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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 694-696

Abschluss.


Kleist’s menschliche Unsterblichkeit.

Ueber die menschliche Unsterblichkeit hat Herder einst seine Gedanken ausgesprochen. Die Unsterblichkeit des Namens und Nachruhms, mit welcher das Alterthum seine großen Männer beschenkte, habe freilich die Gegenwart nicht mehr zu vergeben. Friedrich der Große, dem die Götter selbst in seine Gesichtszüge das Gepräge der Unsterblichkeit drückten, könne schwerlich je so classisch-berühmt werden, wie Cäsar und Alexander. Jetzt gelte es, ein anderes Ziel ins Auge zu fassen. Unser Streben müsse auf das rein-Wahre, Gute und Schöne gerichtet sein: was seiner Natur nach fortdauere, auch unterdrückt immer wiederkomme, und durch die fortgesetzte, vermehrte Thätigkeit der Menschen immer mehr Umfang, Haltung und Wirksamkeit erlange: woraus eine edle Fortwirkung auf Welt und Nachwelt hervorgehe. Diese menschliche Unsterblichkeit, in Herder’s Sinne, ist Heinrich von Kleist zu Theil geworden.
So angesehen, erscheint uns Kleist’s Tod als der Anfang eines neuen, höheren Lebens, das, der Antheilnahme seines Volkes gewiß, ungezählten Tagen entgegen geht. Frisch und glänzend tauchten zuerst seine Dichtungen aus der trägen Masse <695:> des Durchschnittlichen wieder empor. Und was von ihnen einstmals nicht gedruckt werden durfte, fand jetzt, wie es zuerst hervortrat, ein Publicum, das für Genuß und Würdigung des neu Dargebotenen empfänglich war. Ludwig Tieck, als die Autorität in dem ästhetisch-geistigen Deutschland damals, hatte die Sammlung und Herausgabe der poetischen Schriften in die Hand genommen. Er ließ mit Fleiß bei Seite, was seinen Zweck, Kleist als Dichter hinzustellen, nicht gefördert hätte. Niemand fühlte sich neu gereizt. Die wunderbare Kraft, die von der Totalwirkung der vereinigten Dichtungen ausging, überwand die alten Gegnerschaften. Man ergriff die Gelegenheit, mit Kleist seinen Frieden zu machen. Goethe bezeichnete, abwägend und rechtfertigend, den Punct, worin seine aufrichtige Theilnahme für „jenen talentvollen Mann“ zuletzt mit Tieck’s Pietät gegen ihn übereinkomme; wenngleich ihm noch ein unmuthiges Wort über den Kleistischen Unfug und alles verwandte Unheil entschlüpfte. Ludwig Robert, dem das Verständniß eines Charakters, wie des Thuschens, niemals aufgehen wollte, neigte sich doch vor der Kleist’s Schriften gewidmeten Arbeit Tieck’s. Heinrich Zschokke trug in seiner Selbstschau dafür Sorge, daß seine frühe Bekanntschaft mit Kleist unbefleckt darin hervortrete. Diese drei Männer allein stelle ich als die Vertreter der einst Kleist feindlichen Richtungen hin.
Nun gewann Kleist auch die Bühne. Graf Brühl holte in Berlin nach, was unter Iffland’s Direction nicht zu erreichen gewesen war. Welches Theater gäbe es seitdem in Deutschland, von dessen Bühne herab Kleist nicht zu seinem Volke spräche. Kleist’s vaterländische Richtung ist von nach ihm kommenden Dichtern, bis in die jüngsten Zeiten, fortgeführt worden: Niemand hat sein herrliches Käthchen (wenn es nur recht gespielt würde), Niemand seinen Prinzen von <696:> Homburg übertroffen. Hinter Goethe und Schiller in der Schätzung seines Volkes der dritte zu sein, ist wahrlich menschliche Unsterblichkeit für Kleist.
Tausende von Exemplaren seiner Werke sind ins Volk gedrungen, neue Tausende werden nöthig sein. Das Verlangen nach Kleist’s Dichtungen wächst von Jahr zu Jahr. Wer mißt die stille Wirkung, die sie üben? Noch steht Kleist wie mitlebend unter uns und beschenkt sein Volk mit dem, was in seiner und seiner Freunde Weltanschauung schön und unvergänglich ist.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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