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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 271-275

6. Brief eines jungen Dichters an einen jungen Maler.


Aber noch nach einer anderen Seite hin richtete Kleist in den Abendblättern seine Angriffe gegen die Kunstakademie, <272:> indem er am 5. November 1810 in Nr. 32 seinen „Brief eines jungen Dichters an einen jungen Maler“ publicirte. Diese Angriffe galten dem akademischen Lehrbetrieb überhaupt, der aus seinem schwunglosen Dasein herauszureißen und mit höheren Ideen zu durchdringen sei.
Prüft man, wieder an der Hand des Kataloges von 1810, die von Lehrern und Schülern der Berliner Akademie ausgestellten Bilder auf ihre Herkunft hin, so nimmt man mit Erstaunen wahr, wie groß die Masse der Copien oder der Arbeiten nach älteren Meistern ist. Ein Mitglied des Senats und Lehrer der Akademie, Professor Freidhof, hatte „nach Raphael“ eine heilige Familie, sowie „nach Correggio“ einen Christus mit Dornen gekrönt und eine heilige Magdalena ausgestellt, ohne auch nur mit einem einzigen Werke eigener Erfindung aufzutreten. Bei den ausgestellten Arbeiten der Schüler und Eleven der Akademie grassirt geradezu die Nachahmung italienischer und deutscher Meister, selten der Antike. Die Schuld an diesem unerfreulichen Zustande trug der Unterrichtsbetrieb der Kunstakademie, und dagegen wandten sich die Freunde vom Berliner Abendblatt. Sie verlangten anstatt geistloser Nachahmung eigene künstlerische Erfindung, das freie Spiel einer schöpferischen Phantasie. Es müssen diese Dinge offen bereits unter Künstlern und Kunstfreunden discutirt worden sein; sonst hätten die wenigen Aussteller, die die eigene Erfindung der Nachahmung gegenüber hoch hielten, nicht geflissentlich darauf Werth gelegt, daß dieser Vermerk im Ausstellungskatalog ihren Bildern zugefügt wurde. Aber was offen im Gespräch zu Tage trat, wurde deswegen noch lange nicht öffentlich in der Presse laut: Leben und Presse deckt sich eben nicht. Es gehörte Kleist’s junkerliche Courage dazu, sich unbesorgt um die Folgen auch in den Kampf für die Kunst zu stürzen. <273:>
Die Berliner Abendblätter setzten, indem sie diesen Kampf einleiteten, wieder die Traditionen des Phöbus fort. Hartmann hatte sich in ihnen sehr energisch gegen das Verlangen erklärt, die Landschaftsmaler sollten sich in alle Zeit Claude Lorrain und Ruisdael zum Muster nehmen, und Kügelgen meinte mit Recht, daß, wenn dieser Grundsatz gelte, niemals ein Fortschritt in der Kunst gethan werden könnte. Dieselbe Polemik war von vornherein latent auch in den Abendblättern vorhanden. Beckedorff führte als gewichtiges Argument gegen die Bilder des jungen Schadow an, daß es nicht schwer werden dürfte, die verschiedenen niederländischen Meister zu nennen, die ihm vorgeschwebt haben müßten, und gerade um ihrer eigenen Erfindung willen erhielten der junge Ludewig und Friedrich Büry das Lob, sich durch ihre freien Schöpfungen zum Range älterer Meister zu erheben. Kleist selber bezeichnete, im Briefe des Vaters an seinen Sohn, die „Schule“ als Verderb für den, der an ihr klebe, während er Friedrich allen Einwürfen zum Trotz nachrühmte, er habe auf seinem Gebiete eine neue Bahn gebrochen. Jetzt also führte Kleist den lange bedachten Gedanken in einem eigenen Artikel aus: dem Briefe eines jungen Dichters an einen jungen Maler.
Als den jungen Dichter können wir uns Kleist selber denken, dessen einziges höchstes Kunstbemühen war, in seinem poetischen Schaffen Er selbst und kein Anderer zu sein: bezeugt doch Arnim aus freundschaftlichem Verkehr mit ihm, daß er keine Schule anerkannte, und nur in seltenen Fällen dem Hergebrachten und dem Urtheile seiner Kunstfreunde nachgab. Ein Kleist durfte in der That die Forderung originalen Schaffens auch anderen gegenüber verfechten. „Wie könnt ihr euch entschließen, ihr lieben Maler (ruft er den jungen Schülern der Akademie zu), Jahre lang zuzubringen mit dem Geschäft, die Werke eurer großen Meister zu copiren.“ <274:> Die Entschuldigung der Schüler macht er zu einer Anklage gegen ihre Lehrer: „Die Lehrer, bei denen ihr in die Schule geht, sagt ihr, leiden nicht, daß ihr eure Einbildungen, ehe die Zeit gekommen ist, auf die Leinwand bringt“ – und er sucht die jungen Maler gegen diese schlechte Lehre zu revolutioniren. Er als Dichter würde in ihrem Falle seinen Rücken lieber unendlichen Schlägen ausgesetzt haben, als diesem grausamen Verbot ein Genüge zu thun. Die Phantasie in ihren jungen Gemüthern müsse, unerbittlich und unrettbar, durch die endlose Unterthänigkeit, zu welcher sie sich beim Copiren in Gallerien und Sälen verdammten, zu Grunde gehen: wo doch ein Anschauen der Vortrefflichkeit eines Bildes mit Innigkeit und Liebe vollauf genüge. Kleist’s Meinung von dem erzieherischen Werthe älterer großer Meister ist eine ganz andere, wie er sie nun darlegt. Der Anfänger mag an Vorbildern durch Copiren sich die Fertigkeit der malerischen Schrift einlernen; sogleich aber, vom Anfang herein, in ihrem Geiste nacherfinden. Und auch diese Fertigkeit müßte, sobald als nur irgend möglich, gegen die Kunst selbst, deren wesentliches Stück die Erfindung nach eigenthümlichen Gesetzen sei, an den Nagel gehängt werden. Denn der Maler solle sein Eigenstes und Innerstes durch Umriß und Farbe zur Anschauung bringen. Die herrlichen Geister vergangener Zeiten wären nicht dazu da, das eigene Streben der Lebendigen zu vernichten, sondern allererst die rechte Lust in den Lebenden zu erwecken und mit der Kraft, heiter und tüchtig, auszurüsten, auf ihre eigene Weise gleichfalls zu sein und das Ihrige zu thun. Den Gipfel der Kunst ersteige nicht, wer blos rückwärts auf die Großen schaue, sondern wer mit dem Rücken sich gegen sie stelle und in diametral-entgegengesetzter Richtung seinen eigenen Weg aufwärts verfolge. In allen Stücken zugleich eine Selbstcharakteristik Kleist’s, wie wir sonst nichts Aehn- <275:> liches von ihm besitzen: so stand er selbst mit dem Rücken gegen Goethe, weil er ihn als den Großen anerkannte, und hielt sein Auge vorwärts auf das höchste, unerreichte Ziel gerichtet. Allein er wußte wohl, was den Schwung des Geistes irdisch lähmt, die faule Macht des Mäßigen. „Aber ihr Leute (setzt Kleist mit bitterer Ironie hinzu), ihr bildet euch ein, ihr müßtet durch eure Meister, den Raphael oder Correggio, oder wen ihr euch sonst zum Vorbild gesetzt habt, hindurch“ – und wir bemerken, wie er, für Eingeweihte allein erkennbar, auf Freidhof mit seinen ausgestellten Nachahmungen und auf das ganze jeder Neuerung erstorbene Lehrsystem der Akademie mit dem Finger deutet; der er freilich jetzt ebenso vergeblich predige, wie Copernicus der Welt vor dreihundert Jahren, daß die Erde rund sei.
Man stelle sich vor, wie Kleist’s offener Brief eingeschlagen haben muß. Kleist war frei von Journalistenfurcht und Journalistenfeigheit. Sein fröhlicher Kampfesmuth bedachte nichts, als er sich die altbegründete Macht der Akademie zur Gegnerin ersah. Er that das Seinge im Dienste der Idee. Er durfte sich im Einklang wissen mit den besten Kräften seiner Zeit, ja aller Zeiten. Hier treffen wir erfreut den Punkt, wo sich, kritisch scheidender Erörterung zum Trotz, die Kunstforderungen der Romantiker mit denen Goethe’s in ihrer letzten Idee wieder zusammenfinden. In des Künstlers Apotheose, in den Propyläen und den Preisausschreiben dieselbe Verwerfung der bloßen Nachahmung, dieselbe Beförderung der eigenen, selbstschaffenden Erfindung als desjenigen, das den wahren Künstler mache. Wenn Goethe, die Kunstübung in Deutschland überschauend, nicht zu lange vorher hatte bemerken müssen, daß in der Berliner Kunst der prosaische Zeitgeist sich am meisten offenbare, nun so hat Kleist, gleichgültig ob siegreich oder unterliegend, einen goethischen Kampf gegen die officielle Berliner Kunst gekämpft.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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