BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]

U

Maria v. Üchtritz, Erinnerungen an Friedrich v. Üchtritz und seine Zeit in Briefen von ihm und an ihn (Leipzig: Hirzel 1884), 342-347

Rudolf Köpke an Friedrich v. Üchtritz, Berlin, 27. 3. 1866

Berlin, den 27. März 1866.

Mit Verlangen habe ich dem Augenblicke entgegen gesehen, hochgeehrter Herr und Freund, wo ich endlich im Stande sein würde, auf Ihren gehaltreichen und mir in vieler Beziehung so ermuthigenden Brief ein Wort des Dankes und Einverständnisses zu erwidern. Die Verzögerung der Antwort ist mir durch die Umstände aufgezwungen worden, und ich habe dabei nichts mehr bedauert, als daß in so langen Pausen die Schwingungen des ersten Anstoßes ermatten müssen, daß auch hier der beste Spiritus verraucht, und am Ende Antwort und Frage sich kaum noch wiedererkennen. In den Weihnachtstagen ward mir eine Aufgabe bescheert, die ich nicht ablehnen konnte, und die mich aus meinen nächsten Arbeiten heraus in eine Region historisch-philologischer Untersuchungen zurückverschlug, der ich den Rücken auf immer gekehrt zu haben meinte: bis Ostern mußte und sollte sie fertig sein, natürlich mußte alles Andre liegen bleiben. Nun ist sie fertig, ich habe die Beruhigung, dieser Pflicht genügt zu haben, aber so hoch ich das auch anschlage, es ist doch nur eine sehr abstracte Entschädigung für das peinliche ausdörrende Gefühl, die Kräfte an eine Aufgabe setzen zu müssen, mit der man sich innerlich nicht mehr im Einklang weiß: es beginnt mir als Verschwendung zu erscheinen, besonders wenn uns die Kürze des Lebens immer überwältigender entgegentritt. Umgekehrt, wo die <343:> Arbeit der reine Ausdruck der gegenwärtigen Stimmung ist, wo man sich Eines mit ihr weiß, da ist sie selbst der ganze Mensch. Sie erhebt, stärkt, potenzirt die Kräfte, sie ist eine Art Selbstoffenbarung, die dem Menschen über sich zu Theil wird. Mir ist es freilich selten so gut geworden, ich kann sagen, eigentlich nur einmal. Das ist in dem Leben Tieck’s, das habe ich als ganzer Mensch geschrieben, oder wie er sagen würde, erlebt. Aber da hat es denn an andern Enttäuschungen nicht gefehlt. Meinem naiven Glauben trat die Gleichgültigkeit, das spöttische Achselzucken, das offene oder schweigend nichtachtende Uebelwollen der Tagespresse entgegen, für deren Gewinnung es mir stets an Geschicklichkeit gefehlt hat. Da fühlte ich mich wieder auf mich selbst zurückgewiesen, ich mußte an das denken, was Tieck mir so oft von dem Glauben an das unsichtbare Publikum, an die stille Gemeinde gesagt hatte. Unter diesen Umständen werden Sie ermessen, wie sehr erfreulich Ihre theilnehmenden Worte über meine Kleistblätter mir auch jetzt noch gewesen sind, besonders da ich hier dieselbe Erfahrung gemacht habe. Julian Schmidt, der ja zugleich der buchhändlerische Herausgeber der Kleist’schen Werke ist, fertigte damals in seiner Zeitung mein Buch in drei Zeilen mit der Bemerkung ab, es sei eine Nachlese aus den Abendblättern, und wie viel davon Kleist in der That gehöre, sei sehr zweifelhaft; daß die Hauptsache aus bisher unbekannten Papieren Kleist’s entlehnt sei, verschwieg er. Der neuste geistvolle Biograph Kleist’s, Wilbrandt, den ich persönlich nicht kannte, kommt zu mir, liest mir Allerlei ab, was er sonst nicht mit Augen gesehen hatte, um mich hinterher in seinem Buche unnützer Weise zu corrigiren. Mein trefflicher College Gosche in Halle endlich, der kein Litterat sondern Professor der Orientalia ist, erklärt in seinem Litterarhistorischen Taschenbuch für 66 die Schmidt’sche Ausgabe für vollständig, und dreht und wendet sich hin und her, um mein Buch nicht erwähnen zu müssen, während er es in Händen hat! Ich will nicht in Abrede stellen, daß solche Erfahrungen, an denen es mir auch im Kreise der Fachwissenschaft leider nicht fehlt, und deren Quelle mir immer noch <344:> nicht ganz klar ist, mich allgemach in eine Stimmung des heimlichen Ingrimms versetzt haben, die sich dann gelegentlich auch in solchen Philippiken Luft macht, wie Sie eine haben anhören müssen und mit besänftigender Nachsicht aufgenommen haben. Doch um bei Kleist zunächst stehen zu bleiben, noch ein Wort über Ihre so höchst interessante und überraschende Anfrage wegen der von ihm beabsichtigten oder schon begonnenen Tragödie Titus vor Jerusalem. Die Antwort ist bald genug gegeben; die Thatsache ist mir durchaus neu und nirgend bin ich ihr begegnet. Ich glaube auch sagen zu können, daß sonst keine Notiz darüber aufbehalten ist, weder in den bekannt gewordenen Briefen noch sonstigen Materialien; nur von Wilbrandt’s Buch kann ich es nicht mit gleicher Sicherheit sagen, aber ich glaube nicht, daß er etwas davon weiß. Auch meinem litterarischen Freunde, W. v. Maltzahn, dem Lessingherausgeber, der über reiche Schätze gebietet, und in diesen Sachen eine fast unvergleichliche Kenntniß besitzt, habe ich die Frage mitgetheilt, er kennt dies eben so wenig. Auch der alte General Pfuel, der letzte noch lebende Freund Kleist’s, der mancherlei zu erzählen weiß, von abhanden gekommenen Tragödien, Robert Guiskard, Leopold von Oestreich, weiß davon nichts. Gewiß also würde Alles, was Sie davon erkundet haben, hoch willkommen sein, Sie würden der litterarisch forschenden Welt geradezu eine neue Thatsache mittheilen, die beweisen würde, daß die Acten über den unglücklichen Dichter immer noch nicht geschlossen seien: also zögern Sie ja nicht, der Welt mitzutheilen, was Sie darüber wissen, und je ausführlicher, je besser! So sammelt die Nachwelt emsig den Staub eines Dichters, dessen Unglück gewiß kein unverschuldetes war, den die Mitwelt aber auch weniger, als er fordern durfte, ja fast gar nicht beachtet und gewürdigt hat. Es ist eine erschütternde Thatsache, daß was im Geiste leben soll, im Leben untergehen muß. Diese ewige Nänie erinnert mich an einen andern Dichter, mit dem ich mich in letzter Zeit in abgestohlnen Stunden beschäftigt habe, um mich geistig zu erholen, an Immermann. Der nur allzu früh, aber wie Schiller in der Fülle der Kraft Geschiedene, hat <345:> Ihnen als Dichter, Mensch und Freund nahe gestanden, von ihm wissen Sie wie Wenige zu reden, aber ich bin nicht ganz sicher, wie weit es Ihnen genehm sei, von ihm mit Andern zu sprechen. Ich meinerseits habe ihn immer für eine große Kraft, einen wahren Dichter gehalten, der für das Höchste angelegt in einer litterarisch schwierigen Zeit mit glühendem Muthe nach dem höchsten Kranze unablässig strebte, und seiner werth war als ganzer Mensch und ganzer Dichter. Unter den Nachromantikern ist er mir unbedingt der Erste, und nach ihm sind es nur wenige unter so vielen, die ich ihm anreihen möchte. Nehme ich allein sein Mysterium Merlin, diesen Gegenfaust, und nach und seit Faust unbezweifelt die tiefsinnigste Dichtung, aber natürlich darum unbeachtet und unverstanden, wie gewaltig erscheint er darin nicht! Man kann sich denken, in der litterarisch großen Zeit würde das wie der Blitz gezündet haben, heute findet der Blitz keinen Zündstoff mehr. Zwar bleibt er darum nicht minder der Blitz, aber auch das ist unleugbar, zur vollen höchsten Wirkung gehört nicht allein die subjective Kraft und That, es gehört dazu ihr geheimnißvolles, man kann sagen welthistorisches Einverständniß mit der Gesammtmasse der Kräfte, die man Zeit zu nennen pflegt. Goethe war seine Zeit; für zahllose Andre, auch die Ersten und Edelsten, kann es heißen: „Weh dir, daß du ein Enkel bist!“ Und das bringt mich auf den Punkt. Die Epigonen nämlich habe ich nach langen Jahren einmal wiedergelesen, und wie man auch über Manches urtheilen möge, ich habe wieder den Eindruck gehabt, man hat es hier mit einer Kraft zu thun, die hoch über dem steht, was man damals schon und jetzt landläufig Litteratur oder gar Poesie nannte. Man hat das Gefühl, das ist nicht gemacht, es ist, ist unmittelbar, wie es auch sei; es sind lebendige Gestalten und Gedanken, nicht Schemen oder Abstractionen. Zunächst ist mir freilich wieder bemerkbar geworden die rücksichtslose Schärfe des Gerichts, das der Dichter an seinen Geschöpfen, und in ihnen an der Zeit ausübt. In seine Figuren sich zu verlieben, war seine Sache nicht; vielmehr scheint die Ironie Tieck’s in ihm Fleisch und Blut ge- <346:> worden. Ihr verfallen alle Charaktere, der wohlmeinende Held Hermann, dessen hülfreiche Vielthätigkeit komisch und tragisch das Uebel mehrt oder schafft, der, die lebendige Lüge unter Augen, einen Verein für Wahrheit gründet, und über seinen Idealen überall in die Gefahr der schwersten Versündigung hineingeräth; dieser ahnenstolze Herzog, der sich überzeugen muß, daß seine Ahnen Fälscher waren, wie der tugendstolze Bürger erkennen muß, seine gepriesene reine Ehe sei der Ehebruch gewesen; es ist ein Gericht, das schonungslos gerade an der Sentimentalitätsperiode unserer gepriesenen Litteratur vollzogen wird. Der Titel Epigonen ist eine Zusammenfassung jener nicht minder erschütternden welthistorischen Wahrheit, daß die Sünden der Väter an den Kindern heimgesucht werden. Doch noch etwas Anderes scheint mir darin zu liegen. Die Ironie bethätigt sich gewissermaßen als eine freie Macht, eine objektive. Dem Dichter selbst wächst sie über den Kopf, und auch er verfällt ihr. Hier, wie urkräftig sonst auch immer, erscheint er selbst als Epigone. Ist nicht dieser Hermann ein ins 19. Jahrh. übersetzter Wilhelm Meister? Herzog und Herzogin, Graf und Gräfin von hier, Flämmchen und ihre Alte eine bizarre Mignon und Barbara, Medon eine Art von Jarno? Nur die Schauspielerwirthschaft hat natürlich den politischen Motiven der Gegenwart weichen müssen. Immermann selbst hat, wie Sie besser wissen als ich, über seine eigenen Werke fast strenger geurtheilt als die Kritiker, und andre Dichter über die ihren je gethan haben: fast zu streng, wie die factische Unvollständigkeit seiner gesammelten Schriften beweist, die eigentlich nur eine Auswahl ist. Auch jetzt wieder habe ich darin seinen Kaiser Friedrich vermißt, den ich aufs Neue gelesen habe. Bei den scharfen charaktervollen Umrissen seines Alexis und des späteren Trauerspiels in Tyrol, kann ich mir denken, daß ihm jene Tragödie noch zu episch war, aber diese Verleugnung hat sie wahrlich nicht verdient; auch jetzt noch steht sie unter den spätern historischen Dramen oben an, aber freilich für den großen Haufen ist es Caviar! Doch schon viel zu viel habe ich Ihnen vorgeredet, da ich kaum ahne, wie Sie meine <347:> Expectorationen über Immermann aufnehmen werden. Ohnehin darf ich Ihre Geduld nicht mißbrauchen: mit manchem Anderen, was mir noch etwa in der Feder steckt, im Anschlusse an unsern Meinungsaustausch, verschone ich Sie dieses Mal, so verlockend mir auch die Versuchung ist. Nur den Glückwunsch erlauben Sie mir noch auszusprechen, daß es Ihnen abermals gelungen ist, ein größeres dichterisches Werk zum Abschlusse zu bringen; das ist ein Stück Leben, das der am Besten in seiner Bedeutung zu würdigen weiß, dessen Leben vornehmlich eine Arbeit in Stückwerk ist. – – – – –

[ U ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]