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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 225-229

21. Erste Aufführung der Schweizerfamilie.


Die ernstesten Folgen aber knüpften sich an die Aufführung der Schweizerfamilie, die Friedrich Schulz an zweiter Stelle besprach. „Die Musik (sagt er) hat gerührt, erfreut und entzückt. Wie wäre es auch möglich, daß soviel Wahrheit des musikalischen Ausdrucks die Wirkung auf unbefangene und nicht verbildete Gemüther verfehlen könnte? … Herr Rebenstein als junger Schweizer interessirte durch Spiel und Gesang, und Mslle Herbst leistete sehr viel, wenn auch nicht alles.“ So absichtlich leidenschaftslos ist der Bericht gehalten, daß ein unbefangener Leser gar nicht ahnen kann, welche Gegensätze bei dieser Gelegenheit auf einander prallten und gewaltthätig ausgetragen wurden.
Es handelte sich bei dem Streite nicht um Werth oder Unwerth des Singspieles schlechthin. Der dramatische Gehalt ist freilich ziemlich sentimental und rührselig. Graf Wallstein stürzt in den Alpen ab und wird vom Schweizerbauern Richard Boll gerettet. Aus Dankbarkeit nimmt er ihn, sein Weib und seine Tochter Emmeline mit nach Deutschland auf seine Güter. Emmeline krankt vor Heimweh. Der Graf läßt ihr Felsen und Alpenhütte bauen. Vergebens. Sie liebt den Schweizer Hirten Jakob. Der kommt, und nun schwindet alles Leid. Die Musik, von Weigl, aber hat, ohne kraftvoll zu sein, doch überraschende Lieblichkeit. Reichardt, der im März 1809 zu Wien der ersten Aufführung beiwohnte, ur- <226:> theilt in seinen Wiener Briefen (2, 35), daß die Musik von Anfang bis zu Ende überaus angenehm und gefällig sei, obgleich ihm das Stück als Gesammtleistung wegen der unschweizerischen Charaktere der handelnden Personen nicht eingehen wollte. Indessen das Publicum war entschieden und enthusiastisch für das Singspiel. Als eine Zugkraft ersten Ranges bewährte es sich auf den meisten Bühnen Deutschlands, ehe es Iffland am 21. November 1810 aufführte. Das Berliner Publicum war an viel geringere Kost gewöhnt, als ihm mit der Schweizerfamilie gereicht wurde. Das bringt Friedrich Schulz’ Bericht wahrheitsgemäß zum Ausdruck.
Vielmehr um die Besetzung der Hauptrolle, der Emmeline, entbrannte der Streit. Zwei Sängerinnen hatte für sie das Theater zur Verfügung: Mslle Herbst und Mslle Schmalz. Die Parthei der Abendblätter setzte sich für die Schmalz ein, Iffland teilte die Rolle der Herbst zu.
Beide Sängerinnen gaben damals Gastrollen in Berlin. Die Herbst war von Dessau gekommen und hatte Iffland’s Gunst für sich. Auguste Schmalz, eine geborene Berlinerin, die Tochter des Kammermusikus und Kantors an der Waisenhauskirche Schmalz, besaß dagegen den Ruf einer erprobten Sängerin. Sie war vom Könige zu ihrer Ausbildung nach Dresden geschickt worden, hatte auf italienischen Bühnen mit Beifall gesungen, und trat nun in Berlin nach sechsjähriger Abwesenheit zuerst wieder am 10. August 1810 in der Rolle der Diana („Der Baum der Diana“) auf. Die Gruppe der Abendblätter nahm alsbald für die Schmalz Parthei. Bei der Wiederholung von Arnim’s Nachtfeier, am 25. August 1810, sang sie z. B. die jetzt eigens für sie vom Dichter eingelegte „Stimme der Königin“. Aber Iffland war, nachdem sie am 5. October 1810, als das letzte ihrer acht Gastspiele, die Rolle der Camilla in Paer’s gleichnamiger Oper <227:> gesungen hatte, nicht geneigt, die Künstlerin für die Berliner Bühne zu engagiren: so griffen denn die Berliner Abendblätter öffentlich ein.
Am 13. October ließ Kleist die erste Drohung an Iffland’s Adresse zu. „Eine hiesige Künstlerin, die sehr geschätzt wird (heißt es anonym unter den „Miscellen“ des 12. Abendblattes), soll, wie man sagt, eben darum das Theater verlassen. Das Nähere hierüber in einem zukünftigen Blatt.“ Man bemerke die Schärfe der Worte „eben darum“ gegen Iffland! Statt der drohend angekündigten Antwort erschien im 15. Abendblatte am 17. October das nicht mißzuverstehende Distichon
An die Nachtigall.
(Als Mammsell Schmalz die Camilla sang.)
Nachtigall, sprich, wo birgst du dich doch, wenn der tobende Herbstwind
Rauscht? – In der Kehle der Schmalz überwintere ich.
Vx.
das von der Tagespresse (z. B. Zeitung für die elegante Welt Nr. 224) aufgegriffen wurde und rund durch das Publicum herumging. Hier wird schon der Gegensatz gegen die Herbst markirt, um deren Verdrängung es sich in der nun ausbrechenden Theaterfehde handelte.
Wiederum kleidete, schon im 16. Abendblatt vom 18. October, die Abendblätter-Parthei ihre Forderungen in die Gestalt einer Stadt- und Theaterneuigkeit: Gewiß sei, daß die berühmte Mammsell Schmalz mit 3200 Thlr. jährlichem Gehalt, vermuthlich für beide Bühnen, hier bei uns engagirt sei. Und bei den ausgezeichneten Beziehungen, die die Abendblätter in die hohen Regionen hinein hatten, konnte sie auch schon am 13. November, in Nr. 38, als „Theaterneuigkeit“ die Einstudirung und bevorstehende Aufführung der Schweizerfamilie melden, die „in Wien, Stuttgart, München, Frankfurt <228:> u. s. w. mit lebhaftem, fast ausschweifendem Beifall“ gegeben worden sei, und wofür die Direction den lebhaftesten Dank verdiene. Also die Abendblätter-Parthei wünschte die Aufführung der Schweizerfamilie, aber sie brachte zugleich ihre Forderung vor, indem sie sich so stellte, als sei sie nicht vollständig informirt: „Wie nun die Rolle der Emmeline (von welcher, als der Hauptfigur, das ganze Glück dieses Stückes abhängt) besetzt werden wird, und ob sie der Mslle Schmalz, wegen des Umfangs und der Gediegenheit ihrer Stimme – wegen Uebung und Gewandtheit im Spiel der Mdm. Müller, aber wegen der glücklichen Verbindung beider der Mdm. Eunicke (welches wohl das Zweckmäßigste wäre) zufallen wird, steht dahin; in Wien ist sie der Mslle Milder übertragen, eine der tüchtigsten, von Seiten der musikalischen sowohl als mimischen Kunst, trefflichsten Schauspielerinnen, die Deutschland in diesem Augenblicke besitzt.“ Die Notiz ist rz unterzeichnet, dem Stile nach schwerlich von Kleist: sie sprach aber die Stimmung des gesammten Kreises aus.
Daß die Tendenz dieser „Theaterneuigkeit“ in dem lag, was zwischen den Zeilen stand, und daß es sich um den verabredeten Plan einer wohlinformirten Mehrheit handelte, beweist eine Notiz der Spenerschen Zeitung vom 17. November, in Nr. 138. Die Spenersche Zeitung galt in amtlich maßgebenden Kreisen niemals als ganz sicher, sie machte ab und zu ihre Seitensprünge. Sie öffnete ihre Spalten oftmals denjenigen Schichten, welchen die Vossische Zeitung, in einseitiger Partheistarrheit, verschlossen war. Sie brachte also folgende, nur scheinbar auf besserer Information beruhende Antwort: „Dem unbekannten in dem Abendblatt Nr. 38 aufgetretenen Freund des Singspiels: die Schweizerfamilie von dem Herrn Kapellmeister Weigl, geben wir hiermit zur Nachricht, daß die Rolle der Emmeline weder der Mslle Schmalz, noch der Mad. Müller, <229:> noch der Mad. Eunicke, für welche sie allerdings ganz vorzüglich geeignet schien, zugetheilt ist; dieselbe ist der Mslle Herbst – übertragen worden.“ Und um sich noch einen rechten Spaß dabei zu machen, war die Schein-Antwort mit der Ueberschrift „Königliches National-Theater“ versehen worden, als ob dieses sie in die Zeitung gegeben hätte, eine zweifellose Absichtlichkeit, die die Spenersche Zeitung in der nächsten Nummer für ein Setzer-Versehen erklärte.
Am 21. November 1810 ging denn auch die Schweizerfamilie, mit Mslle Herbst als Emmeline, in Scene. Die Stimmung war gespannt. Es kam gleich zu störenden Auftritten. Hören wir den ungedruckten Polizeibericht Gruner’s an den König, mit der sichtlichen Tendenz, die Sache nicht aufzubauschen: „Im Schauspielhause, wo man gestern Abend eine Cabale gegen Demoiselle Herbst erwartete, ging alles ruhig ab. Sie wurde herausgerufen und beklatscht. Nur wenige pochten bei ihrem Auftreten.“ Der eigentliche Accent liegt natürlich auf dem ersten und letzten Satze, das übrige steht abschwächend dazwischen. Hält man diese Vorgänge im Auge, so nimmt sich doch vielleicht Friedrich Schulz’ oben angeführter Theaterbericht über die Schweizerfamilie anders aus, als er auf den ersten Blick erscheinen möchte. Man bemerkt, wie in für Eingeweihte allerdings noch verständlichen Worten von der Opposition gegen das Singspiel und von der nicht völlig genügenden Leistung der Herbst gesprochen wird.
Ueber das, was nun folgte, befinden sich auf dem Geheimen Staats-Archiv die Acten, auf denen ich fuße. Sie zeigen uns als die Mitte der Campagne gegen die Herbst den Major von Möllendorff.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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