seinem Artikel der Censur unterlegen. Viel schlimmer noch erging es Kleist mit Aufsätzen Achim’s von Arnim. Ich wähle ein einziges Beispiel aus, das zugleich neue Ausblicke auf die Abendblätter eröffnet.
In Arnim’s Nachlaß ist ein handschriftliches Blatt erhalten, das, wer sich in die Menschen und Dinge eingewöhnt hat, nicht ohne Theilnahme anzusehen vermag. Ein an Kleist adressirtes, nicht datirtes Blatt Arnim’s. Von einem Boten die Mauerstraße entlang aus Arnim’s Wohnung in die Kleist’s getragen. Drei kleine Beiträge zu den Abendblätter enthaltend, ohne jedes sie begleitende Wort. Was die Freunde sich zu sagen hatten, konnte jeden Augenblick ja mündlich abgethan werden. Man gewahrt Arnim’s frei und sorglos über das Papier eilende, leicht und bläßlich angesetzte Feder. Kleist im Dienste seiner Zeitung mit schwarzen Strichen, ohne ein Wort zu ändern, des Freundes Zügen nachhelfend und die <101:> Redactionsvermerke zufügend. Von Arnim als Reliquie seines nie vergessenen Freundes getreulich aufbewahrt. Es ist, als ob aus diesem Blatte die Freundschaft Kleist’s und Arnim’s noch heute zu uns spräche.
Von diesen drei Beiträgen ist nur einer, der „Sonderbares Versehen“ überschriebene, benutzt worden: die satirische Rüge eines unpassenden Ballets bei der Aufführung der Oper Iphigenie in Tauris, und steht im Abendblatt vom 3. November 1810 abgedruckt. Hingegen konnte ein in die Form des Scherzes gehüllter Ausfall auf die Continentalsperre nicht aufgenommen werden:

Neue Religion.
Seit einiger Zeit wird in mehreren Gegenden Deutschlands eine neue Religionssecte bemerkt, sie unterscheidet sich in nichts von anderen Christen und Juden, als daß sie sich des Zuckers und Kaffee’s enthält; Kinder hoffen dadurch ihr Leben zu verlängern, um das Alter der Conscription zu erreichen.

Wir fragen nach Bedeutung und Zweck dieses Schriftsatzes und gewinnen uns die Unterlagen dafür aus den Abendblättern selbst. Unsren Vorfahren in der Mark hatte die Continentalsperre Kaffee und Zucker in einem Maße beschränkt oder vertheuert, daß die mittleren Schichten sich diese Waaren nicht mehr beschaffen konnten. Keine Instanz war da, an die sich unsre mißhandelten Vorfahren offen und öffentlich um Hülfe wenden konnten. Zeitungen versagten erst recht. Und als Gegensatz dazu der blaue Dunst, der in der kaiserlich französischen Presse angemacht wurde, als ob Mangel und Groll dadurch beschwichtigt werden könnten. Französischerseits prahlte man, daß – nach der Zeitungsschau der Abendblätter vom 29. October und 2. November 1810 – man in Frankreich beträchtliche Preise auf die Verfertigung des <102:> Traubenzuckers gesetzt habe, ja, daß die Fabrication desselben, mit der sich der Präfect von Rom in seinem eigenen Palaste befasse, die glücklichsten Erfolge verspräche. Betreffs des Kaffees hieß es – nach den Miscellen des Abendblattes vom 28. Oct. – daß ein Leinwandfabricant im Seine- und Marne-Departement ohne Glasfenster und Glocken, durch bloße zweckmäßige Bearbeitung des Bodens, in diesem Jahre eine Ernte von 15 Pfd. Kaffee gemacht habe, der amtlich geprüft, zu der Hoffnung berechtige, daß man vermittelst desselben den Mokkakaffee ganz werde entbehren können. Wenn man sich diese französischen Trug-Notizen und die Unmöglichkeit der Erwiderung darauf vergegenwärtigt, dann wird man Arnim’s Hohn, die „Neue Religion“, begreifen und zugleich die grimmige Anklage gegen Napoleon darin vernehmen, daß die Jugend für ihn nur heranwachse zu dem Zweck, das Alter der Conscription zu erreichen, d. h. als Kriegsmaterial, als Kanonenfutter verwendet zu werden. Kleist brachte die „Neue Religion“, zumal nach den Vorgängen des 3. Novembers, nicht mehr durch. Nur einen anderen Artikel Arnim’s gegen die Continentalsperre, mit dem närrisch-ernsten Titel „Austern und Butterbrode, die an den Bäumen wachsen“, hat er glücklich eingeschwärzt. Dem, der „bei jetziger theurer Austernzeit“ gern frische Austern mit Citronensaft, und zwar umsonst, einschlürfen möchte, wird gerathen, nach Afrika zum Flusse Serra Liona zu gehen, in dessen Wasser sich die Zweige der Citronenbäume, mit unzähligen Austern belegt, niedersenkten – „ein schönes Bild der Resignation“! Und wer gewohnt sei, Abends auf ein Butterbrod eingeladen zu werden, der möge sich in Amerika zwischen einem Brodbaum und einem Butterbaum anbauen – das sei ein gutes häusliches Leben! Um die Voraussetzungen für solche Artikel muß man sich freilich bemühen, wenn man sie verstehen und nicht verkennen will. Es gehörte mehr Muth <103:> dazu, als heute sich die Leute träumen lassen. Eine ganze Existenz wurde zum Opfer gebracht.
Nach den gegebenen Proben machen wir uns eine Vorstellung davon, wie die von Hardenberg mittelst der Cabinets-Ordre geschärfte Censur arbeitete. Die Zahl der von der Censur gestrichenen Artikel ist außerordentlich groß gewesen. Ich citire aus einem (noch nicht gedruckten) Briefe Arnim’s an die Brüder Grimm, für Neujahr 1811, die Kleist betreffende Stelle. Der arme Kerl habe seine bittre Noth mit der Censur, der wegen einiger dem hiesigen Ministerio anstößiger Aufsätze beinahe gar nichts mehr abdrucken dürfe: „Beinahe zehn Aufsätzen von mir ist das Imprimatur verweigert.“ In Einem Quartal zehn Aufsätzen Eines Mitarbeiters! Man übertrage dies Verhältniß auf die übrigen Theilnehmer an den Abendblättern, wenigstens auf diejenigen, die in der Politik fest standen: auf Adam Müller, dessen plötzliches Verstummen wir vorher wahrnahmen!
Als ich Müller’s 1812 zu Wien erschienene (also 1811 zusammengestellte) Bände Vermischter Schriften durchging, kam mir die Erkenntniß, daß in ihnen sich die einst in Berlin verbotenen Artikel befinden müßten. Diese Artikel gehen von preußischen Staatsverhältnissen aus; sie gleichen an Umfang und an Geist den Beiträgen Müller’s zu den Abendblättern; die vom Credit der Grundstücke, von der Gewerbefreiheit handeln, sind Entgegnungen auf die entsprechenden Sätze des Hardenberg’schen Finanz-Edicts. Sie würden, hätte man sie nicht verboten, in den Abendblättern am rechten Platz gewesen sein. Es ist durchaus richtig, was Adam Müller über das Jahr 1810 später an Heeren schrieb (Hoffmann, Findlinge 1, 321): „In dem Kampfe gegen die neuen Lehren der Gewerbefreiheit, der Zerstörung aller Corporationen und gegen das Westphälische Abgabensystem, welches (durch das <104:> Finanz-Edict vom 27. October) auf Preußen übertragen werden sollte, zog ich den Kürzeren.“
Die Verhinderung eines seiner Artikel wenigstens läßt sich noch bestimmt aufweisen. In seinem Schlußwort über Kraus, vom 24. November 1810, hatte Adam Müller in Aussicht gestellt, er werde ehestens wieder eine andre „gelehrte Autorität“ einer solchen kurzen und strengen Betrachtung unterziehen (oben S. 64). Es wurde nichts daraus. Ich glaube, daß Friedrich Buchholz’ Schrift über den Geburtsadel, die gegen die „Feudal-Aristokratie“ gerichtet war, auf das Korn genommen werden sollte. Gentz drängte damals in Briefen Adam Müller immerfort dazu. Solch eine kurze und strenge Betrachtung über Buchholz findet sich nun in den Vermischten Schriften wieder, den als das „Haupt der gegenwärtigen politischen Litteratur“ Müller mit dem ganzen Gewicht seiner Beweisführung zu erdrücken sucht. Buchholz aber, als Schriftsteller, gehörte damals zu den Leuten, die Hardenberg begünstigte.
So wurde der Geist der Abendblätter, seit dem Arrangement mit Raumer, thatsächlich umgeändert: durch officiöse Betheiligung und durch Censurverbote. Die letzteren aber waren für Kleist das schädigendste und empfindlichste Mittel, das angewendet werden konnte. Die Abendblätter sanken rapid in ihrem Werthe. Für Kleist war der Anfang vom Ende da.

\*\ Irriger Weise denkt der Herausgeber des „Politischen Nachlasses“ Ompteda’s (2, 20) hier an einen anderen Artikel, den er nicht gefunden habe.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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