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Heinrich Zschokke, Der zerbrochene Krug, in: Heinrich Zschokke u. a. (Hrsg.), Erheiterungen. Eine Monatschrift für gebildete Leser. Dritter Jahrgang, 1. Bd. (Aarau: Sauerländer 1813), 137-175; darin: 155-162

Heinrich Zschokke: „Der zerbrochene Krug“

Bosheit über Bosheit.

Nun hatte am Sonntag Pater Jerome wieder über den Satz gepredigt: Des Himmels Fügungen sind wunderbar. Und die kleine Mariette dachte: so wird er’s auch fügen, daß ich den unsichtbaren Blumenspender endlich entdecke. Pater Jerome hatte nie unrecht.
In einer Sommernacht, da es auch allzuwarm gewesen, war Mariette früh erwacht, und konnte nicht wieder einschlafen. Drum sprang sie freudig vom Lager, als das erste Sommerroth über die Meereswellen und über die lerinischen Inseln her gegen das Fenster des Kämmerleins blitzte. Sie kleidete sich und ging hinaus, Antlitz, Brust und Arme am kühlen Brunnen zu waschen; den Hut nahm sie mit, am Meer ein Stündchen zu lustwandeln. Sie kannte da eine heimliche Stelle zum Baden. <156:>
Um aber zu der heimlichen Stelle zu kommen, mußte man über die Felsen hinter dem Hause gehn, und von da wieder abwärts, neben Granatenbüschen vorbei und Palmen. Diesmal kann Mariette nicht vorbei. Denn unter der jüngsten und schlankesten der Palmen lag im süßen Schlaf ein junger, schlanker Mann – neben ihm ein Strauß der allerschönsten Blumen. Auch sah man wohl ein weißes Papier daran, auf welchem vermuthlich wieder ein Seufzer redete. – Wie konnte Mariette da vorbei kommen?
Sie blieb stehen, und zitterte vor Schreck an allen Gliedern. Dann wollte sie wieder zur Hütte heim. Kaum war sie ein paar Schritte zurückgegangen, sah sie sich wieder nach dem Schläfer um und blieb stehen. Doch aus der Ferne ließ sich sein Gesicht nicht erkennen. – Jetzt oder nie war ein Geheimniß zu lösen. Sie trippelte leise der Palme näher. Aber er schien sich zu regen. Nun lief sie wieder zur Hütte. Doch war seine Bewegung nichts als furchtsame Einbildung Mariettens gewesen. Nun machte sie sich wieder auf den Weg zur Palme. Allein er konnte sich vielleicht mit seinem Schlaf verstellen. Geschwind rettete sie sich zur Hütte. Wer <157:> wird aber wegen eines leeren Vielleichts fliehen? Sie trat herzhafter die Reise zur Palme an.
Bei diesem Schwanken ihrer schüchternen und lüsternen Seele zwischen Furcht und Neugier; bei diesem Hin- und Hertrippeln zwischen Hütte und Palmenbaum, war sie doch endlich dem Schläfer immer um einige kleine Schritte näher gekommen, indem auch zugleich die Neugier siegreicher war, als die Furcht.
„Was geht er mich denn an? Der Weg führt mich nur an ihm vorbei. Schlaf er oder wach’ er; ich gehe ja nur vorbei.“ So dachte Manons Tochter. Aber sie ging nicht vorbei, sondern blieb stehen; denn man mußte doch dem Blumenspender recht ins Gesicht schauen, um seiner Sache gewiß zu sein. Zudem schlief er ja, als hätte er seit vier Wochen keinen gesunden Schlummer gehabt. – Und wer war’s? – Nun, wer sollte es denn anders sein, als der Erzbösewicht Colin?
Also er wars gewesen, der erst aus alter Feindschaft dem guten Mädchen so viel Todesverdruß mit dem Kruge gemacht und es in den verdrießlichen Handel mit Herrn Hautmartin gebracht hatte; er war’s gewesen, der dann hin- <158:> ging und sie mit den Blumen neckte, um ihre Neugier zu foltern. Wozu das? – Er haßte Marietten. Er betrug sich noch immer in allen Gesellschaften gegen das arme Kind auf unverzeihliche Weise. Er wich aus wo er konnte; und wo er nicht konnte, betrübte er die fromme Kleine. Gegen alle andern Mädchen von La Napoule war er gesprächiger, freundlicher, gefälliger, als gegen Marietten. Man denke! er hatte sie noch nie zum Tanz aufgefodert, und sie tanzte doch allerliebst.
Nun lag er da, verrathen, ertapt. In Mariettens Brust erwachte die Rache. Welche Schmach konnte sie ihm anthun? – Sie nahm den Blumenstrauß, lösete ihn auf, streute mit gerechtem Zorn verächtlich sein Geschenk über den Schläfer hin. Nur das Papier, auf welchem wieder der Seufzer: liebe Mariette! stand, behielt sie, und steckte es geschwind in den Busen. Sie wollte für künftige Fälle diese Probe seiner Handschrift aufbewahren. Mariette war schlau. Nun wollte sie gehen. Aber ihre Rache schien noch nicht gesättigt. Sie konnte nicht von der Stelle, ohne Colins Bosheit mit einer ähnlichen zu strafen. Sie riß von ihrem Hut das veilchenfarbne, seidne <159:> Band, und schlang es leise um des Schläfers Arm und um den Baum, und knüpfte den Colin mit drei Knoten fest an die Palme. Wenn er nun erwachte, wie mußte er erstaunen! wie mußte ihn die Neugier foltern, wer ihm auch den Streich gespielt? – Das konnte er unmöglich errathen. Desto besser. Es geschah ihm recht.
Mariette war nur noch allzu gnädig gegen ihn. Ihr Werk schien sie zu reuen, als sie es vollbracht hatte. Ihre Brust flog ungestüm. Ich glaube gar, es kam ihr ein Thränchen in die Augen, mit denen sie nur allzu mitleidig den Verbrecher betrachtete. Langsam ging sie zu den Granatbüschen am Felsen zurück – sie sah sich oft um; langsam den Felsen hinauf, sie sah oft hinab nach der Palme. Dann eilte sie zur rufenden Mutter Manon.

Das Hutband.

Aber noch den gleichen Tag übte Colin neue Tücke. Was that er? – öffentlich beschämen wollte er die arme Mariette. Ach, sie hatte nicht bedacht, daß man ihr veilchenfarbnes Band in ganz Napoule kenne! – Colin kannte es nur zu <160:> gut. Er schlang es stolz um seinen Hut, und trug es vor aller Welt zur Schau, wie eine Eroberung. Und jeder und jede rief: „Er hat es von Marietten.“ Und alle Mädchen riefen zürnend: „Der Bösewicht!“ und alle Jünglinge, die Marietten gern hatten, riefen: „Der Bösewicht!“
„Wie? Mutter Manon!“ schrie der Richter Hautmartin, als er zu Manon kam; und er schrie so laut, daß es in seiner ganzen Nase wunderbar widerhallte, „wie? das duldet ihr? meine Braut beschenkt den jungen Pächter Colin mit ihrem Hutband? Es ist hohe Zeit, daß wir unsre Hochzeit feiern. Ist die vorbei, so hab auch ich ein Recht zu reden.“
„Ihr habet recht!“ antwortete Mutter Manon; „wenn die Sache so steht, muß die Hochzeit schnell sein. Ist die vorbei, ist alles vorbei.“
„Aber, Mutter Manon, Eure Tochter weigert mir noch immer das Jawort.“
– „Rüstet nur das Hochzeitmahl!“
„Aber sie will mich auch nicht einmal freundlich ansehen; und wenn ich mich zu ihr setze, springt die kleine Wilde auf und rennt davon.“
– „Herr Richter, rüstet nur das Hochzeitmahl.“
„Aber wenn sich Mariette sträubt?“ <161:>
– „Wir wollen sie überrumpeln. Wir gehen zum Pater Jerome. Am Montag Morgen in aller Früh und aller Stille soll er die Trauung vollziehen. Das wollen wir ihm schon beibringen. Ich bin Mutter. Ihr seid die erste obrigkeitliche Person in La Napoule. Er muß gehorchen. Doch Mariette darf davon nichts wissen. Am Montag früh schicke ich sie zum Pater Jerome, ganz allein, mit einem Auftrag, damit sie nichts ahnet. Dann soll ihr der Pfarrer ans Herz reden. Ein halbes Stündchen drauf kommen wir beide. Dann geschwind zum Altar. Und wenn auch Mariette da noch nein ruft; was macht’s? Der alte Herr kann ja nicht hören. Aber still bis dahin gegen Marietten und ganz La Napoule.“
Dabei bliebs unter den beiden. Mariette ließ sich von dem Glück nicht träumen, das ihr bevorstand. Sie dachte nur an Colins Bosheit, der sie im ganzen Ort zum Gespräch der Leute gemacht hatte. O wie bereute sie die Unbesonnenheit mit dem Bande! und doch verzeihte sie dem Bösewicht im Herzen seine Schuld. Mariette war viel zu gut. Sie sagte ihrer Mutter, sie sagte allen Gespielinnen: „Der Colin hat mein verlornes Hutband gefunden. Ich hab’ es ihm <162:> nicht gegeben. Nun will er mich damit ärgern. Ihr wisset ja, der Colin ist mir von jeher übelan gewesen, und hat immer gesucht, wo er mich kränken konnte!“
Ach, das arme Kind! es wußte nicht, auf welche neue Abscheulichkeit der heimtückische Mensch schon wieder sann.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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