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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Arthur Warda, Carl Diesch (Hrsg.), Briefe an und von Johann George Scheffner, 5 Bde. (1918-38 [Bd. 1-4: München, Leipzig: Duncker & Humblot 1918-31; Bd. 5: Königsberg: Graefe und Unzer 1938]), Bd. 4 (1931), 240f.

Johann George Scheffner an Theodor v. Schön, Königsberg, 5. 9. 1809


Seit länger als 5 Wochen liegt unsre Pastorin ohn alle Kraft im Bette, meine Frau die sich nicht zum König von Preussentisch entschlüssen will quält sich mit der Wirtschafft u Küche, ich hatte lange eine wehthuende dicke Backe, und bis jezt plagt mich noch Lenden u Creuzschmerz, überdem muss ich mich noch mit dem hässlichen Flickbau in meiner künftigen Wohnung plagen – das Ansehen u Anhören dieser Haussplagen sind hoffentlich Stillschweigens Ehehaften gnug mein theurster Herr Geheimer Staatsrath – Sodann sah ich auch der Ankunft des Broscovius immer entgegen, mit dem ich mich über Sie erst recht ausreden wollte – Da meine vorerwähnte Übel aber fortwähren und Broscov: nicht erscheint, so setz ich mich jetzt 5½ des Morgens zum Schreiben an Sie, während der Cronprinz im Garten mit dem alten Fix sein Frühstückswesen treibt und sich zum militairischen Manoever vorbereitet. Ihren lieben Brief hab ich so gut verwahrt, dass ich ihn schlechterdings nicht auffinden kann – zum Beantworten wär es ohnedem zu spät – Leben Sie noch im Druck Ihrer quasi Strohwitwerschafft von Ihren Herzblättchen geschieden? An Zeit sich einst mit diesen sorgfältig abzugeben mag es Ihnen nicht fehlen, denn den öffentlichen Versicherungen zufolge soll ein Regierungspräsident gar schöne Musse haben. Bei uns währt die Erbärmlichkeit ununterbrochen fort, der bivouac, das abscheulichste was man im eignen Lande treiben kann ist wie ich höre auf 8 Tage verlängert, vermuthlich um die Truppen auf Fälle beysammenzuhalten, die wenn sie auch eintreten, doch unbenutzt bleiben werden – Ihre Engländer scheinen jezt Ernst machen zu wollen, und die Spanier halten sich treflich, gestern hiess es, die Britten hätten Madrid genommen, u der abscheuliche Waffenstillstand wäre aufgekündigt – Was sagen Sie zu den Tyrolern, die ihrer Landesherrschafft wahrlich nicht gleiches mit gleichem vergelten – Über die Natur und das Wesen der OberPräsidentschafft wird noch geschrieben – der König scheint ein Gefallen dran zu haben, u hat dem HE v Massow, wie es heisst des ministeriellen Widerspruchs unerachtet den rothen Adler zufliegen lassen – Merkel soll sich wohl befinden und hat mir einen Baron Stein zugewiesen, der seine Kindheit bey Göthe, seine Jünglingschafft beym Busch in Hamburg zugebracht und Reisen durch England p gemacht hat. Es ist ein recht guter lieber Mann, dem Min: D. bey dem er arbeitet soll er nicht zusprechen – warum der Mann doch das Judicium andrer immer bezweifeln mag? In meiner königl. Wohnung wurde am 17t Aug. der Todestag Fr: II. gefeyrt, an dem auch ich einige Worte vorlass zur Lehre zur Strafe zur Besserung – Die Königin war unverhoft mit erschienen u musste also mit anhören auch was Hüllman über die Todtengerichte der Alten über die Könige redete – Freytag Abend ist der Gr Czlr. wie es heisst auf 2 Monath nach Berlin gegangen – Für das OberLandesgericht wird nicht das neue Hauss gebaut, sondern das ¾ abgerissne Schlossstück eingerichtet, zu welchem Behuf der Min: v A. den Geheimenrath Simon herberufen hat – übrigens continuiren die Plane ohne die Vacua zu füllen. Mein Nachbar Klewiz hat nicht die mindeste Notiz von mir <241:> genommen, wofür ich ihm innerlich danke – HE v Heydebr: geht künftige Woche auch nach Berlin, u der D. Vater aus Halle bezieht seine Wohnung. Die Berl. Universitaet ist nun beschlossen u nimt das Heinrichsche Palais, vermuthl. kehrt HE v H – auch zurück sobald es zu schlim zu gehen seyn wird vom Kuhn: zum Doh: Da in meinem Hausswesen unangenehme Feinde sind, so seh ich keinen Menschen als dann u wann einen besuchenden Bruder – Sehr unzufrieden bin ich mit meiner Abgeschiedenheit nicht, denn was man hört und sieht ist so anstössig, dass man beynah Augen u Ohren zu haben bedaurt. Auersw: hat seinen Brunnen in Aweyden wie es scheint ohne sonderlichen Erfolg gebraucht. Eichler hat eine gute Erndte gehabt, wenn jezt nur auch gute Preise kämen – das Korn gilt höchstens 1 rl das Brodgewicht aber ist nicht gestiegen. Die Prinzessin Wilhelm hat auf den Schreck über den Haussdiebstal ein todtes Kind gebohren. HE Gruner soll in Berlin gar streng Polizeyisiren, einige sagen: oft am unrechten Ohrte. Vom Schöler hab ich einen langen schönen Brief in Prosa u Ligata erhalten, worinn er damals über Ihr Schweigen klagte – Heinrich Kleist hatte die Phöbusfeder niedergelegt, und soll an den bey Wagram erhaltnen Wunden gestorben seyn – Ich habe mir von der Biblioth: 3 Folianten [?] von Hans Sachs Werken geliehen – Nun wird es Zeit seyn aufzuhören. Grüssen Sie tausendmal ihre liebe Frau, sehen Sie nicht auf Canzleycurialien, und erwiedern Sie stets mit gleicher Herzlichkeit die Freundschafft Ihres

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den 5ten Septbr: 1809.

 

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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