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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 632-639

5. Ueberfall auf Achim von Arnim.


Die Jenensische Anfeindung würde belanglos sein, wäre sie nicht eine Begleit- oder Folgeerscheinung von Vorgängen, die im Sommer 1811 in Berlin sich abspielten und alle Welt eine Zeitlang unterhielten. Es handelt sich um den thätlichen Ueberfall Moritz Itzig’s auf Arnim.
Bekanntlich hat Varnhagen, der, damals 1811 in Prag, keine eigene Kenntniß des Vorgefallenen hatte, den Dingen eine Darstellung gegeben, die derartig ist, daß er nicht wagte sie selbst zu veröffentlichen, aber Vorsorge zum Druck nach seinem Tode traf. Sie steht in Varnhagen’s Ausgewählten Schriften (1875. 18, 112). Varnhagen verfügte über doppeltes Quellmaterial: erstens über die ihm von Bettina vertrauensselig überlassenen Correspondenzen ihres Gatten und Bruders, zu denen er, unter Bruch des Vertrauens, in aller Stille die <633:> Gegengewichte schaffen wollte, und zweitens über die Acten des in der Sache vor dem Kammergericht verhandelten Processes, die (nach Varnhagen’s eigenem Eingeständniß) Eduard Hitzig, der einstige Verleger der Abendblätter, als er 1815 Kammergerichtsrath wurde, unter Verletzung seiner Dienstpflicht, Ludwig Robert mittheilte, von dem sie an seinen Schwager Varnhagen gelangten. Hitzig war ein Vetter von Moritz Itzig. Das Verschwinden der Acten ist so gründlich bewirkt worden, daß ich vom Königlichen Kammergericht, auf meine Anfrage, den amtlichen Bescheid erhielt, es sei beim Kammergericht im Jahre 1811 ein derartiger Proceß überhaupt nicht anhängig gewesen: dagegen habe im Jahre 1813 zwischen diesen beiden Partheien ein Geldproceß wegen 3913 Thlr. 19 Sgr. geschwebt. Einzelnes, sei es nun aus jenen Acten, oder aus Arnim’s Nachlaß, ist trotzdem unter Varnhagen’s Papieren erhalten, jedoch derartig von seiner Scheere zurechtgeschnitten, daß nur das Ungünstige für Arnim und seine Freunde übrig bleiben sollte.
Doch Varnhagen’s Verfahren aufzudecken, fand ich glücklicher Weise an einer Stelle, wo ich es kaum erwartet hätte, den objectiven Bericht eines hochgestellten Mannes, der persönlich auf eine sonderbare Art in die Dinge hineingezogen wurde. Ich entnehme einem ungedruckten Briefe Arnim’s an Wilken in Heidelberg die folgende Stelle (16. April 1812): „Der Ueberbringer ist ein sehr braver, ausgezeichneter junger Mann, Hr. v. Röder, und sein junger Freund, den er zum Soldaten vorbereiten soll, Hr. v. Humboldt.“ Dieser Carl von Roeder, den Arnim so empfiehlt, hatte 1808 in der Familie von Laroche verkehrt, war im österreichischen Kriege 1809 gegen Napoleon mitgegangen und studirte in Frankfurt und Berlin. Nachdem er 1810 den jungen Humboldt nach Wien gebracht hatte, begleitete er ihn 1812 auf die Universität Heidelberg. <634:>
Carl von Roeder starb als Preußischer General-Lieutenant und General à la suite weiland S. M. König Friedrich Wilhelm’s IV. Im Jahre 1861, also nach Varnhagen’s Tode, erschienen Roeder’s Erinnerungen aus seinem Leben, und in diesem Werke, S. 54, stieß ich, ohne daß die Namen der Betheiligten genannt wären, auf den Streitfall, der uns hier beschäftigt. Roeder erzählt für 1811:
„Ein junger Schriftsteller in Berlin hatte gegen die Juden, wie man sagte, etwas verletzend geschrieben, auch sich in einer sogenannten deutschen Tischgesellschaft, deren Mitglied er war, gegen sie geäußert. Ein junger gebildeter Jude, welchen die Lage seines Volkes niederbeugte, hatte diese Schrift gelesen und fand bei seiner Rückkunft von den Reisen den Verfasser bei seiner Tante, einer geistreichen Jüdin Lewy, in Gesellschaft; er war davon aufgeregt, diesen Mann hier unter seinen Glaubensgenossen zu finden. Es kam zu Erklärungen hierüber zwischen Beiden, und der Jude hielt sich durch die Art derselben so verletzt, daß er glaubte, den Schriftsteller fordern zu müssen; der Verfasser aber erklärte ihm, daß er sich mit keinem Juden schlage.“
Worauf es ankommt, ist hier richtig ausgesprochen: daß die Affaire mit der christlich-deutschen Tischgesellschaft und mit der Philisterabhandlung, deren Verfasserschaft man Arnim fälschlich zuschrieb, in Zusammenhang steht. Ende Mai erst wurde der Philister durch den Druck allgemein zugänglich, Anfang Juni fand die Levi’sche Gesellschaft Statt. Es stimmt damit, was Arnim am 25. Juni 1811 an die Brüder Grimm schrieb: „ein junger Jude, Moritz Itzig, nahm die Gelegenheit eines Mißverständnisses, wodurch ich zu seiner Tante, Mad. Levi, gekommen war, indem ich glaubte eingeladen zu sein, es aber nicht gewesen bin, wahr mir zu schreiben, daß ich mit unritterlichen Waffen gegen seine Glaubensgenossen <635:> fechten thäte, ich möchte mich ihm als Mann zeigen.“ Dies „Mißverständniß“ war dadurch hervorgerufen worden, daß Bettina zu dem Abend eine Einladung von der Frau Levi erhalten hatte, Arnim aber, in der Meinung mit eingeladen zu sein, seine junge Frau später von dort abholen wollte. Die, äußerlich betrachtet, ebenso befremdliche Einladung wie Annahme der Einladung erklärt sich daraus, daß Arnim lange Zeit früher im Levi’schen Hause (hinter dem neuen Packhofe, an der Stelle der heutigen Nationalgallerie) gewohnt und dort auch, 1804, den Besuch Clemens Brentano’s empfangen hatte. Diese Beziehungen Arnim’s waren also, bis 1811, nicht zerrissen worden, und Niemand hat mehr als Madame Levi selber die fatale Geschichte bedauert und beizulegen gesucht.
Als Itzig am folgenden Tage an Arnim schrieb, befand er sich in doppeltem Unrecht. Wegen des „Mißverständnisses“ hätte allein der Frau des Hauses, nicht ihm, eine Correctur, wofern sie nöthig war, zugestanden. Sodann war Arnim nicht der Verfasser des Philisters, und über das, was er sonst that und schrieb, hatte er, der ältere Mann, der märkische Edelmann, einem jungen Menschen, der noch nichts bedeutete, keine Rechenschaft abzulegen. Arnim wies ihn zurecht. Worauf Itzig in unziemlichem Tone antwortete.
Es ist sonderbar, daß gerade Itzig’s Schreiben sowohl in Varnhagen’s Nachlasse wie in dem Arnim’s fehlen. Ich zweifle nicht, daß Varnhagen die Papiere absichtlich beseitigt hat; wie mit diesen Dingen auch seine Vernichtung der Brentano’schen Briefstellen über Mad. Levi (Arnim und Brentano S. 122. 295) zusammenhängt. Gerade aber Itzig’s Schreiben haben die adeligen Kreise, als sie ihnen bekannt wurden, wegen ihres Tones aufgebracht. Man fing an, die Sache principiell und schroff von oben herab zu behandeln. Es ist <636:> der Foliobogen vorhanden, auf dem Major von Möllendorff, von Roeder I (des genannten Carl von Roeder Bruder), von Hedemann (Humboldt’s Schwiegersohn), Graf Chasot, von Barnekow, v. Bardeleben, Graf Arnim sich über den „groben Schlingel“ und den von ihm „erlassenen Brief“ in sehr drastischen Aeußerungen ergehen. All dies wäre gar nicht verständlich, wenn sich die Angelegenheit nicht zum principiellen Austrage der Gegensätze ausgewachsen hätte. Arnim schickte das „Circular“ seiner Standesgenossen an Moritz Itzig, mit dem Bemerken, daß er ihn fordern würde, wenn seine Familie es nicht für zu schimpflich hielte, daß er sich mit einem Juden schlüge. Damit schien die Sache vor der Hand abgethan zu sein.
In diesem ersten Stadium traf es sich, daß Carl von Roeder die Bekanntschaft Moritz Itzig’s machte. Beide hörten Fichte’s Vorlesungen in der Universität. Neben Roeder saß öfter ein junger jüdischer Mann, der ihn durch einen edlen, melancholischen Ausdruck anzog: „Eines Tages sagte er mir nach der Stunde, er habe so viel Vertrauen zu mir gewonnen, daß es ihm wichtig sei, über etwas meine Ansicht zu wissen, um so mehr, da ihm bekannt sei, daß ich Edelmann und früher Offizier gewesen sei; er frug mich, was ich thun würde, wenn mich ein Jude forderte; ich erwiderte ihm, daß ich wohl nicht in die Lage kommen würde &c. Er sagte mir hierauf, er sei der Mann, welcher den Schriftsteller gefordert habe. Mit großer Tiefe und Wärme sprach er seine Gefühle über die Lage seines Volkes aus und die Art, wie der Schriftsteller gegen dasselbe und gegen ihn sich benommen habe, wobei ich ihm darin Recht geben mußte, daß derselbe sich überhaupt gegen sein Volk nicht hätte so äußern sollen, besonders aber nicht, wenn er in geselligem Verkehr mit Juden gestanden habe. Er forderte auf eine zutrauliche Weise meinen <637:> Rath; ich konnte ihm nach seiner Darstellung nur sagen, daß nach meiner Ueberzeugung er mit Recht eine genügende Erklärung zu fordern habe, und daß mein Rath dahin gehe, daß er sich hierin an seine Verwandten, welche mit dem Schriftsteller bekannt wären, zu wenden habe, welche diese herbeizuführen suchen müßten. Das Duell sei doch nur ein nothwendiges Uebel, unter allen Umständen von Gebildeten möglichst zu vermeiden; in diesem Falle sei von keiner Seite eine solche Aeußerung gefallen, daß es dadurch nach den strengsten Begriffen der Ehre nothwendig werde; er möge erst diesen Weg einschlagen und mir nachher Nachricht geben, wo ich gern ihm weiter meine Ansicht sagen wolle. Ich ging nun aber ohne Wissen des Juden zu dem Schriftsteller, sagte ihm meine Ansicht, daß ich glaube, es sei Pflicht von ihm, dem Juden eine genügende Erklärung zu geben, und daß, da der Jude Student sei und sich an mich gewendet habe, ich seine Sache sonst glaube vertreten zu müssen. – Nach einigen Tagen erzählte mir der Jude, daß der Schriftsteller ihm vor seinen Verwandten eine genügende Erklärung gegeben habe. Der Jude blieb bei Groß-Görschen, hat aber nie erfahren, daß ich zu dem Schriftsteller gegangen war.“
Bemerkenswerth erscheint, daß Roeder nach Itzig’s Darstellung seine Meinung formulirte; daß er Frau Levi als diejenige, die einzutreten hätte, bezeichnete; daß er ein Duell widerrieth; und daß – was wirklich den Thatsachen entspricht – Frau Levi befriedigt worden war. Im Princip hat Roeder auch darin Recht, daß niemand an einer Stelle verkehren sollte, wohin er aus irgendwelchen Gründen nicht gehört: die Erfahrung des Lebens aber lehrt, wie schwer und bisweilen ungerecht die Durchführung dieses Grundsatzes wäre.
Moritz Itzig hat Roeder’s besänftigenden Rath nicht befolgt. Darin irrt Roeder. Itzig überfiel am 16. Juli Arnim <638:> hinterrücks im Badehause. Arnim gab darüber folgende Erklärung ab: „Ich wurde an dem genannten Orte sitzend, beim Lesen einer Zeitung, von einem mir persönlich unbekannten Menschen, der mit einem Stocke bewaffnet eingetreten war, rasch angefallen; eine glückliche Fügung wollte, daß ich meinen Stock nicht aus der Hand gelegt hatte, sondern damit seinen Hieb sitzend ausparirte; es geschah, daß ein schneller Nachhieb von mir, als ich aufgesprungen, ihn taumelnd gegen die Wand warf, wo ich ihn bis zur Ankunft der Badediener in Unthätigkeit erhielt, denen ich ihn, in der Meinung er sei wahnwitzig, überließ. Nachdem er seinen Namen genannt und ich erfahren hatte, daß er ein Jude aus einer bekannten Familie sei, die ich aus Achtung verschweige, der sich durch eine mit mir geführte Correspondenz beleidigt glaubte, so eilte ich der Königlichen Polizei den Vorfall anzuzeigen, mit deren Erlaubniß ich heute (18. Juli) anzeigen darf, daß die Verwundung des Juden, ungeachtet des starken Blutverlustes, der die Bewohner des Badeschiffes erschreckt hatte, ohne alle Lebensgefahr sei.“ Als Arnim Grimm’s ganz kurz die Sache meldete, sagte er richtig voraus, sie werde vielleicht bald in öffentlichen Blättern prangen. So kam es. Eine, von offenbar interessirter Seite ausgehende, Correspondenz im Morgenblatte (1811, Nr. 209) suchte den Vorfall zu Gunsten Itzig’s abzuschwächen und erfand für den schlimmen Ausgang die folgende Formulirung: „der junge wahrhaft beleidigte Israelit nahm seine Rache so, daß die Sache zur Entscheidung des Kammergerichts gebracht werden mußte, dessen Urtheil nun erwartet wird.“ Der Proceß hat dann Statt gefunden; die Acten sind fort. Moritz Itzig ist wegen des Ueberfalls verurtheilt worden. Die Geschichte trat aus den deutschen in die französischen Blätter über.
Ich bin der Meinung, daß diese quellenmäßige Darstellung <639:> des Vorgefallenen die Kritik des Varnhagen’schen Schriftstückes schon in sich trägt. Das Widerwärtige desselben besteht darin, daß auf jede verläumderische Beschuldigung Arnim’s und seiner Kreise scheingerecht etwas wie eine von Großmuth eingegebene Entschuldigung folgt: das Gift, so angemacht, geht eben leichter ein. Alles, was Varnhagen, z. B. mit Hinweis auf Gneisenau, über ein vermindertes Ansehen Arnim’s sagt, ist natürlich wahrheitswidrig. Gerade die jüngst, 1900, hervorgetretene Publication aus Gneisenau’s Nachlaß zeigt uns Arnim im fortgesetzten Verkehre mit diesem preußischen Patrioten; Gneisenau übernahm die Pathenstelle bei einem der Söhne Arnim’s; und wie häufige Briefe sind zwischen Gneisenau und Clemens und Bettina noch gewechselt worden! Die Empfehlung nach Heidelberg zeigt auch Roeder in gutem Einvernehmen mit Arnim. Daß Major von Möllendorff vor Varnhagen, als jungem Menschen, gezittert haben solle, ist eine von Varnhagen’s Schwächen, zu denen seine Schlauheit sich durch unsägliche Eitelkeit verführen ließ. Wenn, wie Varnhagen angiebt, Robert an seine Schwester Rahel schrieb: „Jetzt habe ich die Acten … ich excerpire sie jetzt und will diese Geschichte in der Wahrheit mit allen ihren Documenten aufschreiben, denn sie soll gedruckt werden, mit allen Namen und Titeln; das ist meines Amts und da lasse ich den Fürwitz nicht“ – nun, so ist ihm durch Varnhagen’s dazu vortrefflich geeignete Feder dieses Amt abgenommen worden.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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