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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 612-623

2. Der Philister vor, in und nach der Geschichte.


Diese Abhandlung ist ein scherzhaft-ernstes Schriftstück Clemens Brentano’s, das in der Märzsitzung 1811 an der Tafel der christlich-deutschen Tischgesellschaft vorgelesen wurde. <613:> Es errang sich durch seinen Witz, durch das Spiel unaufhörlicher Anzüglichkeiten, die man leicht verstand, und durch die sprudelnde Masse immer neu erscheinender Gedankenblitze den froh gespendeten Beifall der Tischgesellschaft. Man begehrte diese Philisterabhandlung zu besitzen. Ein armer Schlucker, welcher für jede Abschrift einen Thaler Courant erhalten sollte, wurde beauftragt sie zu vervielfältigen. Schließlich aber ließ man 200 Exemplare bei Decker drucken und in der Wittig’schen Handlung, in der Jägerstraße, feil halten. So kamen, ungehindert, Exemplare in die Hände der Gegner.
Die Philisterabhandlung ist nicht ganz ein neues Berliner Pruduct Brentano’s. Aufzeichnungen Ludwig Tieck’s verbürgen uns, daß Brentano schon 1799 im Schlegel-Tieck’schen Kreise zu Jena seine „Naturgeschichte des Philisters“ vorgelesen habe. Man würde, fehlte das Zeugniß, die Thatsache früherer Conception sogar erschließen können. Die Uebereinstimmung zwischen der Satire des von Brentano um 1800 verfaßten Romanes Godwi und dem Philister von 1811 macht sich jedem, der beide Werke liest, bemerkbar. Ich zeichne beispielshalber zwei Puncte aus: das Dictum über die Optik und den famosen Ausspruch, was eine ordentliche Frau am gesundesten erhalte. Natürlich war die Jenenser Naturgeschichte des Philisters eine Fortspinnung der Kämpfe, die Goethe’s und Schiller’s Xenien gegen Aufklärung und Unfähigkeit eröffnet hatten, und die, recht nach dem Herzen der jüngeren Talente, durch die ganze Romantik hindurch nachwirkten. Einzelne Gedanken aus der Naturgeschichte des Philisters verwerthete Brentano öffentlich zuerst in seiner und Görres’ Heidelberger Satire vom Uhrmacher Bogs, 1806. Die Einsiedlerzeitung lief zuletzt gänzlich in ein Kampforgan gegen das „Philisterthum“ aus. In den Anfängen standen die Heidelberger Jahrbücher ebenso. Und wie die Berliner Romantik von Heidel- <614:> berg her belebt worden war, so trat nun auch, 1811, der Jenaisch-Heidelbergische Philisterstoff in die politisch scharf anblasende Luft der Berliner Romantik hinüber. Die ehemalige „Naturgeschichte des Philisters“ wurde der Rückgrat der Berliner Philisterabhandlung, der die neuen politischen Zuwüchse zu tragen hätte. Im Ganzen ist die „Naturgeschichte“ das, was wir jetzt in den drei Capiteln über den Philister vor, in, nach der Geschichte lesen. Ich versuche, die 1811 in Berlin angesetzten Theile zu erkennen.
Neu ist jetzt alle Satire auf die Juden, die durch die exclusiven Satzungen der christlich-deutschen Tischgesellschaft gefordert wurde. Diese Satire sticht in jener Zeit nicht so grell wie heute hervor. Ich bin oft erstaunt gewesen zu bemerken, in welcher Masse in damaligen Zeitungen, Unterhaltungsblättern, Anekdotensammlungen &c. satirische Scherze über Juden hervortreten, und ganz unbefangen neben ernstlichen Erwägungen über die bürgerliche Lage der Juden, ja neben übertriebenen Forderungen für dieselbe stehen. Selbst in Karl’s Hindernissen, an denen doch Varnhagen als Autor mitbetheiligt war, ja sogar im Käthchen von Heilbronn kann man solche Späße finden. Im Durchschnitt war man nicht so sehr empfindlich darüber. Einzelne freilich mochten um so leidenschaftlicher empfinden. Brentano thut nun in der Philisterei einen neuen Schritt. Während bis dahin das Philisterthum ganz allgemein als der Gegensatz alles höheren geistigen Lebens galt, spaltet er es jetzt in seine zwei auseinander getriebenen Pole, die Juden und die Philister. Nun aber sei, in der Geschichte, das Judenthum der Hort und Simson der Träger der hohen göttlichen Gedanken, die das Philisterthum bestreite. Daher trennt Brentano das ältere von dem neueren Judenthume ab, genau wie Adam Müller in den Elementen der Staatskunst diese Trennung vollzieht. Beide, Müller und <615:> Brentano, lassen das jüdische Volk von der ehemals lebendigen „Idee“ seiner Mission zum erstarrten „Begriff“, zur Materie gleichsam, herabsinken, wofür der Fluch der Volks- und Staatslosigkeit es getroffen habe. Von den Juden, sagt Brentano, daß sie nur noch civiliter, von den Philistern, daß sie nur noch moraliter existirten. Der Ausdruck civiliter spielt auf die damals beginnende „bürgerliche“ Emancipation der Juden an, von der die Kreise der christlich-deutschen Tischgesellschaft nichts wissen wollten. Was Brentano scherzhaft den Juden aufmuzt, ihr Handel in den Kammern mit alten Kleidern, mit Theaterzetteln und ästhetischem Geschwätz an den Theetischen, mit Pfandbriefen auf der Börse, und überall mit Humanität und Aufklärung, hat allein Berliner, nicht Heidelberger oder Jenenser Farbe. Will man die gegenseitigen Verstimmungen, wie sie sich herausbildeten, ohne Verschleierung der Wahrheit historisch begreifen, so ist der Hauptaccent auf die Verspottung der jüdischen Salons zu legen. Brentano that hier ausgelassen dasselbe, wie Adam Müller und Kleist in den Abendblättern. Mit dem Geistigen ging das Gesellschaftliche Hand in Hand. Daraus entspringen auf der ganzen jüdischen Linie, am wenigsten bei Rahel, immer schärfer bei Varnhagen, Robert, Hitzig, Itzig, Saul Ascher u. a. die Gegenbewegungen, die da am zerrüttendsten wirkten, wo doch gesellschaftliche Begegnungen nicht vermieden wurden.
Aber auch der echte alte Philister hat neuen Berliner Zuschnitt erhalten. Die Berliner Philistergesinnung, der sich die Kleistische Gruppe entgegenstemmte, wird in folgenden Sätzen dargestellt: „Sie unterhalten sich besonders gerne vom Vaterland und Patriotismus, wenn man sie aber genauer fragt, warum sie ihr Vaterland lieben, so fangen sie an sich selbst darüber zu wundern … Sie gehen ewig damit um, <616:> alles, was ihr Vaterland zu einem bestimmten individuellen Lande macht, zu vernichten … Sie vernichten, wo sie können alle Sitten und Herkömmlichkeiten, sie brechen die Wappen und Schilder der Zeiten, und werfen sie denjenigen vor die Füße, denen sie die Geschichte gegeben (hat) … Alles, was kein Geschick, was der Tod selbst nicht raubet, die hieroglyphischen Fußstapfen, in welche die Geschlechter ihren Nachkommen, den Baum der Liebe und Treue zu dem Flecke des Landes, den sie bewohnen, vererben, wetzen sie aus, damit bald kein Philister mehr wisse, wo er zu Hause ist.“ Wie blitzen da nicht die oppositionellen Vorwürfe der Abendblätter-Parthei gegen Hardenberg hervor! Die Anspielungen wagen sich deutlich bis in seine gehaßte Umgebung vor: z. B. die Anspielung auf Cölln’s Feuerbrände, oder die auf Hoffmann’s Quinenlotterie (die Philister „träumen überhaupt gar nicht, oder höchstens Lotterienummern, die nicht herauskommen“). Das Stärkste aber leistet der Satz: „überhaupt ist Staatsklugheit mit Niederträchtigkeit verbunden ein Hauptzug aller Philister“. Kein Hörer oder Leser war sich damals auch nur einen Augenblick im Zweifel darüber, welches Portrait hinter diesen dünnen Schleier gestellt sei.
Auf drei Gebieten führte Brentano die Polemik im Sinne der Abendblätter weiter: in der Frage des Purismus, des Theaters und der öffentlichen Sittlichkeit.
Es ist zufällig, daß die Abendblätter kein Wort gegen die damals aufkommende Sprachreinigung sagen: zufällig deswegen, weil der Dresdener Phöbus seine feste Stellung in der Frage eingenommen hatte. Denn im Märzheft des Jahres 1808 war, aus Adam Müller’s Feder, der Wahn bekämpft worden, als entstünde Schönheit der Sprache aus dem Einmauern und Ausfegen eines gewissen Sprachbezirks: „Laßt doch (ruft Müller) die fremden Worte herein, wenn sie das lebendige <617:> Schönheitsgesetz der deutschen Sprache annehmen.“ In Dresden saß damals ja C. H. Wolke, der schlimmste Sprach- und Schriftverbesserer. Eben wieder im Herbste 1810 hatte er im Gothaischen Reichsanzeiger (Nr. 179) einen die Runde durch alle deutschen Zeitungen machenden Aufsatz geschrieben: „Wi können di Deutschschreibenden zentausend Jare und fünf bis sechs Millionen Taler, die bis jetso in jedem Jare verloren gehn, ersparen?“ Radlof’s puristische Wunderlichkeiten hatte Brentano in Heidelberg zur Genüge gekostet, und jetzt sah er in Berlin, daß hier die Bewegung, genährt durch Leute wie Zeune, Jahn, Heinsius, bedenklich um sich griff. Er ließ also, ihnen zum Hohne, in seiner Abhandlung einen solchen Berliner „Sprach-Philister“ auftreten. „Mir ist (schreibt er) neulich einer in der Allee begegnet, und als ich ihn fragte, wo er hinspazierte, sagte er: „Ich lustwandle nicht, sondern gehe die Wandelbahn hinab, weil ich ein Stelldichein mit einer gattentodten Frau hier habe, mit der ich in die Zusammenstimmung gehe.“ Ich sagte zu ihm: „Sie wollen wohl die Wittwe durch das Concert in ihrer Melancholie trösten, durch Trompeten-, Violin- und Flöten-Getön?“ „Ja.“ erwiederte er, „ich sprach heute Morgen zu ihr die Worte Voßens: „Zeuch aus den Flausrock deiner Drangsal, und putze dich und eile flugs dorthin, wo bald den hellen Klangsaal durchströmt Erz und Darm und Bux.“ Hierauf fragte ich ihn, ob er musikalisch sei. „Ja,“ sagte er, „ich bin etwas kunstschallend.“ „Was spielen Sie für ein Instrument?“ – „Die Schallwerkzeuge, die ich spiele, sind viele: ich blase etwas auf dem Erzschallrohr, und zur Abwechselung auf dem Tiefknüppel, auch blase ich Hochholz und Hellholz, streiche auf der Hals- und Kniegeige, und schlage das Tasten-Hackebrett – das ist alles, was man verlangen kann von einem Dilettanten – ja, ich bin aber auch ein großer Vergnügling.“ Und so <618:> weiter. Gewiß ist niemals eine lustigere Satire auf unhistorisches Neubilden von Wörtern geschrieben worden\*\.
Gehaltvoll und würdig sind Brentano’s Ausführungen über das Theater. Wir erinnern uns, daß in der Folge des Skandals um die Schweizerfamilie den Berliner Abendblättern die Thaterkritik gesperrt wurde, und daß Arnim eine Gelegenheit wahrnahm, Iffland seine und seiner Freunde Wünsche vorzuhalten: ohne daß sich jedoch das Geringste geändert hätte. Brentano knüpfte also im Philister an der Stelle an, wo seine Freunde abgebrochen hatten. Nirgendwo trete die Philisterei der modernen Zeiten mehr zu Tage, als im Theater. Es trage allen Ekel, alle Krankheit, alle Schande, alle Armuth der Geschichte an sich. Kein Volk könne ein treffliches Theater haben, ohne selbst auf der schönsten Höhe seiner historischen Entwickelung zu stehen. Dann werde sich das Theater als freie Kunst entfalten. Das sei Philistergesinnung, mit dem gegenwärtigen kümmerlichen Zustande des Theaters vollkommen zufrieden zu sein. Wir empfinden, wie Brentano, absichtlich die Namen vermeidend, Iffland’s Bühne und die Berliner Theaterkritik im Auge hat.
„Für die Schauspielkunst aber kann man viel thun durch das, was man Schule nennt“, erklärt Brentano, und nun stellt er Goethe als das einzige leuchtende Beispiel hin: „Die Nothwendigkeit der Schule, wo die Zeit an freier Kunst unfruchtbar geworden, hat Goethe wohl gefühlt, und wie viele Schauspieler und Schauspielerinnen verdanken seinem redlichen <619:> Willen das Glück, daß sie, wo nicht als große Künstler, doch als anständige Menschen die Werke der Dichter, wo nicht emporheben, doch tragen, wo nicht opfern, doch kredenzen können, und der verständige Theil der Nation bringt ihm auch hierin seinen herzlichen Dank, er hat hier auch, wie überall, ruhig, einsichtsvoll und redlich nach bestem Gewissen und Vermögen für seine Zeit gearbeitet.“ Man sieht, Brentano, in dessen Worte die bei seiner letzten Begegnung mit Goethe, 1809 in Jena, empfangenen Eindrücke die eigentliche Stimmung hineintragen, lobt Goethe’s Theaterleitung nicht um jeden Preis, er macht sogar seine principiellen Vorbehalte. Aber indem er doch Goethe wieder als den Einzigen hinstellt, läßt er Iffland verschwinden, als ob er und seine Berliner Theaterleitung künstlerisch überhaupt nicht in Betracht zu kommen habe, und die ganze Wucht dieser vernichtenden Kritik fällt unausgesprochen auf Iffland nieder. Jedes Wort Brentano’s ist mit der sorgsamsten Berechnung ausgewählt. Jeder Satz, positiv ein Lob Goethe’s, wird, nur mit der Negation versehen, ein Tadel Iffland’s. Iffland übte keine Schule, er erzog sich keine Schauspieler, er arbeitete nicht in dem großen, die Gegenwart in die Zukunft verknüpfenden Sinne Goethe’s. So sprach Brentano, rein und scharf, das Urtheil seiner Freunde über das Berliner Theater aus.
Mit diesem Urtheil stelle ich das gleichzeitige Wilhelm Schlegel’s in den Vorlesungen über dramatische Kunst &c. (1811. 2, 420) zusammen. Die Schauspielergesellschaften, sagt Schlegel, sollten unter der Aufsicht von einsichtsvollen Kennern und Ausübern der dramatischen Kunst stehen, die nicht selbst Schauspieler wären. Unter Engel habe sich das Berliner Theater zu einer ungewöhnlichen Höhe erhoben: d. h. natürlich unter Iffland nicht. „Was Göthe durch seine Leitung des Weimarischen Theaters in einer kleinen Stadt und mit geringen <620:> Mitteln leistet, wissen alle Kenner … er gewöhnt die Schauspieler an Ordnung und Schule … und giebt dadurch seinen Vorstellungen oft eine Einheit und Harmonie, die man auf größeren Theatern vermißt, wo jeder spielt, wie es ihm eben einfällt.“ Unabhängig also Schlegel, wie Brentano in der Philisterabhandlung.
Die dritte, die Opposition der Abendblätter fortsetzende Stelle handelt von der öffentlichen Sittlichkeit. Will man sich von den Dingen, die hier zu sagen wären, eine Vorstellung machen, so muß man die mit burlesker Satire geschriebenen Schriften Julius von Voß’ lesen, namentlich die beiden Bände des 1810 erschienenen „Berlinischen Robinson, eines jüdischen Bastards abentheuerliche Selbstbiographie“. Die demoralisirende Wirkung öffentlicher Häuser tritt uns darin mit grausiger Deutlichkeit entgegen. Die neue Regierung, die mit kleinen Mitteln der öffentlichen Sittlichkeit aufzuhelfen suchte, indem sie den behördlichen Apparat spielen ließ, um in gegebenen Fällen gesetzmäßige Ehen zu stiften – worüber ich Verfügungen und Cabinets-Ordres genug gelesen habe – that nach der Meinung der Abendblatt-Parthei nicht den entscheidenden Schritt, nämlich die öffentlichen Häuser Berlins aufzuheben. Diesen Schritt forderte ein Artikel Arnim’s, den in die Abendblätter aufzunehmen, Kleist jedoch von der Censur verhindert wurde. In Brentano’s Philisterabhandlung aber wird, wo von Simson’s Aufenthalt bei der Buhlerin in Gaza die Rede war, abschweifend fortgefahren: „sie scheint also eine anerkannte Dirne der Philister gewesen zu sein, bei der man mit schändlicher Bequemlichkeit der Liebe pflegen konnte, und ich nenne dergleichen Philisterei, weil der herrlichste Trieb im Menschen ohne Leidenschaft, ohne Heiligung durch den Priester, oder ohne Heiligung durch Kühnheit, Abentheuer und Gefahr ekelhaft und bequem befriedigt, eine Philisterei ist, und die Anerkennung, <621:> der Schutz solcher Sünderinnen nur durch eine Philistergesinnung in einem Staate kann eingeführt werden; ja, ich halte selbst Verführung, bei welcher doch eine Thätigkeit und Nothzucht, bei welcher doch ein Sündengefühl und eine innere Rache erzeugt wird, für weniger in der Totalität der Folgen schrecklich, als diesen Huren-Indult der Philisterei.“ Es ist klar, daß alle diese „Philister“-Verbrämung, als dem ursprünglichen Artikel Arnim’s fremd, erst von Brentano, zur Einfügung in seinen Philister, angebracht worden ist. Im übrigen aber haben wir echte Sätze und Gesinnung Arnim’s, in der goldnen Reinheit, die er sich bewahrt hatte. Man lese, wie – zu gleicher Zeit – Cardenio in „Halle und Jerusalem“ (2. Aufzug) über die Liebe spricht. Und damit dieser allgemeinen Construction des Zusammenhanges von Kleist’s Abendblättern und Brentano’s Philister auch die äußere Beglaubigung nicht fehle, theile ich aus einem ungedruckten Briefe Arnim’s an Jacob Grimm (14. Juli 1811) eine Stelle mit, die bezeugt: „daß die Aeußerungen gegen die Hurerei in der Philisterabhandlung aus einem Aufsatze von ihm entlehnt seien, dem die hiesige (Berliner) Censur den Abdruck untersagte, weil er Staatseinrichtungen angegriffen“.
Wenn ich vom Politischen zum Persönlichen noch zurücklenke: wir erkannten Müller’schen Stil und Arnim’sche Sätze in Brentano’s Abhandlung. Dies war etwas Gewöhnliches unter den Freunden. Als Arnim und Brentano und Wilhelm Grimm 1809 in Berlin gemeinsam die Heidelbergische Voranzeige der Altdänischen Heldenlieder schrieben, war es ihr Nebenspaß gewesen, darin allerlei Stile lustig nachzuahmen. So ahmt Brentano jetzt auch Kleist nach. Ich bitte, sich Kleist’s „Neujahrswunsch“ (oben S. 578) zu vergegenwärtigen und dann die folgenden recapitulirenden Sätze Brentano’s zu vergleichen: „Die Philister als Volk habe ich nun in der <622:> zweiten Periode … nicht ohne selbst eigene Gefahr bis in die Festung Asbod auf einer musterhaften Retirade geführt, sie dort eine neun und zwanzigjährige Belagerung aushalten lassen, und dann das persönliche Gewehr strecken, die Fahnen der Namhaftigkeit ablegen und sie endlich auf dem Glacis, welches die Außenwerke der befestigten Innerlichkeit von dem Ocean der weiten Welt trennt, auseinander laufen lassen.“ So sehen wir denn die vier Freunde, nicht blos leiblich an der Tafel der christlich-deutschen Tischgesellschaft, sondern auch geistig in der Philisterabhandlung, sich mit einander gütlich thun.
Es ist heute gar nicht mehr möglich, alle kleinen persönlichen Späße, auf denen die Wirkung der Abhandlung an der Tafel selbst mit beruhte, beweissicher zu erkennen und zur Darstellung zu bringen. Wahrscheinlich weicht auch unsre Druckgestalt von der mündlich-handschriftlichen ab. Z. B. war es Brentano’s Absicht (nach ungedruckter Quelle) Reichardt’s „Caviarhistorie, Kniedrücken, Faßausfressen, Lichterputzen“ in die erste Niederschrift einzuarbeiten, Dinge die der Druckgestalt aber fehlen. Jedenfalls erntete Brentano, bei der Vorlesung, den ungemessenen Beifall der Tischgenossen. Die Pränumeranten und Subscribenten auf den Philister finde ich auf einem Nachlaßblatte verzeichnet, es sind: Pr. Radzivil, Pr. Lichnowski, Schönburg, Graf Arnim, v. Roeder I, v. Arnim, Beckedorff, Reimer, Eckard, Dr. Lichtenstein, v. Möllendorff, Dr. Flemming, Otto, Alberti, v. Voß, Hermensdorf, Reichardt, Grapengießer, Roeder II, v. Raumer, Graf Ingenheim, Genelli, Beuth, Gr. Bombelles, v. Zschock, v. Gerlach, v. Clausewitz, v. Voß, Goeschen, v. d. Reck, GhR. Wolf, Iffland, v. Hymmen, v. d. Kettenburg, Graf Chasot, Savigny, Major Tiedemann, Major Hedemann, Cap. Bardeleben, Cap. Horn, Prof. Schleiermacher, Buchh. Fink, v. Dewitz, Prof. Weiß, v. Pfuel, Dr. Meyer, v. Koenen, Siebmann, Grell, Wollank, <623:> Graf v. Dohna, Schinkel, Bernhardi, Laroche, G. O. M. Rth. Kohlrausch, H. v. Quast, v. Hacke, v. Dalwigk, Wolfart, Adam Müller, Pistor, v. Bülow, v. Eichhorn, Vogel, v. Perlitz, Fichte, Wißmann, Staegemann, Schulz, L. A. v. Arnim, v. Rabbart.
Im ganzen also 70 Namen, deren zufällige Schreibung auf dem Blatte ich hier absichtlich beibehalte. Nur ganz Weniges sei zu den Namen bemerkt. Es fällt auf die Unterschrift Iffland’s: ein Zeichen seiner persönlichen Schwäche. Raumer ist nicht Friedrich, sondern Karl von Raumer. Graf Bombelles von dem in Schlesien angesessenen Adel. Es fehlt Kleist’s Name: das Exemplar kostete einen Thaler!

\*\ Die Worte Vossens, eine vierzeilige Strophe, entstammen der „Schwergereimten Ode“ (J. H. Voß Sämmtliche Gedichte 1802. 6, 102). Dieselbe Stelle hatte Görres 1808 in seine Voß verspottende Satire „Des Dichters Krönung“ eingefügt. (Beilage zur Zeitung für Einsiedler Sp. 35.) Das bei Görres wie Brentano falsche „durchströmt“, anstatt des richtigen „durchtönet“, stört den Rhythmus.

Emendation
(14. Juli 1811)] 14. Juli 1811) D

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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