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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 177-185

3. Iffland’s ablehnende Haltung gegen Kleist.


All dies waren keine günstigen Einleitungen für die Schritte, die Kleist, um seine vaterländischen Schauspiele auf die Berliner Bühne zu bringen, zu Iffland unternehmen mußte. <178:> Kleist kam mit vollen Händen und neuen Aussichten. Freilich, daß seine Herrmansschlacht, dieser poetische Zukunftstraum der deutschen Freiheitskriege wider Napoleon, in damaligen Zeitläuften weder aufgeführt noch gedruckt werden könne, darüber war sich Kleist mit seinen Freunden klar. Aber das Käthchen von Heilbronn hatte sich, durch Heinrich von Collin’s Vermittelung, den Zugang zur Bühne des Theaters an der Wien gebahnt, und Kleist durfte erwarten, daß die Aufführung allernächstens Statt finden werde. Collin ist derjenige österreichische Dichter, der an Talent, an Adel der Gesinnung, an Ernst der Arbeit, an Treue gegen das Vaterland und an Lebensschicksal mit dem preußischen Kleist verglichen werden kann. Kleist und Collin wurden durch die Noth ihres Vaterlandes zu vaterländischen Dichtern, nachdem sie vorher in anderer Richtung suchend und nicht befriedigt, gearbeitet hatten. Kleist und Collin nahm das Eine Jahr 1811 hinweg, ehe sie die Freiheit ihres Vaterlandes sahen. Es ist wie eine Fügung, daß sie beide sich fanden und verstanden. Durch Collin’s Förderung ging Kleist’s Käthchen im März 1811 dreimal auf dem Theater an der Wien in Scene.
In den ersten Wochen seines Berliner Aufenthaltes vollendete Kleist den Prinzen von Homburg, ein Drama, mit dem er sich zum ersten Male auf den engeren Boden seines brandenburgisch-preußischen Vaterlandes stellte. Was blieb, nachdem der in der Herrmannsschlacht so glühend empfohlene Zusammenschluß aller Deutschen auf den mährischen Schlachtfeldern zerspalten schien, Kleist übrig, als die angeborene Zuversicht zu der Kraft des brandenburgisch-preußischen Heeres, in dem er und seine Vorfahren glorreich gedient hatten? Das preußische Heer, oder vielmehr das preußische Offiziercorps, das er zum Siege führte, war gegründet auf den Geist der absoluten Hingabe und Selbstaufopferung zu höherem Zwecke, und <179:> erschien in einer Zeit, wo Alles wankte, als der letzte, ewig unzerstörbare Hort der Weltanschauung, für die Kleist und seine Freunde kämpften.
Darum gehörte das Schauspiel in den nationalen Cirkel des Fürsten Radzivil. Für Radzivil vollendete Kleist seine Dichtung. „Jetzt“, schrieb Kleist am 19. März 1810 an seine Schwester Ulrike, „wird ein Stück von mir, das aus der brandenburgischen Geschichte genommen ist, auf dem Privattheater des Prinzen Radzivil gegeben, und soll nachher auf die Nationalbühne kommen, und (wenn es gedruckt ist) der Königin übergeben werden.“ Das waren Pläne, zu denen Radzivil, der das Schauspiel unter seine Protection nahm, den Dichter angeregt hatte. Der Prinz von Homburg, der also nach Mitte März noch „einstudirt“ wurde, kann etwa erst im April auf dem Privattheater aufgeführt worden sein. Daß er thatsächlich zur Aufführung kam (worüber ein directes Zeugnis fehlt), läßt sich aus den uns gemeldeten Urtheilen über das Stück erschließen, nach denen Herzog Karl und andere Offiziere an der Todesfurcht-Scene Homburg’s Anstoß genommen hätten. Dies kann durchaus der Wahrheit entsprechen. Der Herzog Karl, der Bruder der Königin, galt in dem Maße für die Dicht- und Bühnenkunst interessirt, wie Fürst Radzivil für die Musik; Iffland’s Nachfolger, Graf Brühl, führte sein Lustspiel Die Isolirten unter dem Pseudonym Weißhaupt auf. Aber schädlich für Kleist kann dieses Urtheil nicht gewesen sein, da er sonst den Versuch nicht hätte wagen dürfen, sein Schauspiel, nach dem Tode der Königin, im Druck der Prinzessin Wilhelm zuzueignen, die, eine geborene Prinzessin von Hessen-Homburg, seit 1804 mit des Königs Bruder Wilhelm vermählt war und von der Preußischen Kriegsparthei mit ungemeiner Verehrung umgeben wurde. Kleist’s Prinz von Homburg ist aber zu des Dichters Lebzeiten nicht gedruckt worden. <180:>
Indeß was ist aus Kleist’s Absicht, das Schauspiel auf die Nationalbühne zu bringen, geworden? Wir wissen nichts darüber. Aber wie sollten auch Zeugnisse vorliegen, wenn vielleicht die Besprechungen zwischen Kleist und Iffland mündlich oder durch Dritte Statt fanden? Iffland konnte nun und nimmermehr diesem Stücke gewogen sein. Denn ein gleiches Problem, den Conflict von Liebe und Dienstpflicht, hatte er früher in seinem Trauerspiel „Albert von Thurneisen“ behandelt, das er immerfort, auch 1810, den Berlinern auf ihrer Bühne darbot. Der Hauptmann Albert von Thurneisen soll das Außenwerk einer belagerten Stadt vertheidigen. Er und die Tochter seines Generals sind heimlich in liebendem Einverständniß mit einander. Sie soll nach des Vaters Willen in wenigen Stunden, ehe der Sturm auf die Stadt geschieht, einem Grafen ihre Hand reichen. In der Verzweiflung ihrer Seele schickt sie dringend und dringender nach Hauptmann Albert. Der verläßt den Posten; die Schanze geht verloren. Das Kriegsgericht verurtheilt ihm zum Tode; der General bestätigt das Urtheil. Des Edelmuthes, in dem nunmehr der General, die Tochter, der Graf, der Hauptmann sich begegnen, nimmt gar kein Ende; und endlich, aus der letzten Rührscene im Kerker, eilt der General auf die Schanze, der Hauptmann aber zu dem Executions-Commando, von dessen Kugeln er den Tod empfängt. Welch ein Abstand gegen Kleist! Iffland hält uns in der niederen Sphäre des Gewöhnlichen starr und trostlos fest; Kleist läßt in uns die Ahnung einer höheren Welt entstehen, die mit der Wirklichkeit im Streite, den Menschen schuldig machen kann. Sein Prinz von Homburg fliegt im Liebesrausch zu Sieg und Ruhm, die volle Seligkeit meint er gewonnen. Und nun der jähe Absturz durch den Willen des Gesetzes, das er schuldlos-schuldig schwer verletzt! In schmerzensreichem inneren Kampfe wird der Prinz zum Tode, aber auch <181:> zum Leben reif. Der Kriegsherr darf verzeihen. Die Offiziere jubeln: „In’s Feld! In’s Feld! Zur Schlacht! Zum Sieg! In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ Das ist vaterländische Kraft, poetischer Schwung; war aber nicht willkommen an der Stelle, wo ein Ifflandischer Albert von Thurneisen die Bühne hielt.
Viel günstiger sind wir, was die äußeren Zeugnisse anlangt, wegen des Käthchens von Heilbronn gestellt. Am 17., 18. und 19. März war es in Wien aufgeführt worden. Anfangs April erhielt Kleist sein Manuscript von Cotta zurück. Bald darauf wurde es Iffland zur Aufführung eingereicht, und zwar durch Major von Schenck, einem schon bejahrten Herrn, der im letzten Kriege Platzmajor in Colberg gewesen war und nun verabschiedet seine letzten Jahre (bis 1814 wo er starb) in Berlin verlebte. Frau von Berg verwandte sich persönlich mit ihrem Einflusse bei Iffland für den Dichter. Das Käthchen streifte, im Gegensatz zum Prinzen von Homburg, kein eigentliches politisches Interesse, so daß in dieser Rücksicht kein Hinderniß zur Aufführung vorlag. Doch Iffland hegte schon eine vorgefaßte Meinung gegen das Käthchen, und bemerkte bei der Entgegennahme dem Major von Schenck, daß er die bedeutenden dramatischen Anlagen ehre, welche die Arbeit darthue, daß aber das Stück in der Weise und Zusammenfügung, wie es jetzt sei, sich nicht halten könne. Er werde es aber nach seiner Ueberzeugung und den Pflichten seines Amtes prüfen. Ein Bescheid, der keine glänzenden Aussichten eröffnete. Die sonderbare Art der Einreichung scheint darauf zu deuten, daß schon damals zwischen Kleist und Iffland persönlich etwas nicht in Ordnung war.
Iffland fühlte sich nicht gedrungen, die Entscheidung schnell zu geben. Mit der Motivirung, daß er vorläufig keine Zeit zum Lesen des Stückes finde, überließ er es dem Hofrath <182:> Römer zur Lectüre. Römer, dessen Verbindung mit Kleist wir schon kennen lernten (oben S. 124), hatte ein paar, nicht sehr bedeutende Aufsätze über dramatische Musik in das Pantheon 1810 geliefert und ging, wie ich einem ungedruckten Briefe Arnim’s an Wilhelm Grimm, 1. Juni 1810, entnehme, jetzt damit um, ein Theaterjournal unter dem Titel „Journal für Dramatik und Cantik“ herauszugeben, in das Arnim, und die Grimm’s und Kleist schreiben sollten. Wahrscheinlich, daß eine Zeitlang ins Auge gefaßt war, das Käthchen in diesem neuen Journal, das aber nicht zur Ausführung kam, zu veröffentlichen. Des langen Wartens müde, forderte Kleist (in einem nicht erhaltenen Schreiben) von Iffland endlich sein Manuscript zurück, und dieser beauftragte Römer, es Kleist unmittelbar einzuhändigen.
Diese schlichte Verabschiedung des Käthchens empörte Kleist und seine Freunde. Bei dem Fehlen jeder sachlichen Begründung hielt man sich persönlicher Rancüne Iffland’s versichert. Prall und rasch dreinfahrend, schrieb Kleist an Iffland das unsägliche Billet vom 10. August 1810, das in Teichmann’s Litterarischem Nachlasse S. 273 gedruckt ist. Er hielt Iffland vor, daß das Käthchen in Wien, bei Gelegenheit der Vermählungsfeierlichkeiten, aufgeführt worden sei. Die Bühnenfähigkeit stehe dadurch fest. Iffland’s zu Römer gethane Aeußerung, das Käthchen gefalle ihm nicht, könne er sich nur so erklären, daß es eben blos ein Mädchen sei. Wenn es ein Junge gewesen wäre, würde es Iffland wahrscheinlich besser gefallen haben. Lästerlicher konnte Iffland nicht beschimpft werden. Und was das Tollste war, die Geschichte blieb kein Geheimniß in Berlin und außerhalb. Ich fand in den Nordischen Miscellen, die in Hamburg herauskamen und in Berlin viel gelesen wurden, den ganzen Hergang (1810 Nr. 42) genau und mit Kenntniß des Kleistischen Billets berichtet, das <183:> (wie es dort heißt) im Publicum circulirt habe, und Iffland wird als „nicht ganz unschuldig“ hingestellt.
Ich fragte mich immer, wie kam Kleist zu diesem Tone gegen Iffland. Julius von Voß’ abentheuerliche Selbstbiographie eines jüdischen Bastards, die 1810 erschien, gab mir endlich die Antwort. Voß machte seine zahllosen Geschichten und Bühnenspiele durch anzügliche Verwerthung des Berliner Klatsches piquant und gefürchtet. Wie viele Klein-Größen Berlins hat er nicht in seinen Schriften an den verdienten Pranger gestellt. Er schonte Niemand. Den Censurnetzen der Polizei, worüber Acten noch vorhanden sind, wußte er geschickt zu entschlüpfen. Im „Jüdischen Bastard“ herrscht die ungenirteste Satire auf das jüdische Wesen in Berlin, auf die Veit und Schlegel, auf Kotzebue und Iffland. Namentlich werden die Berliner Theaterverhältnisse unter Iffland’s Direction in durchsichtiger Umhüllung verspottet. Da kann man (1, 129) dasselbe, was Kleist brieflich andeutete, in sehr drastischen Worten wiederfinden. Es handelte sich also um Dinge, die damals hinter den Berliner Coulissen von Mund zu Munde umgingen. Kleist besaß denjenigen Grad von schroffer Rücksichtslosigkeit, der nöthig war, um solche Dinge Jemand ins Gesicht zu sagen. Wir kennen diesen Zug an ihm. Auch Goethe hat er, als er sich von ihm unsachgemäß behandelt und beleidigt glaubte, rücksichtslos im Phöbus zugeschleudert, was die Leute heimlich hinter seinem Rücken flüsterten.
Kleist’s Ueberzeugung, wegen seines Käthchens schlecht behandelt zu sein, empfängt durch Iffland’s eigene Antwort, vom 13. August 1810, eine unfreiwillige Bestätigung. Anstatt Kleist energisch zurückzuweisen, sandte ihm Iffland eine motivirte Entschuldigung. Seine Aeußerungen zum Major von Schenck und zum Hofrath Römer gab er jetzt die Form, die er amtlich vertreten wollte. Er ehre die dramatischen oder <184:> poetischen Anlagen, welche die Arbeit darthue, aber in der Weise und Zusammensetzung, wie es jetzt sei, oder ohne gänzliche Umarbeitung könne sich das Stück auf der Bühne nicht halten. Er behauptet aus Wien Nachrichten empfangen zu haben, daß sich dieser Mangel in den wenigen Vorstellungen des Stückes daselbst bestätigt habe.
Das letztere ist wahr, Wiener Nachrichten über das Käthchen in den Zeitungen von damals lauteten so. Aber in Wien war eine nichtkleistische Bearbeitung des Käthchens aufgeführt worden, die den Zusammenschluß der Scenen in des Dichters Sinne zerstört hatte. Trotzdem sei, heißt es aber in einem Wiener Berichte der (Hamburger) Nordischen Miscellen, 1810 Nr. 33, Kleist’s romantisches Spiel durch Grüner in der Rolle des Grafen Wetter vom Strahl und durch Madame Pedrillo in der Rolle des Käthchens zu einer recht herrlichen Erscheinung gemacht worden. Das las, nur wenige Tage nach Iffland’s Briefen, Jeder in Berlin. Es war also ungerecht von Iffland, sich nur auf ungünstige Wiener Stimmen zu berufen, ohne sich durch eigene Prüfung zu überzeugen. Denn daß er das Käthchen nicht gelesen hat, verräth er selbst in den Briefen an Kleist dadurch, daß er es zweimal ein „Trauerspiel“ benennt. Ein alter Praktiker, wie Iffland, konnte sich nicht irren bei einem Stücke, das er wirklich kannte. Ein rein formeller Irrthum ist nicht anzunehmen. Auch Brentano hat, aber nach den Fragmenten des Phöbus und ohne das ganze Werk zu kennen, das Käthchen als ein „Trauerspiel“ bezeichnet. Das war, anscheinend, so die allgemeine Meinung, der Iffland aber, der das Manuscript in Händen hatte, nicht folgen durfte. Iffland, der vielbeschäftigte, war unvorsichtig auf den Sand gefahren, und um so gründlicher setzte sich die Mißachtung und Mißstimmung gegen ihn in den Kreisen Kleist’s und seiner Freunde fest, <185:> die tagtäglich durch die Aufführung wahrhaft elender Stücke noch vermehrt wurde. Wie wenn Iffland ein neuer Tort zugefügt werden sollte, wurde jetzt rasch der Druck des Käthchens bei Reimer festgemacht. Mit gleicher Motivirung, ausdrücklich gegen Goethe als Theaterdirector, ließ Kleist 1808 im Phöbus Fragmente des Zerbrochenen Kruges drucken. Im Meßkatalog für Michaelis 1810, zu dem die Meldungen spätestens bis zum 24. August eingereicht sein mußten, ist das Käthchen angezeigt; und eine Demonstration gegen Iffland bedeutet der Zusatz auf dem Titel des ersten Berliner Druckes: „Aufgeführt auf dem Theater an der Wien den 17. 18. und 19. März 1810.“

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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