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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 220-223

19. Kleist’s Satire auf Iffland, die Theaterzustände und die Kritik.


Kaum hatte Kleist am Abend des 21. November 1810 die Erklärungen der Recensenten gebracht, an die er nicht glaubte, so setzte er sich hin, und verfaßte die grausame Satire auf Iffland, die fast das ganze Abendblatt vom 23. November, Nr. 47, füllte. Das Schriftstück, mit einer Vorbemerkung und Nachschrift, steht anonym da, ist aber so kleistisch nach Inhalt und Stil, daß es, als Kleist’s Eigenthum, künftig in seine Werke aufgenommen werden muß. Ich lasse es als gänzlich unbekannt hier folgen:

Folgender Brief eines redlichen Berliners, das hiesige Theater betreffend, an einen Freund im Ausland, ist uns von unbekannter Hand zugesandt worden. Wir haben, in diesen Blättern, so manchen Beweis von Unpartheilichkeit gegeben; dergestallt, daß wir, der gegen uns gerichteten Persönlichkeiten, die darin befindlich sind, ungeachtet, keinen Anstand nehmen, ihn dem Publico vorzulegen.
(Die Redaction.)

Schreiben eines redlichen Berliners, das hiesige Theater betreffend, an einen Freund im Ausland
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Der Herr Theaterdirector Iffland, hat nach dem Geständniß eines großen Theils von Berlin, seit er an der Spitze des hiesigen Theaters steht, die Gestalt und das Ansehn desselben, auf eine merkwürdige und außerordentliche, jedem Freunde der Kunst gewiß höchst überraschende Art, umgewandelt und bestimmt; und wenn wir ihn, wie uns die Würde und der Glanz seiner äußern Lage hoffen läßt, länger und unausgesetzt, in unserer Mitte behalten, so steht zu erwarten, daß er dem Theater, (was ihm, zu besitzen, das erste Bedürfniß ist,) vielleicht auf eine unwandelbare und nicht wieder zu verwischende Art, einprägen werde: nämlich, einen Charakter. Zwar sind nicht alle Kunstfreunde, und besonders nicht die, die aus der neuesten Schule hervorgegangen sind, mit den Grundsätzen, nach denen er verfährt, einverstanden; aber diejenigen, die er sich aufgestellt hat, verfolgt er mit Energie, Sicherheit, unerschütterlicher Consequenz: Eigenschaften, die selbst fehlerhafte Maasregeln, heilsamer und ersprießlicher machen können, als gute, wenn dieselben ihnen fehlen. <221:>
Die Hauptursache, wodurch wir dies erreicht, liegt in dem glücklichen Verhältniß, in welchem wir, seit mehreren Jahren schon, mit der Kritik stehen; mit der Kritik, dieser unschätzbaren und unzertrenntlich schwesterlichen Begleiterinn jedes Theaters dem es darum zu thun ist, der Vollendung, auf dem kürzesten und raschesten Wege, entgegenzuschreiten. Männer, von eben soviel Einsicht als Unpartheilichkeit, haben in den öffentlichen, vom Staat anerkannten Blättern, das Geschäft permanenter Theaterkritiken übernommen; und nur die schändlichste Verläumdung hat Gefälligkeiten, die die Direction, vielleicht aus persönlicher Freundschaft für sie hat, die Wendung geben können, als ob sie dadurch bestochen wären. Gleichheit, Uebereinstimmung und innerliche Congruenz der Ansichten, im Fache der Kunst, bestimmen dieselben, mit ganz uneigennützigem Eifer, durch Belehrung und Würdigung dessen, was sich auf der Bühne zeigt, in die Zwecke der Direction einzugreifen; und wenn ein pecuniaires Interesse (was zu läugnen gar keine Ursache ist), bei dem Geschäft, dem sie sich unterzogen haben, zum Grunde liegt, so ist es kein anderes, als das, was jedem Schriftsteller, der Manuscripte an seinen Buchhändler abliefert, statuirt ist. Demnach haben wir, seit mehreren Jahren schon, die glückliche, allerdings den Neid der Uebelgesinnten reizende, Erscheinung, daß dasjenige Organ, welches das größeste Publikum hat, auf Seiten des Theaters ist; dergestalt daß eine Stimme, die ihre Recensionen durchkreuzte und das Publikum irre zu führen bestimmt wäre, sich nur in untergeordnete und obscure Blätter verlieren und aus diesen in die fremden, ausländischen aufgenommen werden kann; und auch für die Unschädlichkeit solcher Intriguen ist, auf mancherlei Weise, bei uns gesorgt.
Und in der That, wenn eine Direktion das Feld der Kritik so erschöpft hat, als man es von derjenigen deren wir uns jetzt erfreun, voraussetzen kann: wozu, kann man fragen, das Raisonniren und Rezensiren, das doch niemals aus dem Standpunkt geschieht, der einmal, auf unabänderliche Weise, nach einer bestimmten Wahl des Besseren, angenommen ist, wozu, fragen wir, dergleichen, als nur die Eintracht, die zwischen Publikum und Direktion herrschen soll, zu zerstören, das Publikum gegen das Verfahren, das dieselbe beobachtet, argwöhnisch und mißtrauisch zu machen, und demnach den ganzen Kunstgenuß, die Totalität der Wirkungen, ästhetischer sowohl als moralischer und philantropischer, die die Direktion beabsichtigt, auf die unzweckmäßigste und widerwärtigste Weise, zu nichte zu machen?
Excentrische Köpfe, Kraftgenies und poetische Revolutionairs aller Art machen sich, wir wissen es gar wohl, in witzigen und unwitzigen Aeußerungen, über diese sogenannte „Theaterheiligkeit“ und den neuesten „Theaterpabst“ sehr lustig; sie führen an, selbst die Kirche habe dulden <222:> müssen, daß man die Fackel der Untersuchung in ihr Allerheiligstes hineintrage; doch weit entfernt, uns durch Persiflagen dieser Art, deren unreine Quelle nur zu sehr am Tage liegt, irre machen zu lassen, so soll dies nur ein Grund mehr sein, die Thür unseres kleinen freundlichen Tempels (soviel es sein kann) vor ihrer unberufenen, zudringlichen und leichtfertigen Fackel zu verschließen. Zu einer Zeit, dünkt uns, da alles wankt, ist es um so nöthiger, daß irgend etwas fest stehe: und wenn es der Kirche, nach der sublimen Divination dieser Herren, (welches Gott verhüten wolle!) bestimmt wäre, im Strom der Zeiten unterzugehen, so wüßten wir nicht, was geschickter wäre, an ihre Stelle gesetzt zu werden, als ein Nationaltheater, ein Institut, dem das Geschäft der Nationalbildung und Entwickelung und Entfaltung aller ihrer höhern und niedern Anlagen, Eigenthümlichkeiten und Tugenden, vorzugsweise vor allen andern Anstalten, übertragen ist.
Berlin, d. 20. Nov. 1810.mh.
N. S. Gestern sahen wir hier Pachter Feldkümmel; in Kurzem werden wir wieder Vetter Kukkuck und vielleicht auch Rochus Pumpernickel sehn.

Das Ganze, in seiner Dreigetheiltheit, ist die vollendete Verhöhnung Iffland’s in Formen, die das Gegentheil davon zu besagen scheinen, und dieser Augenverblendung dient von vornherein die Vorbemerkung. Man bemerke nun, wie Kleist zuerst, von Iffland’s Gestaltung der Berliner Bühne sprechend, so die Worte wählt, daß sie, völlig neutral, an sich weder Lob noch Tadel kund thun: trotzdem aber seine und seiner Freunde Gegnerschaft grell zum Ausdruck bringen. Den Kritikern der Vossischen Zeitung wird sodann doch Annahme von Gefälligkeiten Seitens der Theaterdirection und pecuniäres Interesse nachgesagt. Drittens: für Iffland sei Kritik eigentlich überflüssig. Viertens: Iffland benehme sich als Theaterpabst, er sei unfehlbarer noch als der Kirchenpabst, Iffland’s Nationaltheater könne ja eventuell an die Stelle der Kirche treten. Die geistige Nahrung (sagt grausam-ironisch die Nachschrift), die dann das Volk zu genießen bekäme, wären – die drei <223:> elendesten Stücke des Iffland’schen Repertoires: Feldkümmel, Kuckuck, Pumpernickel!
Es kam mir nur darauf an, die Grundgedanken hervorzuheben. Hundertfach sind die Beziehungen außerdem und die reizenden Spiele mit den Worten, die Kleist’s eigentliche Absichten theils enthüllen oder verhüllen. Hier übt Kleist, was er in dem Gebet des Zoroaster versprochen hatte: den Verderblichen und Unheilbaren niederzuwerfen, den Lasterhaften zu schrecken, den Thoren mit dem bloßen Geräusch der Spitze des Geschosses über sein Haupt hin zu necken. Der „redliche Berliner“, den er auftreten läßt, ist der „aufgeklärte“ Durchschnittsberliner, der Philister, gegen den Kleist und die Seinigen kämpften. Der ging mit Iffland mit, aus „innerlicher Congruenz“. Nur wer so, wie Kleist, die Sprache zu handhaben wußte, war im Stande, Alles gegen Iffland herauszusagen und doch der Censur zu entschlüpfen.
Und bedenken wir jetzt, wie Möllendorff (oben S. 208) mit der „päpstlichen Unfehlbarkeit“ seines Gegners im Freimüthigen umspringt: muß da nicht die Annahme entstehen, daß man in diesem Gegner damals schon Iffland selber vor sich zu haben meinte?

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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