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Abendzeitung (Dresden), 16. 12. 1819, Nr. 300, unpag.

Karl August Böttiger, Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden, Teil 2

Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften.

Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.
Das Käthchen von Heilbronn.
(Fortsetzung.)

Von dem Augenblicke an, wo dem Käthchen durch Strahl’s wirklichen Eintritt in des Pflegevaters Haus das Gesicht in Erfüllung geht, ist sie an diesem, ihr von Gott bestimmten Bräutigam mit den unauflöslichsten Zauberbanden gekettet. Sie muß ihn, wie ein sichtbarer Schutzgeist umschweben, das heißt, im bürgerlichen Abstand gegen die Ahnenreihe des Grafen, seine dienstbare Magd werden. Hier aber tritt zugleich ein zweiter Begriff des alten deutschen frommen Sinnes und Madonnenglaubens ein. Die weibliche Tugend ist Liebe. Diese muß aber durch die härtesten Prüfungen und Demüthigungen gehen, ehe sie gekrönet wird. So steht Käthchens inneres Treiben und Wesen nun ganz im Klaren. Sie erblickt in ihrem Geliebten immer den hohen, verehrten Herrn, dem sie ihre unaussprechliche Liebe nur als dienende Magd beweisen kann. Nichts zuckt, noch regt sich in ihrer Seele, wenn sie die härtesten Mißhandlungen erfährt. Fortstoßen mit dem Fuße, Drohen mit der Peitsche, Vergleichung mit dem Hunde, nichts macht sie irre. In ihrem Innersten flüstert eine Stimme: Es wird noch alles gut werden. Daher anfangs die Erstarrung, dann der Ausbruch des namenlosen Schmerzes, als sie mit dem Vater zum Kloster geht. Käthchens demüthige Dienstbarkeit, und wie sie bloß an den Blicken ihres hohen Herrn hängt, wird uns sogleich im Vehmgerichte offenbar. Es kann keine genügendere Exposition eines Stückes geben, als dieser erste Akt, der ganz willkührlich zum Vorspiele gemacht wurde. Aber ihr Innerstes muß uns nun auch, wie ein offenes Buch, aufgethan werden. Das thut die Traumrednerin. Man hat einige Ausdrücke von verliebten Käfern u. s. w. sehr unschicklich gefunden, ohne sich zu erinnern, daß sich doch wirklich so etwas in der Brust des keuschesten Mädchens, die so liebt, regen kann. Darum ist aber auch dieß Aufreizen und Hervorlocken durch das, was wir jetzt magnetischen Schlaf nennen, ein gar sündhaftes Beginnen. Der Dichter läßt den Strahl, bevor er die Träumende ausfragt, Gott um Verzeihung bitten. Das sollten alle Magnetiseurs kniefällig thun. Wohl ihnen, wenn sie, wie Strahl, ausrufen können: „Mein Herz ist rein von Falschheit und von Lüsten!“ Die ganze Traumscene ist übrigens so einzig und neu, daß, recht gespielt, sie allein schon dem Stücke stetes Gelingen zusichert. Aber daß hier alles in der Legende, in einer Welt voll Wunder vorgehe, muß dem Zuschauer stets gegenwärtig bleiben. Daher kann die Erscheinung des Engels nach der Feuerprobe, bei der Rettung aus der in Flammen zusammenstürzenden Burg im eigenen Lichtglanz nicht deutlich genug veranschaulicht werden.
Weiß nun die Schauspielerin, die Käthchen darstellt, sich ganz in diese Lage zu versetzen – bloße Phantasie thut’s nicht, sie muß die reinste Scham in dieß Phantasiegebilde verweben – so ist alles andere nur Einrahmung des Hauptbildes; selbst der Held des Stücks ist nur Werkzeug, er mag sich sträuben, wie er will; die verhärtete Giftmischerin Kunigunde ist nur zur Prüfung und Verherrlichung der erst Erniedrigten, dann Erhöheten da; Theobald muß auf Zauberei klagen, sich aber bald dem Willen des Mädchens, in Wehmut zerschmolzen, fügen; der Kaiser selbst muß erscheinen und Brautwerber, Brautvater werden; der Seraph mit der Palme überschwebt die bis zum letzten Augenblick demüthig gebliebene.
Wir sprechen nur das einstimmige Gefühl aller Zuschauer aus, wenn wir sagen, daß Mad. Schirmer durch das tiefe Eindringen in diese Rolle und ihre selbsterschaffende Gestaltung derselben sich als eine hohe Meisterin in Darstellungen dieser Art auf’s neue erprobt, ja uns erst deutlich gezeigt hat, was der Dichter mit diesem Käthchen wollte. Scheint doch die Rolle von Wallensteins hoher Tochter dieser ganz entgegengesetzt. Aber in beiden ist die jungfräulichste Aufopferung, der sicherste Takt in der reinen Brust der Grundton. Nur sind es die zwei Endpunkte derselben Linie. Beide erfaßt unsere Künstlerin mit gleich fester Hand. Alles, bis auf die kleinste Bewegung, war auch heute in ihrem Spiele wahrhaft durchdacht und mit sich selbst im reinen Einklang. Vom ersten fest auf Strahl gerichteten Aufschlagen des Auges am gesenkten Haupt – sie lebt, wie die Sonnenblume in der Metamorphose, nur in der Hinneigung zu seinem Blicke –, von dem ersten demuthvollen Anklange des „hoher Herr!“ bis zur verschämten Entschuldigung ihres Weinens, da sie bräutlich geschmückt als Kaisertochter da steht: „es ist in’s Aug’ mir was gekommen!“ (eine Naivetät, die, wenn sie nicht aus dem Ganzen, wie ein Thautropfen aus dem Regenbogen, hervorgeht, sicher lächerlich werden muß) und bis zum Hinneigen zum versöhnten Pflegevater in der letzten, alles vollendenden Glanz-Gruppe, kann jede Geberde und Miene als ein Pinselstrich zum ganzen Bilde angesehen werden. Der Hauptcharakter ist stille, fast wehmüthige Freundlichkeit mit innigster Resignation und Andacht einer, durch ein Wunder geweiheten, Jungfrau. Durchweg höchst einfache Geberdung. Gesenkte Arme, das Haupt auf der Brust eingesunken. Da, wo sie dem hohen Herrn gegenüber steht, frommes Aufblicken und Anpressen der Hände auf die Brust, gehorsames Niederknieen, wie vor einer Heiligen. Der Ton der Stimme, fast ohne alle muntere Hebung und Senkung, hatte oft etwas Fremdartiges, wie es aus dieser Lage, die man eine fortdauernde Vision nennen möchte, hervorgeht, und doch war er ansprechend, und entbehrte nicht des süßen Wohllautes. Desto ergreifender ihre Geschäftigkeit und fliegende Hast, wie sie, vom rücksichtlosen Diensteifer beflügelt, den Brief bringt, die Kundschaft ausspricht, die Waffen ergreift und bringt, in die Flammen sich stürzt. Wir sagen lieber nichts von der kunstreichen Natürlichkeit, womit sie unter dem Holunderbusche traumredet, das Köpfchen auf die theure Scherpe geschmiegt, die gefalteten Hände auf die linke Brust gelegt (denn sie ist ja betend entschlummert), und wie sie das „bitte, bitte!“ ausspricht, als Strahl das Maal sehen will, und dann die Hände sinken läßt. Dieß und wie sie nun erwachend aufspringt und in unaussprechlicher Angst den Richterspruch des hohen Herrn anfleht und endlich, nachdem sie mit ausgebreiteten Armen im Jubelgeschrei „mein!“ ausgeruften, plötzlich von vernichtender Demuth zurückgedrängt einwurzelt, muß gesehen werden. Wenn bei der zweiten Vorstellung der Ton des Schlafredens vielleicht etwas zu hell und fließend war, so wurde dagegen der innere Kampf, als zum Schlusse des Vehmgerichtes Strahl ihr Rückkehr zum Vater gebietet, durch ein, fast eine Minute dauerndes, stummes Spiel, und in der Scene mit dem, in Wehmuth zerschmolzenen Vater am Gnadenbilde vor dem Kloster, das vorbereitende Spiel mit dem Zucken der Hände bis zum Fallenlassen des Strohhutes vor dem Niedersinken auf die Kniee, bei der zweiten Vorstellung noch erschütternder gegeben. Solche Momente lassen sich nicht in Stereotypen setzen. Es sind Bewegungen der Sinngrenze, die von der leisern oder stärkern Berührung von außen abhängig, nur zu oft von den Mitspielenden erhöht oder niedergedrückt werden.

(Der Beschluß folgt.)

 

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