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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LXXXIX-XCIV

Selbstmord

Er setzt das alles in seinem zweitletzten Brief an Marie v. Kleist, da sie ihn von seinem Entschluß abbringen will, ganz ruhig auseinander: „Deine Briefe haben mir das Herz zerspalten, meine theuerste Marie, und wenn es in meiner Macht gewesen wäre, so versichre ich Dich, ich würde den Entschluß zu sterben, den ich gefaßt habe, wieder aufgegeben haben. Aber ich schwöre Dir, es ist mir ganz unmöglich länger zu leben; meine Seele ist so wund, daß mir, ich mögte fast sagen, wen ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe thut, das mir darauf schimmert. Das wird mancher für Krankheit und überspant halten; nicht aber Du, die fähig ist die Welt auch aus andern Standpunkten zu betrachten, als aus dem Deinigen. Dadurch, daß ich mit Schönheit und Sitte, seit meiner frühesten Jugend an, in meinen Gedanken und Schreibereien, unaufhörlichen Umgang geflogen, bin ich so empfindlich geworden, daß mich die kleinsten Angriffe, denen das Gefühl jedes Menschen nach dem Lauf der Dinge hiniden ausgesetzt ist, doppelt und dreifach schmerzen … Ich wollte doch lieber zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal wieder erleben, was ich das letztemal in Frankfurt an der Mittagstafel zwischen meinen beiden <XC:> Schwestern\1\, besonders als die alte Wackern darzukam empfunden habe … Ich habe meine Geschwister immer, zum Theil wegen ihrer gutgearteten Persönlichkeiten zum Theil wegen der Freundschaft, die sie für mich hatten, von Herzen lieb gehabt; so wenig ich davon gesprochen habe, so gewiß ist es, daß es einer meiner herzlichsten und innigsten Wünsche war ihnen einmal, durch meine Arbeiten und Wercke, recht viel Freude und Ehre zu machen. Nun ist es zwar wahr, es war in den lezten Zeiten, von mancher Seite her, gefährlich, sich mit mir einzulassen, und ich klage sie desto weniger an, sich von mir zurückgezogen zu haben, je mehr ich die Noth des Ganzen bedencke, die zum Theil auch auf ihren Schultern ruhte; aber der Gedancke, das Verdienst, das ich doch zulezt es sey nun groß oder klein, habe, gar nicht anerkannt zu sehn, und mich von ihnen als ein ganz nichtsnütziges Glied der menschlichen Gesellschaft, das keiner Theilnahme mehr werth sey, betrachtet zu sehen, ist mir überaus schmertzhaft, wahrhaftig er raubt mir nicht nur die Freuden die ich von der Zukunft hoffte, sondern er vergiftet mir auch die Vergangenheit.“ Auch der politische Jammer, der Ruin seines Vaterlandes treibt ihn in den Tod. „Die Allianz, die der König jetzt mit den Franzosen schließt, ist auch nicht eben gemacht, mich im Leben festzuhalten. Mir waren die Gesichter der Menschen schon jezt, wen ich ihnen begegnete zuwider, nun würde mich gar, wen sie mir auf der Straße begegneten, eine körperliche Empfindung anwandeln, die ich hier nicht nennen mag. <XCI:> Es ist zwar wahr, es fehlt mir sowohl als ihnen an Kraft, die Zeit wieder einzurenken; ich fühle aber zu wohl, daß der Wille, der in meiner Brust lebt, etwas Anderes ist, als der Wille derer, die diese witzige Bemerkung machen: dergestalt, daß ich mit Ihnen nichts mehr zu schaffen haben mag. Was soll man doch, wen der König diese Allianz abschließt, länger bey ihm machen? Die Zeit ist ja vor der Thür, wo man wegen der Treue gegen ihn, der Aufopferung und Standhaftigkeit und aller andern bürgerlichen Tugenden, von ihm selbst gerichtet, an den Galgen kommen kan.“ Die verlockende Gelegenheit eines gemeinsamen Todes mit einer edlen Freundin ist der dritte, der Hauptgrund. „Rechne hinzu, daß ich eine Freundin gefunden habe, die meine Traurigkeit als eine höhere, festgewurzelte und unheibare begreift, und deshalb, obschon sie Mittel genug in den Händen hätte mich hier zu beglücken, mit mir sterben will, die mir die unerhörte Lust gewährt, sich um dieses Zweckes Willen, so leicht aus einer ganz wunschlosen Lage, wie ein Veilchen aus einer Wiese herausheben zu lassen; die einen Vater, der sie anbetet, einen Mann, der großmüthig genug war sie mir abtreten zu wollen, ein Kind, so schön und schöner als die Morgensonne, nur meinetwillen verläßt: und Du wirst begreifen, daß meine ganz jauchzende Sorge nur sein kan, einen Abgrund tief genug zu finden, um mit ihr hinabzustürtzen.“ Und noch einmal, zum letztenmal, am 12. November, die völlig überspannte Bestätigung seines festen Entschlusses: „Meine liebste Marie, wen Du wüßtest wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lebens mit Blumen, himlischen und irdischen zu bekränzen, gewiß Du würdest mich gern sterben lassen. Ach, ich versichre Dich ich bin ganz seelig. Morgens und Abends knie ich nieder, was ich nie gekont habe, und bete zu Gott; ich kan ihn mein Leben das allerqualvollste, daß je ein Mensch geführt hat jezo dancken, weil er es mir durch den … und wollüstigsten aller Tode vergütigt. Ach könt ich nur etwas für Dich thun das den herben Schmertz den ich Dir verursachen werde mildern könte! Auf einen Augenblick war es mein Wille mich mahlen zu lassen, aber alsdan glaubte ich wieder zu viel Unrecht gegen Dich zu haben, als daß mir erlaubt sein könte voraus zu sezen, mein Bild würde Dir viel Freude machen. Kan es Dich trösten wen ich Dir sage, daß ich diese Freundin niemahls gegen Dich vertauscht haben würde, wen sie weiter nichts gewollt hätte als mit mir leben? Gewiß meine liebste Marie, so ist es; es hat Augenblicke gegeben wo ich meiner lieben Freundin offenherzig diese Worte gesagt habe. Ach, ich versichre Dich, ich habe Dich so lieb, Du bist mir so überaus theuer und werth, daß ich kaum sagen kan, ich liebe diese liebe vergötterte Freundin mehr als Dich. Der Entschluß, der in ihrer Seele aufging, mit mir zu sterben, zog mich, ich kan Dir nicht sagen mit welcher unaussprechlichen und unwiderstehlichen Gewalt an ihre Brust, erinnerst Du Dich wohl daß ich Dich mehrmals gefragt habe, ob Du mit mir sterben <XCII:> willst? Aber Du sagtest immer nein – Ein Strudel von nie empfundener Seeligkeit hat mich ergriffen, und ich kann Dir nicht leugnen, daß mir ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt. – Ach, meine theure Freundin, mögte Dich Gott bald abrufen in jene bessere Welt wo wir uns alle mit der Liebe der Engel einander werden ans Hertz drücken können. Adieu.“
In diesen Briefen findet sich auch eine harte, ungerechte Äußerung über Ulrike. Seit jenem Auftritte am Mittagstisch in Frankfurt zürnte ihr der Bruder, und kurz vor seinem Tode schrieb er der Cousine über die Schwester: „Sie hat, dünkt mich, die Kunst nicht verstanden, sich aufzuopfern, ganz für das was man liebt, in Grund und Boden zu gehen: das Seligste, was sich auf Erden erdencken läßt, ja worin der Himmel bestehen muß, wenn es wahr ist, daß man darin vergnügt und glücklich ist.“ Aber er konnte nicht sterben, ohne diese Worte, welche Ulrike, die ihm ihr Lebensglück, ihr ganzes Vermögen geopfert hatte, wahrlich nicht verdient hatte, am Morgen seines Todes reumütig zurückzunehmen. „Ich kann nicht sterben,“ schreibt er an die Schwester, „ohne mich zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen Andern, meine theuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl! Möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich; das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß.“
Mit kalter Entschlossenheit setzte er die That ins Werk. Erst wollten sich die Unglücklichen in Cottbus töten, von wo ein dort lebender Freund dem Gatten die Botschaft bringen sollte; aber ein Zufall kreuzte diesen Plan, und Kleist wählte einen anderen Ort am Wannsee, eine Meile von Potsdam in der Klein-Machenower Heide nahe an der Berliner Chaussée, wo er lange Jahre zuvor mit Rühle und Pfuel unter Gesprächen über den Selbstmord und die sicherste Todesart vorübergefahren war. Aus jener Zeit mochte ihm die verhängnisvolle Stelle im Gedächtnis sein.\1\ Hier wollte er sterben. Die Gegend war äußerst einsam, und da, wo der Straßendamm den See in den kleinen und großen Wannsee teilt, lag damals das alte Wirtshaus Zum neuen Krug oder zur Friedrich-Wilhelmsbrück, dessen Wirt Stimming hieß. Gegenüber, am diesseitigen Ufer des „kleinen“ Wannsees, liegt die sandige Höhe, wo die That geschehen sollte. <XCIII:>
Mittwoch den 20. November 1811 vormittags fuhren Kleist und Henriette mit eigenem Fuhrwerk von Berlin ab. Henriette gab ihrem Manne vor, nach Potsdam zu reisen; er möge sie am folgenden Abend oder in der folgenden Nacht mit seinem Wagen dort abholen. Nachmittags um zwei stiegen sie im Kruge zum Stimming ab, ließen sich ein Paar Zimmer geben, gingen dann, immer in sehr vergnügter Stimmung, auf dem jenseitigen Ufer spazieren, offenbar um die rechte Stelle zu erkunden, und schrieben –  wahrscheinlich fast die ganze Nacht hindurch – Briefe. Der Hausknecht, welcher die Nacht über wachte, sah in einem der Zimmer beständig Licht brennen und hörte die Gäste zuweilen gehen. Den ganzen nächsten Vormittag hielten sie sich still, baten sich ihre Rechnung aus und bezahlten sie. Dann verlangten sie einen Boten nach Berlin, dem sie einen Brief an den Kriegsrat Peguilhen zu besorgen gaben, und jener reiste um 12 Uhr ab. Auf die Frage, was sie am Abend speisen wollten, erwiderte Kleist: „Wir bekommen heut abend zwei Fremde, die müssen recht gut essen.“ – „Ach nein,“ sagte Frau Vogel, „ich dächte, wir ließen es; sie können auch mit einem Eierkuchen fürlieb nehmen, wie wir.“ – „Nun“, sagte Kleist, „dann essen wir morgen mittag desto besser.“ Und beide wiederholten: „Auf den Abend kommen zwei Gäste.“ Dann tranken sie ihre Bouillon, erkundigten sich abwechselnd nach der Uhr und fragten, wann der Bote wohl gewiß in Berlin sein könnte. Da er um 12 Uhr weggegangen war, versicherte man, so müßte er um drei Uhr, höchstens halb vier dort sein. Nach einer Weile kamen beide aus ihren Zimmern herunter und fragten noch einmal, ob jetzt der Bote wohl dort sein könnte. Der Wirt bejahte es. Dann gingen beide hinaus, ließen sich den Kaffee auf jene gegenüberliegende Uferhöhe bringen, weil es da so schön sei, zeigten sich äußerst scherzhaft und vergnügt, sprangen mit einander und warfen Steine ins Wasser. Endlich schickte Henriette die Aufwärterin mit dem Kaffeegeschirr fort und trug ihr auf, die eine der Tassen aufzuwaschen und ihr wiederzubringen. Die Frau ging; nach etwa vierzig Schritten hörte sie einen Schuß fallen, bald danach einen zweiten. Sie glaubte, daß die Fremden zum Vergnügen schössen, und ging ihres Weges; als sie dann mit der Tasse zurückkam, sah sie beide im Blute liegen. Mittlerweile eilte auch der Förster herbei, dessen Wohnung in der Nähe war, und der die Schüsse gehört hatte; er fand Henriettens Leiche in einer kleinen Vertiefung, das Überkleid von beiden Seiten aufgeschlagen und die Hände auf der Brust gefaltet. Kleist hatte sie so sicher durch das Herz geschossen, daß nicht ein Tropfen Blut geflossen war. Er selbst kniete tot in derselben Grube vor ihr: er hatte sich – mit tiefem Einlegen der Pistole in den Mund, denn das Gesicht war nicht beschädigt\1\ – eine Kugel durch den Mund in den Kopf geschossen; beide waren ganz unentstellt, mit einer <XCIV:> heiteren, zufriedenen Miene. „Wirklich war es nicht möglich,“ schreibt Peguilhen von Henriettens Leiche, „den Tod in einer herrlicheren Gestalt zu sehen: halb sitzend, halb liegend, die Hände gefalten, den freundlichen Blick wie im Leben zum Himmel gerichtet, ward sie gefunden, weiß gekleidet wie frisch gefallener Schnee, in der Gegend des Herzens geschmückt mit einer einfachen Rose, wie eine himmlische Braut, sonst keine Spur von Verletzung, und das an einem Tage, an welchem die ganze Natur in dichtem Nebel trauerte.“ Sie war 31 Jahre alt, Kleist hatte das 34. Jahr um einen Monat und drei Tage überschritten.

\1\ Wohl Gustchen v. Pannwitz und Ulrike. Kleist an Ulrike vom 2. Nov. 1808: „Ihm [Pannwitz] schuldig zu sein, quält mich nicht, doch … [meiner Schwester?], die sie ihm vorgeschossen hat.“ Koberstein 147f.
\1\ Vgl. Bülow 53 und das Letzte Lied V. 37-40, wo ihm jene Stelle vorgeschwebt zu haben scheint. Fouqué erzählt in seiner Lebensgeschichte und in den Briefen an Eberhard, daß an ebenderselben Stelle „im Herbst des vorigen Jahres seine und Kleists Dichterverbindung durch Kleists „liebevoll kräftiges Entgegenkommen auf das innigste zusammengezogen“ wurde. (Vgl. Briefe, Anhang 6.)
\1\ Nach einer Versicherung des „Morgenblatts“ 1811, S. 1220, das hinzufügt: „Bemerkenswert ist, daß Kleist beide Schüsse mit derselben Pistole that, denn eine zweite lag geladen da; er hatte also so viel Ruhe gehabt, noch einmal zu laden.“

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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