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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 167-172

1. Die Stellung Iffland’s in Berlin.


Es war ein Glück für Iffland, daß ihn die Wahrnehmung seiner Pflichten nicht in Zwiespalt mit sich selber brachte. Er war Hardenberg nicht blos in redlicher Ueberzeugung, sondern auch in freundschaftlicher Ergebenheit zugethan. Der Ritter von Lang erzählt in seinen Memoiren, daß Iffland schon 1801 zu den gewohnten Tischgästen des Ministers Hardenberg gehörte und sich dessen ungewählte Umgebung gefallen ließ. Dasselbe berichtet Friedrich von Raumer in seinen Erinnerungen für die Jahre 1810 und 1811. Mag immerhin der von Natur zaghafte Iffland dem starken, und wenn es Noth that sich Respect verschaffenden Autoritätsgefühle Hardenberg’s gegenüber von vornherein im Nachtheil gewesen sein: dieser Verkehr zwischen den beiden je nach ihrer Art hervorragenden Männern hätte sich nicht bilden und hätte keinen Bestand haben können, wenn sie nicht in entscheidenden Ansichten und Grundsätzen Eines Sinnes gewesen wären.
Iffland hatte die für seine Lebensanschauung bestimmenden Einflüsse, wie Hardenberg, nicht in Preußen erhalten. Beide <168:> waren Hannoveraner von Geburt. Als Schauspieler bildete sich Iffland in der kosmoplitischen Schule des Mannheimer Theaters. Schiller’s die Verkommenheit in herrschenden Kreisen entblößenden Jugenddramen waren die Stücke, für deren vollendete Darstellung er die schauspielerischen Mittel, wie kein Anderer, besaß. Der Zusammenhang mit Schiller’s Kunst, die sich neben Goethe zu beruhigter, allgemein menschlicher Höhe erhob, ließ er niemals wieder fallen. Er hat als Theaterdirector in Berlin das classische Drama Goethe’s und Schiller’s aufgeführt. Daneben aber bevorzugte er die allermäßigsten Bühnentalente, deren Stücke, wie die eigenen die er schrieb, das Publicum unterhielten, ohne es zu einer höheren Idee empor zu tragen. Der nicht-politische Classicismus und der städtisch-bürgerliche, fast antiaristokratische Modegeschmack lieferten die beiden Elemente, aus denen sich Iffland’s Theaterleitung zusammensetzte. Es erscheint dies auf den ersten Blick wie ein Widerspruch, der nicht möglich wäre. Gleichwohl liegt diese sonderbare Verknüpfung als historisches Problem in der Geistesgeschichte Berlins klar zu Tage. Die „aufgeklärten“ Kreise Berlins traten noch bei Goethe’s Lebzeiten als laute Verkünder seines classischen Genius auf; und wem, der heute in die Zustände blickt, entginge, daß ähnliche Verhältnisse noch bestehen? Iffland war der rechte Theaterdirector nach dem Geschmacke des Berliner Durchschnittsbürgers. Der philiströse Zug in Iffland’s Wesen heimelte ihn an. Das war der Grund, weshalb die alten Berliner Zeitungen immer durch Dick und Dünn mit Iffland gingen. Wäre Iffland, als Hardenberg die Kanzlerschaft übernahm, nicht schon lange in Berlin gewesen: er hätte als der geeignete Mann in diese Stelle berufen werden müssen.
Zwischen dem einsamen Classicismus von Weimar und der platten Oberflächlichkeit des Modetons wuchs nun die Ro- <169:> mantik auf, die Kunstanschauung der jüngeren Generation, die Goethe verehrte und das Philisterthum bekämpfte. Iffland war schon ein berühmter Schauspieler und in seine Mannesjahre eingetreten, als die neue Bewegung sich geltend machte. Er besaß weder als Schauspieler, noch als Theaterdirector diejenige Fülle geistiger Gaben, die nöthig gewesen wäre, um das Neue fruchtbar zu umfangen. Goethe hielt, mehr als Schiller, Fühlung zu den jungen Talenten. Tieck’s, der beiden Schlegel’s, Kleist’s, Werner’s u. a. Dramen führte er auf seinem Theater auf. Er schrieb Werke, die die Romantiker selbst als die Blüthe ihrer eigenen Bestrebungen anerkannten: All das jedoch, ohne sich selbst zu verlieren oder sich als Partheichef der Romantiker proclamiren zu lassen. Iffland dagegen, an diesem Reichthum gemessen, erscheint als ein armer Mann. Für die neuen Tendenzen der Romantiker fehlte ihm das Organ. Seine Theaterstücke blieben, was sie waren, gedankenleichte Unterhaltungsstücke, mit denen Kotzebue’s auf Einer Stufe. Selbst die uns für die besseren gelten können, die Jäger, der Spieler, Verbrecher aus Ehrsucht, haben keine innere Entwickelung, weder im classischen, noch im romantischen Sinne. Aus etwas Edelmuth und etwas Schlechtigkeit sind die Charaktere seiner Helden zusammengesetzt, und kein höheres Ziel kennt Iffland, als diese Helden „aus der Gesellschaft spielender Müßiggänger in das Leben des thätigen Bürgers“ zurückzuführen. Von der poetischen Erfassung und Erweckung der jedem Stande eigenthümlichen Kraft, worauf die Romantiker hinaus wollten, hatte Iffland keine Ahnung. Seine Natur war antiromantisch. Er hat, außer dem Ion Schlegel’s und den einzelnen früheren Stücken Zacharias Werner’s, keine dramatische Leistung der Romantiker auf die Bühne gebracht. Historisch betrachtet, lastet auf ihm der Vorwurf, daß das patriotisch-romantische Drama jener Tage von ihm nicht <170:> gepflegt worden ist. Die Besseren seiner Zeit tadelten ihn deshalb; die ihm übel wollten, schoben diesen Mangel seiner Theaterleitung niederen persönlichen Eigenschaften zu, weil er den Ehrgeiz habe, im untergeordneten Kreise desto mehr zu glänzen.
Von den Romantikern gingen sehr bald heftige Angriffe gegen Iffland aus, ohne daß sie von diesem, der am liebsten die scharfe Luft des Kampfes mied und nur gezwungen in ihr athmete, je energisch zurückgewiesen worden wären. Tieck und Wilhelm Schlegel haben sich in ihren Schriften bestimmt genug gegen Iffland erklärt. Schlegel schrieb 1797 seine verurtheilende Recension der Iffland’schen Schauspiele, an denen, im Sinne der Goethe-Schiller’schen Xenien, keine Spur mehr vom Begriffe eines freien, echten Kunstwerkes zu entdecken sei. Tieck hat im Phantasus Iffland’s Schwächen gegen seine Vorzüge abgewogen. Wie Schlegel und Tieck in ihren Jugenddichtungen satirisch gegen Iffland vorgingen, so nahm unter ihrem Einflusse Clemens Brentano Iffland’s Familienstücke in seinem Gustav Wasa mit. Um 1810, wo Heinrich von Kleist mit seinen Freunden in das geistige Leben Berlins eingriff, war die allgemeine Stellung die, daß die ganze Romantik Iffland als ihren Gegner betrachtete.
Diese Stimmung kam nur hier und da in öffentlichen Blättern zum Ausdruck, herrschte aber, was viel schlimmer war, in den höheren Berliner Gesellschaftsschichten vor, die Iffland, als preußischer Beamter, nicht ignoriren konnte. Der märkische Adel und die Offiziere der Berliner und Potsdamer Garnisonen fühlten sich, nicht ohne Recht, durch Iffland übel behandelt. Seine dramatische Verwerthung des Adels und des Offiziers war auf der Stufe stehen geblieben, auf die ihn Schiller’s Jugenddramen gestellt hatten. Für das, was in Preußen der Adel als Staatsstützender Grundbesitzer, als Be- <171:> amter, als Führer und Soldat vor dem Feinde geleistet hatte, fehlte ihm das Verständniß und die Fähigkeit, durch neue Erfahrung sich innerlich zu entwickeln. Wenn Iffland – fassen wir das Theaterjahr 1810 ins Auge – außer seinen und Kotzebue’s Stücken immer und immer wieder den Pachter Feldkümmel, den Rochus Pumpernickel, den Vetter Kuckuck und andere solche elenden Machwerke aufführen ließ, so saß der Grundbesitzer, der Offizier im Königlichen Nationaltheater da und sah unwillig mit an, wie in dieser Zeit der Umwälzungen gerade die Stände, denen sie angehörten, vor dem Publicum discreditirt wurden. Die Folge war wachsender Ingrimm gegen Iffland, und die Theateropposition, die entstand, machte sich unmittelbar im Theater durch Zischen und Niederpochen oder durch öffentliche Verhöhnung Iffland’s Luft. Die Oppposition des activen Militairs war in Berlin geradezu eine Theatermisere geworden, gegen die es keine rechte Abhülfe mehr gab. Als 1806 Zacharias Werner’s Luther aufgeführt wurde, war man allgemein über die Art der Aufführung betroffen: Wilhelm von Humboldt schrieb noch 1810, als das Stück im Februar gegeben wurde, ärgerlich an Goethe, Iffland habe sich aufs neue die Freude gemacht, auf der Bühne zu predigen, da ihm die Kanzel verschlossen sei. Zelter’s Berichte an Goethe schonen ebenfalls Iffland nicht, der „sich wie der leibhaftige Dr. Luther angethan habe“. Man hielt die Aufführung geradezu für eine Parodie einer heiligen Kirchenangelegenheit, und die Offiziere des vornehmen Regimentes Gensdarmen veranstalteten zu Iffland’s Verspottung die famöse Schlittenfahrt im heißen Sommer, die Iffland so tief kränkte, daß er sein Verbleiben im Amte von der Bestrafung der übermüthigen Offiziere abhängig machte. Am anziehendsten wird der Hergang in Nostitz’ Memoiren erzählt. Nur ein Rittmeister, Nostitz’ Freund, wurde in ein schlesisches Regiment strafversetzt. Rührend und <172:> erhebend ist es, wie beide Freunde auf dem Schlachtfeld von Saalfeld sich wiedertreffen und in Sorge für den geliebten Prinzen Louis Ferdinand, dessen Adjutant Nostitz war, die Pferde wechseln: so daß Nostitz, als er sich um den Leichnam des Prinzen mit den Franzosen herumgeschlagen hatte, allein durch die Schnelligkeit seines Rosses dem Tode oder der Gefangenschaft entrann. Noch immer hat der preußische Offizier gelegentlichen Uebermuth im Frieden durch Bravour vor dem Feinde glänzend gutgemacht. Der König wußte wohl, warum er seine Offiziere um einer Komödie willen nicht fallen ließ.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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