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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 379f.

25. Zwei Musikeranekdoten (über Bach und Gluck).


Die erste, über Bach, steht anonym im 21. Abendblatt vom 24. October 1811, und ist nur ein einziger Satz echt kleistischen Aufbaues:

Anekdote.
Bach, als seine Frau starb, sollte zum Begräbniß Anstalten machen. Der arme Mann war aber gewohnt, Alles durch seine Frau besorgen zu lassen; dergestalt, daß da ein alter Bekannter kam, und ihm für Trauerflor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er unter stillen Thränen, den Kopf auf den Tisch gestützt, antwortete: „sagt’s meiner Frau.“ –
Die andere Anekdote betrifft Gluck’s Iphigenia, für die, als sie in Berlin gegeben wurde, Arnim enthusiastisch sich in den Abendblättern erklärte (oben S. 212). Sie steht anonym im 18. Abendblatt des zweiten Quartals, vom 22. Jan. 1811: <380:>

Anekdote.
Als Glucks Iphigenia, die jetzt alles entzückt und hinreißt, in Paris zum ersten Male aufgeführt wurde, fiel sie, gleich dem Machwerk des untersten der Midasenkel. „Ach Iphigenia ist gefallen!“ sagte Gluck voll Verzweiflung zu einem Freunde. – „Ja, vom Himmel!“ antwortete dieser; und ein wahreres Wort wurde nie ausgesprochen.
Auch sie scheint Kleistische Diction zu haben. Woher solche Anekdoten stammen konnten, dafür will ich eine Möglichkeit andeuten. Reichardt hielt sich damals in Berlin auf. In seinen vertrauten Briefen aus Wien (1810. 2, 215) lesen wir, daß er damals ein Leben Gluck’s zu schreiben plante, zu dem er in Wien und Prag Anekdoten gesammelt habe. Diese Anekdoten wird Reichardt seinen Berliner Freunden nicht vorenthalten haben. Ich bin jedoch davon entfernt, zu behaupten, daß Kleist aus Reichardt’s Munde die Musikeranekdoten empfangen haben müßte.

Ich endige hiermit meine den Anekdoten gewidmete Betrachtung. Ausgeschlossen habe ich aber die sehr beträchtliche Zahl derjenigen Anekdoten, welche sich mir, nachdem ich in damaligen Zeitungen und Journalen die Urstelle gefunden, als blos von Kleist übernommen auswiesen; namentlich im zweiten Vierteljahrsgange der Abendblätter ist dies der Fall. Was darüber zu sagen wäre, muß einem anderen Ort und einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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