| Adolf Wilbrandt, Heinrich von Kleist (Nördlingen: Beck 1863), 174
 Kleist und Goethe
 
 Vielleicht errieth er <i.e. Goethe> auch etwas von dem feindseligen Ehrgeiz, der in
        dem Geist dieses ungebändigten Menschen wohnte. Wir wissen aus zuverlässigen Zeugnissen,
        daß Kleist schon damals nichts Geringeres erstrebte, als den Herrscherthron
        im Reiche deutscher Kunst. Ihm schwebte das Ideal eines Trauerspiels vor, das über Göthe
        wie über Schiller hinausflog und nach dessen Bewältigung er mit verzweifelter Inbrunst
        rang. Er hat es seinem Freunde Pfuel oft gesagt\1\,
        daß es nur das eine Ziel für ihn gebe, der größte Dichter seiner Nation zu werden; und
        auch Göthe sollte ihn daran nicht hindern. Keiner hat Göthe
        leidenschaftlicher bewundert, aber auch Keiner ihn so wie Kleist beneidet und sein Glück
        und seinen Vorrang gehaßt. Dem Freunde gestand er in wild erregten Stunden, wie er es
        meinte: Ich werde ihm den Kranz von der Stirne reißen, war der Refrain
        seiner Selbstbekenntnisse wie seiner Träume.
 
 \1\ Auch dies ist mündliche Mittheilung.
 
 
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